xXx Kapitel 25 xXx

144 15 3
                                    


Ich erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen mein Gesicht erreichten. Immer noch lehnte ich an Sams Schulter. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein. Als ich mich vorsichtig aufrichtete, weckte ich Sam auf. Er schaute mich mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht an. Ich schaute in seine grünen Augen, als ich für einen kurzen Augenblick glaubte, etwas Rotes in ihnen aufblitzen zu sehen. Kurz darauf erhob er sich und lief eilig davon. Nachdem ich eine Weile sitzen geblieben war, tat ich es ihm gleich und ging zurück in die Scheune.

Helena erwachte, als ich die Tür aufstiess. Sie machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Vielleicht lag es daran, dass sie gerade erst aufgewacht war oder ging es ihr wirklich nicht besonders gut? Ob sie mitbekommen hatte, dass ich draussen bei Sam geschlafen hatte?

Jedenfalls liess sie keinen bissigen Kommentar fallen, sondern kümmerte sich darum, dass Cara etwas zu Essen bekam.

Als wir uns etwas später vor der Scheune trafen, um unsere Weiterreise vorzubereiten, hatte ich immer noch das Gefühl, dass Helena anders aussah als sonst. Ihre Augen schienen dunkler zu sein und ihr Haar leuchtete nicht so hell, wie ich es in Erinnerung hatte. Sie drückte ihren Kopf in Caras Fell, die bereits wieder ihre grosse Gestalt angenommen hatte. Eine Weile verharrte Helena in dieser Position, bis sie sich schliesslich auf Caras Rücken schwang. Helena wirkte auf eine Art und Weise schwach, die ich bei ihr niemals erwartet hätte.

Lange konnte ich nicht darüber nachdenken, denn die Weiterreise begann.

Am Nachmittag zog erneut ein Sturm auf, weshalb wir einen Unterschlupf suchten. Lange fuhren wir durch die Wildnis, ohne auch nur einen halbwegs akzeptablen Unterschlupf zu finden. Erst als wir uns einem Dorf näherten und wir irgendwann umringt von Häusern waren, stoppte Sam die Hunde und stieg vom Schlitten. Helena und Cara blieben neben uns stehen.

„Was nun?", fragte Helena, deren Gesicht hinter einem dicken Schal verborgen lag.

Sam schaute sich um. Er schien sich zu überlegen, was das Beste für uns wäre.
„Hier gibt es bestimmt ein paar Kneipen die Zimmer anbieten", etwas Flehendes lag in meiner Stimme. Ich sass auf dem Schlitten und glaubte bereits meine Füsse wegen der Kälte nicht mehr zu spüren. Meine Kleider waren durchnässt, das einzige was ich wollte war, vor einem brennenden Kaminfeuer zu sitzen und mich aufzuwärmen.

„Mara hat recht, hier draussen können wir nicht bleiben!", sagte Helena mit Nachdruck, als sie von Caras Rücken sprang und elegant im Schnee landete.

„Das drüber gibt es einen Unterstand für die Hunde", fügte sie hinzu und deutete auf eine alte Scheune, in deren Wänden es grosse Lücken gab.

„Darin wären die Hunde wenigstens von Schnee geschützt", gab ich Helena recht. Obwohl es ihnen wahrscheinlich auch nicht viel ausgemacht hätte, draussen im Schneegestöber zu schlafen.

Sam nickte, weshalb wir die Hunde und den Schlitten in den alten Schopf verfrachteten. Bereits wenige Minuten später hatten wir eine gemütliche Kneipe gefunden und konnten uns eine warme Dusche gönnen, die wir mehr als nötig hatten. Seit wird aus der Stadt geflohen waren, hatten wir keine Dusche mehr gesehen.

Am Abend setzten wir uns im Pub an einen Tisch, um zu Abend zu essen. Ich freute mich darauf, endlich wieder etwas Warmes zu essen. Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig servierte uns das Essen. Kaum stand es auf dem Tisch, verschlangen wir es bereits. Zum Glück wurde ausserhalb der Stadt nicht viel Wert auf Tischmanieren gelegt. Denn ausser uns befanden sich noch andere Leute in der Kneipe. Fünf Männer sassen an ihrem Stammtisch und tranken ihre Schnäpse. Ein Ehepaar genoss an einem Tisch direkt am Fenster ein Abendessen zu zweit und dann gab es noch einen jüngeren Mann, der an einem Tisch weit abseits von uns sass und Zeitung las.

Ich genoss es, wieder einmal unter Leuten zu sein. Unter Leuten, die uns nicht feindlich gesinnt waren. Zu wissen, dass man nicht alleine hier draussen in dieser eiskalten Wildnis war.

Statt einem Dessert servierte uns die junge Frau puren Wodka. Alkohol sollte wohl dabei helfen, wenigstens für einen kurzen Moment die eisige Kälte und die langen, dunklen Nächte da draussen zu vergessen. Während Helena ihr Getränk argwöhnisch begutachtete, nippte ich kurz am Glas. Augenblicklich durchfuhr mich eine angenehme Wärme. Dabei war es im Pub bereits sehr warm, was dem Feuer im Kamin zu verdanken war, das leise knisternd vor sich hin loderte.

Ich nahm nochmals einen Schluck und spürte, wie sich all meine Sorgen und Ängste langsam in Luft aufzulösen begannen. Deshalb tranken so viele Leute Alkohol, es half dabei, alles Belastende zu vergessen. Bisher hatte ich es nie verstanden, weshalb jemand so viel Geld nur für ein Getränk ausgeben konnte. Kian hatte mir nie erlaubt, auch nur an einem alkoholischen Getränk zu nippt. Er hatte immer gesagt, das sei nur etwas für Männer und ich hatte dies nie hinterfragt.

Helena schob ihr Glas von sich weg, während Sam bereits die Hälfte seines Wodkas getrunken hatte.

„Schmeckt es dir nicht?", fragte er überrascht. Ein eigenartiges Leuchten lag in seinen Augen.

Helena schüttelte den Kopf, „Nein, ich trinke keinen Alkohol."

„Du bist immer noch genauso vernünftig wie früher", stellte Sam ernüchternd fest, „Nimm dir ein Beispiel an Mara, es würde dir gut tun, einmal ein wenig lockerer zu werden."

Als Antwort funkelte Helena Sam böse an. Dieser zuckte kaum merklich mit den Schultern und zog Helenas Glas zu sich hinüber. Wahrscheinlich kannte sich Sam bereits bestens mit Helenas angsteinflössenden Blicken aus, dass er sich davon nicht beeindrucken liess.

Die Zeit verging viel zu schnell. Irgendwann hatte sich der junge Mann, der zuvor alleine an einem Tisch Zeitung gelesen hatte, zu Sam gesellt. Die beiden unterhielten sich. Worüber sie sprachen, konnte ich nicht verstehen, da der Geräuschpegel im inzwischen vollen Pub immer weiten anstieg. Wahrscheinlich war dies der einzige Ort in diesem kleinen Kaff, an dem abends etwas lief.

Zwei junge Männer gesellten sich an den Tisch, an dem ich mit Helena sass. Sie hatten Jass-Karten dabei und wir begannen ein paar Runden zu spielen. Helena, die ein dunkles Tuch um ihren Kopf gewickelt hatte, damit ihre hellen, leuchtenden Haare verdeckt wurden, zog trotzdem alle Blick auf sich. Wahrscheinlich wären die beiden Typen niemals auf die Idee gekommen, nur mit mir eine Runde Karten zu spielen.

Im Verlauf des Abends erfuhren wir, dass die Beiden hier im Dorf aufgewachsen waren. In der Stadt waren sie noch nie gewesen, weshalb sie alles über das Leben dort wissen wollten. Sie fragten, ob es stimmte, dass der Himmel über der Stadt stets von einem nebligen Schleier verdeckt wurde und ob die Eisprinzessin wirklich so hübsch war, wie alle sagten.

„Stimmt es dass ihre Augen glitzern wie Eis, das in der Sonne leuchtet?", fragte einer der Typen. Er war gross, mit einer hageren Figur und wie fast alle hier hatte er helles Haar.

„Natürlich stimmt das", antwortete Helena selbstsicher, „Sie hat die schönsten Augen, die du dir vorstellen kannst."

Ich verdrehte die Augen. Während die beiden Typen ihre volle Aufmerksamkeit Helena schenkten, legte ich eine Karte auf den Tisch und nahm eine bessere auf meine Hand. Wenn schon alle so unachtsam waren, durfte man sich das zunutze machen.

„Du meinst, ihre Augen sind noch schöner als deine?", fragte derselbe Typ verblüfft, „Das kann ich mir nicht vorstellen."

Erneut hatte ich meine Mitspieler übertrumpft und zog die Karten ein. Es sah ganz danach aus, als würde ich dieses Spiel gewinnen. Ein paar Leute hatten sich auf der kleinen Bühne versammelt und begannen zu einer volkstümlichen Musik zu tanzen. Dabei fiel mir auf, dass ich noch nie in meinem Leben mit jemandem getanzt hatte. Es musste wunderschön sein, mit jemandem zu tanzen, den man wirklich mochte. Natürlich zählte ich unseren Hochzeitstanz nicht dazu, denn damals war es für mich alles andere als eine Freude gewesen. Es klang bescheuert, dass ich jetzt so viel dafür gegeben hätte, diesen einen Tanz mit Sam zu wiederholen, den ich damals so gehasst hatte.

Wie die Zeit uns verändert hatte...

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt