xXx Kapitel 37 xXx

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Ich lag bereits eine Weile wach als Kian in mein Zimmer trat, um sich nach mir zu erkunden. Ich fühlte mich nach wie vor elend. Trotzdem ließ ich mich von ihm überreden, nach unten zum Frühstück zu kommen.

Eigentlich war dies gar keine so schlechte Idee. Während des Frühstücks könnte ich die andern in meine neuen Pläne einweihen und je eher wir dieses gottverdammte Städtchen verließen, desto besser.

Im Frühstücksraum warteten bereits alle auf mich. Helena machte den Eindruck, als hätte sie die ganze Nacht geheult. Cara saß neben ihr auf der Bank und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Nils hatte am anderen Ende des Tisches Platz genommen und wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Er kannte Sam nicht, also berührte ihn sein Tod nicht sonderlich.

Ich setzte mich irgendwo in die Mitte der drei und Kian nahm direkt daneben Platz.

„Wir müssen zurück nach Nordstadt", verkündete ich ihnen, als ich mich vergewissert hatte, dass wir unter uns waren.

Helena hob ihren Kopf und schaute mich überrascht an. An dem Tag, an dem sie erfahren hatte zu was ihr Vater alles fähig war, hatte sie sich wohl dazu entschieden, nicht nach Nordstadt zurück zu kehren.

„Warum?", sprach mein Bruder aus, was alle dachten.

„Weil mir etwas zu Ohren gekommen ist", antwortete ich ausweichend.

Drei neugierige Blicke hatten mich ins Visier genommen, also blieb mir nichts anderes übrig, als sie mit mehr Informationen zu füttern.

Ich erzählte ihnen, dass der König in seinen Gemächern im Kerker etwas sehr Wertvolles aufbewahre. Ein Gegenstand, der dafür verantwortlich sei, dass seit Jahren diese hartnäckige Eisfront über Nordstadt herrschte. Den Begriff Eisblume versuchte ich dabei gekonnt zu umgehen, ansonsten hätten sie mich wahrscheinlich endgültig für verrückt erklärt. Indem ich ihnen also nur vereinzelte Informationen gab, verfehlten meine Worte ihr Ziel nicht.

„Du meinst, der König ist dafür verantwortlich, dass sein ganzes Reich unter dieser anhaltenden Kältefront zu leiden hat?", mischte sich Nils ein, der bisher stillschweigend meinen Worten gelauscht hatte.

„Nach all dem, was ich in den letzten Tagen erfahren habe, müssen wir davon ausgehen", antwortete ich und hoffte, dass niemand danach fragen würde, woher ich diese Informationen hatte.

„Es wäre auf jeden Fall eine gute Möglichkeit, um die Leute davon abzuhalten, einen Aufstand anzuzetteln. Wenn seine Untertanen mit den kalten Wetterbedingungen zu kämpfen haben und ihre Existenz vom König abhängig ist, wird niemand auf die Idee kommen, ihn zu stürzen", überlegte Kian und unterstützte mich mit seinen Worten.

„Es sei denn, sie bekommen keine oder zu wenig Unterstützung des Königs", dabei dachte ich an das Dorf, in dem der Metzger Sam erkannt hatte.

Aber solange nur vereinzelte Dörfer einen Aufstand anzettelten, war es für den König ein leichtes, diese im Keim zu ersticken. Wenn sich die Leute allerdings in Nordstadt gegen den König wandten, konnte dies weitaus fatalere Folgen haben. Deshalb hatte er Sam mit Helena fort geschickt, als erste Anzeichen eines Aufstandes entflammten.

„Dann sind wir uns einig?", fragte ich in die Runde, „Wir kehren nach Nordstadt zurück?"

Alle vier stimmten für meinen Plan. Vielleicht lag es auch nur daran, dass sie selbst keinen besseren hatte und niemand von uns länger in Moorstadt verweilen wollte, als unbedingt notwendig war.

Wir frühstückten ausgiebig, das hieß eigentlich bekam ich kaum einen Bissen hinunter. Ich musste mich förmlich dazu zwingen genug zu essen, denn eine lange Reise stand uns bevor und um diese zu überstehen, benötigte ich Energie. Da musste die Trauer um Sam für kurze Zeit weichen.

Danach besorgten Nils und Kian unseren Proviant, während Helena und ich den Schlitten und die Schneemobile einsatzbereit machten. Noch vor dem Mittag hatte ich den Schlitten bestiegen und unsere Reise begann. Zum Glück herrschten milde Wetterverhältnisse, weshalb uns einem schnellen Vorankommen nichts im Wege stand.

Es war ein befreiendes Gefühl, als wir das Städtchen hinter uns gelassen hatten. Die Stille während der Schlittenfahrt veranlasste mich allerdings dazu, erneut um Sam zu trauern. Zudem drängte sich das schlechte Gewissen immer weiter in meinen Kopf und schien sich erst wieder zu verziehen, als wir Tage später Nordstadt erreichten.

Helena hatte wie immer, wenn wir uns Siedlungen näherten, ihre Haare mit einem Schal verdeckt und saß bei Nils auf dem Schneemobil. Die Einwohner von Nordstadt sollten nicht erfahren, dass ihre Prinzessin wieder zu Hause war. Denn wenn ihr Vater davon Wind bekäme, könnte dies unser Vorhaben gefährden. Helena kannte sich im Palast sehr gut aus, sie könnte uns problemlos in die geheimen Gemächer des Königs führen, aber nicht, wenn ihr Vater sie auf Schritt und Tritt bewachen ließe.

Während Nils und Helena irgendwo am Rande der Stadt warteten und auf die Hunde aufpassten, fuhr Kian mich mit seinem Schneemobil mitten in die Stadt. Es war später Nachmittag und bald würde die Dämmerung einsetzen, das hieß, wir mussten uns einen Schlafplatz für die Nacht organisieren. Es gab in ganz Nordstadt nur eine Person, der ich bedingungslos vertraute und das war Finja, also musste ich herausfinden, ob sie noch bei ihren Eltern, oder längst in einer eigenen Wohnung wohnte.

Da stand ich also, vor der Haustür ihres Elternhauses und klingelte nervös. Kian stand etwas abseits von mir, damit er im schlimmsten Fall eingreifen könnte. Wir mussten immer damit rechnen, dass etwas nicht nach Plan lief. Während meiner Reise war ich dieser Stadt gegenüber skeptisch geworden und sah hinter jeder Ecke Gefahr lauern.

Sekunden verstrichen, bis jemand die Tür aufschloss. Es war Finjas Mutter, die mich überrascht musterte.

„Mara?", sie schien es kaum zu glauben, dass ich vor ihr stand.

Ich nickte, da mir die Worte im Hals stecken blieben. Finjas Mutter hatte mich schon immer an Finja erinnert, auch sie hatte diese liebliche Art an sich. Bei ihr war ich immer willkommen gewesen und hätte Finjas Familie nicht das altbekannte Problem mit dem Geld gehabt, hätte ich wohl auf der Stelle bei ihnen einziehen dürfen.

„Du suchst bestimmt Finja", meinte sie schließlich, „Sie ist ausgezogen und bewohnt die Wohnung über uns."

Ich schaute auf das Schild unter der obersten Klingel und stellte fest, dass das Namensschild noch leer war.

„Sie sollte bald nach Hause kommen", fuhr Finjas Mutter fort, nach dem sie einen Blick auf ihre Armbanduhr geworfen hatte, „Du kannst gerne im Treppenhaus warten, falls es dir draußen zu kalt ist."

„Nein danke, ich muss ohnehin nochmals weg. Bis dahin wird Finja bestimmt zu Hause sein", lehnte ich freundlich ab und dachte dabei an Nils und Helena, die sehnlichst auf uns warteten.

„Es ist schön, dass du wieder hier bist", damit verabschiedete sich Finjas Mutter und erst jetzt wurde mir bewusst, dass Finja nie erfahren hatte, was mit mir geschehen war.

Von einem Tag auf den anderen hatte ich die Stadt verlassen und niemand wusste was mit mir geschehen war. Vielleicht glaubte Finja sogar, ich sei tot. Auszuschließen wäre dies jedenfalls nicht. Schuld machte sich in meiner Brust bemerkbar. War dies das einzige was ich konnte? Menschen, die mir nahe standen Schmerzen zufügen?

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt