xXx Kapitel 18 xXx

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Es war keine grosse Sache, von hier weg zu kommen. Die Feuertreppe befand sich bereits nicht mehr im gesicherten Bereich. Wir rannten eine der schneebedeckten Strassen entlang. Unbehagen überkam mich. Hier draussen fiel Helena auf, wie ein Zirkuspferd in freier Wildbahn. Jeder könnte sie erkennen und um ganz ehrlich zu sein, wären wir leichte Opfer. Abrupt blieb ich stehen und drehte mich zu ihr um.

„Zieh deine Kapuze über den Kopf", befahl ich ihr mit einem Ton, der keine Widerworte akzeptierte, „Dein Haar und dein Gesicht sind viel zu auffällig."

Ihr platinblondes Haar schien selbst in den Schatten durchfluteten Gassen so zu leuchten, als würden sie von der Sonne angestrahlt. Das nächste Problem, das mir auffiel waren ihre Augen. Was war Helena bloss für ein Mensch? Sie war eine makellose Schönheit, deren Haar eher an eine Elfe erinnerte und deren Augen wie Eiskristalle leuchteten.

„Richte deinen Blick zu Boden. Du musst so unscheinbar wirken, wie nur irgendwie möglich."

Helena nickte stumm, wahrscheinlich war ich die erste, die so etwas von ihr verlangte. Ängstlich folgte sie mir auf Schritt und Tritt. Neben ihr tapste Cara leichtfüssig durch den nassen Schnee und roch von Zeit zu Zeit an einer schäbigen Hausecke. Solche Gerüche hatte sie wahrscheinlich noch nie gerochen.

Zu unserem Glück schien dieser Stadtteil zurzeit wie ausgestorben zu sein. Vielleicht wegen der Explosion? Viele hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert, aus Angst angegriffen zu werden, während die Schaulustigen sich in die Nähe der Explosion wagten. Mir war dies mehr als recht. Je weniger Personen das wir begegneten, umso geringer war das Risiko aufzufliegen.

Die wenigen Personen, denen wir über den Weg liefen, schienen keineswegs Verdacht zu schöpfen. Endlich hatten wir das Gelände des alten Güterbahnhofes erreicht. Ein Maschendrahtzaun umzäunte das Gelände, an dessen Spitze Stacheldraht prangte. Hinüber klettern kam also nicht in Frage.

„Cara such einen Durchgang", befahl Helena ihrem Hund. Kaum war der Befehl erteilt worden, rannte Cara in Richtung Norden davon.

„Schlauer Hunde", stellte ich nüchtern fest. Ich war mich nach wie vor nicht sicher, was ich von Helena und ihrem Hund halten sollte.

Helena zuckte mit der Schulter und hatte ein heimtückisches Grinsen aufgesetzt, „Sie ist die Beste. Nicht einmal ganz ausgewachsen also mit dem Training noch lange nicht zu Ende und doch kann ich sie für alles Mögliche einsetzen."

Cara kam mit wedelndem Schwanz zurück gesprungen und zeigte uns den Weg. Tatsächlich fanden wir nach einem viertelstündigen Marsch eine kleine Öffnung im Zaun. Sie war nicht besonders gross, mit dem Lüftungsschacht mochte sie allerdings durchaus mithalten. Wir schlüpften hindurch und stampften durch den kniehohen Schnee hinüber zu den Schienen. Da dies hier der alte Güterbahnhof war, wurde der Zugbetrieb bereits vor Jahren eingestellt.

Das Areal war riesig, weshalb ich nicht genau wusste, wo wir Sam treffen würde. Ein kalter Wind wehte über die grosse Fläche. Jetzt da wir uns nicht mehr im Schutz der Häuser befanden, kamen wir seine ganze Stärke ab. Als ich zum Himmel hinauf blickte, stellte ich fest, dass es nach einem Schneesturm aussah. Wir mussten uns schnellst möglichst nach einem geeigneten Unterschlupf umsehen. Das gute an einem Schneesturm wäre, dass unsere Spuren durch den Wind und den neuen Schnee verwischt würden.

Wir folgten einer alten Eisenbahnschiene und erreichten ein paar einsam dastehende Güterwagons. Unter einem dieser Wagen fanden wir Schutz. Zwar bot er nicht gerade viel Platz, doch hier unten würde uns niemand entdecken. Es dauerte nicht lange, bis es anfing zu schneien. Helena nahm Cara zu sich und drückte sie fest an sich. Ich sass alleine auf der anderen Seite des Wagens und fühlte mich mehr als einsam hier draussen in der Kälte.

Die Stille zog sich in die Länge und begann an mir zu zerren. Draussen fegte der Schneesturm über uns hinweg und wehte von Zeit zu Zeit etwas Schnee unter den Wagon. Ich hielt die Stille nicht mehr aus, weshalb ich Helena nach dem einzige fragte, was mich an ihr interessierte.

„Wie war das eigentlich zwischen dir uns Sam?", fragte ich vorsichtig, „Er hat mir erzählt, du wärst seine Exfreundin."

Helenas eiskalter Blick traf mich mit solcher Wucht, dass ich auf der Stelle zu frösteln begann. Purer Hass lag in ihrem Blick.

„Das geht dich überhaupt nichts an!", fuhr sie mich wütend an.

„Warum so abweisend?", setzte ich mich zur Wehr, „Denkst du wirklich Sam hat mich aus purer Liebe geheiratet? Das erste und einzige Mal, dass wir uns geküsst haben, war während unserer Hochzeit."
Eigentlich ging es Helena rein gar nichts an, was zwischen mir und Sam lief oder eben nicht lief. Doch um irgendwann auch nur einen Hauch von Antworten zu erhalten, musste ich ihr Vertrauen gewinnen. Vielleicht würde dadurch unser Zusammenleben um einiges Angenehmer, wenn sie mich nicht mehr ganz so abgrundtief hassen würde.

Helena schaute mich überrascht an. Der Hass war aus ihren Augen verschwunden und machte einem Ausdruck Platz, der mich an Trauer erinnerte. Trauer... Dieser Ausdruck passte ganz und gar nicht zu Helena.

Sie seufzte leise auf, „Naja..."
Neugierig musterte ich sie. Die Kapuze ihrer warm gefütterten Jacke hatte sie noch immer tief in ihr Gesicht gezogen. Ihre helle Haut hob sich stark vom dunklen Stoff der Kapuze ab. Sie machte nicht mehr den Eindruck der kalten Eisprinzessin. Beinahe wirkte sie menschlich.

„Wir haben uns kennen gelernt, als Sam seine Ausbildung gemacht hat. Es war eher Zufall gewesen, dass wir uns überhaupt begegneten. Eigentlich hätte ich mich gar nicht in den unterirdischen Gängen herum treiben sollen. Jedenfalls bin ich Sam begegnet. Unsere Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde und dann waren wir auch schon aneinander vorbei gelaufen. Ich weiss nicht was es war, jedenfalls ging er mir seither nicht mehr aus dem Kopf. Monate später sind wir uns erneut begegnet. Damals war er in die Truppe gekommen, die direkt meinem Vater unterlag. So sah ich ihn immer öfter. Irgendwann haben wir es geschafft ein paar Worte miteinander zu wechseln. Daraus wurde mit der Zeit eine Art Beziehung, nur dass wir nicht wollten, dass jemand Wind davon bekam. Lange schien unser Versteckspiel zu funktionieren, bis Sam von einem Tag auf den andern spurlos verschwunden ist. Als er wieder auftauchte, wollte er unsere Beziehung nicht weiterführen. Er verliess mich mit den Worten, es sei besser für uns beide."

Helena schluckte leer. Noch immer schien sie mit Sams Worten zu kämpfen. Sein Verhalten schien für sie genauso rätselhaft zu sein, wie für mich. Er war also verschwunden und seither nicht mehr derselbe...

„Ansonsten war Sams Verhalten nie seltsam?", fragte ich deshalb nach, „Er hatte nie Albträume oder irgendwelche unerklärlichen Verletzungen?"
Helena schaute mich an, als wollte ich ihr weismachen die Erde sei eine Scheibe und Wolken bestünden aus Zuckerwatte.

„Warum sollte er?", nun war sie es, die von mir eine Antwort erwartete.

„Nur so...", wie sollte ich mich jetzt raus reden?

Helena beugte sich in meine Richtung, „Sag schon, was soll das bedeuten?"

„Ich weiss nicht. Vielleicht hat er sich bei seiner Ausbildung mal verletzt", meine Ausrede war miserabel.

Helena dachte kurz nach, „Vielleicht hatte er mal eine Schramme oder einen blauen Fleck davon getragen aber nie etwas Nennenswertes. Ich denke auch nicht, dass Soldaten, die hier in der Stadt positioniert sind, schwere Verletzungen davon tragen. Es sei denn es kommt zu grossen Auseinandersetzungen."
Helenas Blick fiel in Richtung der Hochhäuser. Der Schnee wirbelte so dicht durch die Luft, dass sie nicht mehr zu sehen waren. Sie wusste also genauso wenig wie ich über Sams Geheimnisse. Vielleicht war dies eine Sache zwischen ihm und Helenas Vater. Vielleicht hatte es auch ganz andere Gründe.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt