xXx Kapitel 19 xXx

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Der Schneesturm dauerte an und es begann bereits zu dämmern. Während sich Helena in Caras weiches Fell kuschelte, begann ich zu frieren. Wo war Sam, wann würde er endlich auftauchen? Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir bereits hier draussen sassen, aber es mussten inzwischen Stunden verstrichen sein.

Bereits machte ich mir Gedanken darüber, ob er uns nicht fand, als ich leise Schritte im Schnee hörte. Cara hatte ihre Ohren gespitzt, während Helena und ich neugierig unter dem Wagen hervor spähten. Die Schritte kamen näher, eine schwarz gekleidete Person kam auf uns zu. Es war Sam, der seine Kapuze tief in sein Gesicht gezogen hatte und auf seinem Rücken einen grossen Rucksack trug. Schnell eilte ich unter dem Wagen hervor.

„Was ist passiert?", ich konnte meine Neugier nicht zurück halten.

Sam schüttelte kaum merklich den Kopf, „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt um darüber zu reden."

Er warf einen Blick zu Helena, die ebenfalls unter dem Wagen hervor kroch.

„Dein Vater hat mir den Auftrag gegeben, dich aus der Stadt zu bringen", seine Worte waren an Helena gerichtet, die sich viel weniger elegant unter dem Wagen hervor kämpfte als ich zuvor.

„Er findet, es sei für dich zu gefährlich in der Stadt. Solang er nicht weiss, wem er vertrauen kann und wem nicht, solltest du nicht hier sein. Schliesslich muss einer seiner Vertrauten die Angreifer ins Gebäude gelassen haben."
„Geht es ihm gut?", langsam richtete Helena sich neben dem Güterwagen auf und klopfte den Schnee von ihren Kleidern.

„Ja, er hat nichts abbekommen", beruhigte Sam sie, „Aber du kannst trotzdem nicht hier bleiben."

„Das heisst, du bringst mich aus der Stadt und wirst bei mir bleiben, bis sich die Lage wieder beruhigt hat?", ich glaubte einen Anflug von Hoffnung in Helenas Stimme zu vernehmen.

Sam nickte, „Ja, so sieht der Plan aus."

Ich legte meine Stirn in Falten. Was mit Helena geschah, war jetzt klar, doch was war mit mir? Müsste ich alleine in Sams Appartement ausharren, während in der ganzen Stadt Alarmbereitschaft herrschte?

„Was ist mit mir?"

Sam drehte sich zu mir um, während Helena ein höhnisches Grinsen aufgesetzt hatte.

„Du kommst mit uns. Glaubst du etwa, dass ich dich alleine zurück lasse?", Sam musterte mich mit ernstem Blick, für ihn war dies von Anfang an klar gewesen. Das Lächeln schwand aus Helenas Gesicht. Ihr Plan war nicht aufgegangen.

„Wie kommen wir von hier weg?", fragte ich ihn neugierig. Zu Fuss wären wir ewig unterwegs.

„Mit den Hunden", erklärte mir Sam, „Wir haben noch genügend, um sie an einen Schlitten zu spannen. Dann können wir zu zweit auf den Schlitten."

„Wir sind aber zu dritt", stellte ich nüchtern fest.

Helena lachte laut auf, „Ich brauche keinen Schlitten."

Sie deutete auf Cara. Erst glaubte ich, meine Augen würden mir einen Streich spielen. Dann sah ich es klar und deutlich. Cara wurde immer grösser und grösser. Schliesslich wurde sie so gross, dass problemlos ein Mensch, wenn nicht sogar zwei auf ihr reiten konnten.

„Was ist sie?", fragte ich verdattert. Noch nie in meinem Leben hatte ich so etwas gesehen oder auch nur von etwas vergleichbarem gehört. Konnte es wirklich sein, dass es solch seltsame Wesen gab?

„Ein Hundedämon", antwortete Helena stolz, „Magische Wesen, die in ihrer gewöhnlichen Form aussehen wie ein Hund."

Noch immer war ich perplex. Und ich hatte an der Geschichte mit den Selenhunden gezweifelt.

„Glaub mir, ausserhalb der Stadtmauern wirst du noch viel merkwürdigere Dinge entdecken", versuchte Sam mich vorzuwarnen, „Die Stadtbewohner haben sich seit langem von der Magie abgewandt. Jeder, der nicht dem Ideal entspricht, wird als seltsam oder als Spinner bezeichnet. Dabei gibt es so viel mehr, als diese graue Einöde."

Es fiel mir schwer Sams Worten zu folgen. Ich war in einer Welt aufgewachsen, in der es keine Magie gab. Alles Zauberhafte wurde als Märchen oder Aberglaube abgetan. Ich selbst glaubte teilweise daran verrückt zu sein, wenn ich eine meiner Visionen hatte. Und Sam versuchte mir jetzt allen Ernstes klar zu machen, dass das alles existierte? War das wirklich der Sam, den ich kennen gelernt hatte?

Statt endlos zu diskutieren, hielt ich meinen Mund und folgte Sam bis zur anderen Seite des Güterbahnhofes. Während wir uns durch den tiefen Neuschnee kämpften, hatte Helena sich auf Cara geschwungen und sass nun auf ihrem Rücken. Leichtfüssig tapste Cara neben uns her.

„Ich es nicht gefährlich, die Stadt bei diesem Wetter zu verlassen?", ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit.

„Entweder wir gehen jetzt oder nie", war Sams knappe Antwort. Durch das Schneegestöber verstand ich ihn kaum. Ein Windstoss wehte mir entgegen. Die vereisten Eiskristalle schmerzten in meinem Gesicht. Ich zog meinen Schal etwas weiter ins Gesicht, so dass nur noch meine Augen der eisigen Kälte ausgesetzt waren.

Die Hunde standen bereit. Der Schlitten war am Zaun befestigt, damit die Hunde nicht los rennen konnten. Vorne auf dem Schlitten war weiteres Gepäck befestigt. Die Hunde liessen lautes Gebell hören, als sie uns kommen sahen.

Durch einen umgeknickten Zaunabschnitt verliessen wir das Areal. Sam durchwühlte das Gepäck vorne auf dem Schlitten und reichte mir wenig später eine warme Fellmütze, wie sie hier üblich war, wenn man längere Zeit draussen war. Das Fell, aus dem die Mütze bestand, stammte meist von Hasen. Diese wurden wegen ihres Fleisches gejagt. Doch statt ihr Fell einfach weg zu werfen, fertigte man damit Kleidung an. Schliesslich gab es hier draussen in der Eiswüste nicht allzu viele Ressourcen, also musste man von dem leben, was man hatte.

Ich setzte die Mütze auf und zog meine Kapuze darüber. Auf der Stelle war mir nicht mehr so kalt wie zuvor. Vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein.

Sam reichte auch Helena eine Mütze und musterte uns kurz. Er kam wohl zu dem Entschluss, dass wir ansonsten genug warm angezogen waren.

„Setz dich hinter das Gepäck", wies Sam mich an, während er sich an der Befestigung des Schlittens zu schaffen machte. Schnell setzte ich mich hin und schaute nach vorne. Navajo, ein hübsch gezeichneter grauweisser Husky war der Leithund. In der zweiten Reihe lief Tikaani und direkt vor dem Schlitten war Shadow eingespannt.

Bastian hatte mir einmal erklärt, dass die Hunde direkt vor dem Schlitten die stärksten seien, da sie das meiste Gewicht des Schlittens abbekamen. Der Leithund war jener, der dem Musher aufs Wort gehorchen musste. Doch nicht nur der Leithund war von Bedeutung. Das ganze Gespann musste harmonieren, jeder Hund hatte seinen Beitrag zu leisten. Nur so kam man sicher an sein Ziel.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt