Schmerzen

1.6K 67 6
                                    

Ein Raunen geht durch die kleine Versammlung, sie zucken zurück und zücken nach einigen Sekunden des Schocks ebenfalls ihre Zauberstäbe.
Lucius' Haare wehen ihm bei dem Auftritt ins Gesicht und er lässt sich von den vielen Zauberern um ihn herum nicht beirren. Er hat weiterhin seine vor Zorn verzogene Miene aufgesetzt und starrt aus leeren Augen Severus entgegen, der ebenfalls blitzschnell seinen Zauberstab hebt. Lucius reagiert darauf mit dem ersten Fluch, den er ihm entgegen schleudert.
„Crucio!", schreit er und schwingt seinen langen Zauberstab, der sich normalerweise in seinem Stock befindet.
Vor Schreck gelähmt und unsicher über das Verhalten von seinem alten Freund, kann Severus sich nicht bewegen. Viel zu erstaunt ist er über ihn. Snape hat so viel für ihn und seinen Sohn während des Krieges getan, und nun möchte dieser ‚Freund' ihn starke Schmerzen fühlen lassen.
Kurz bevor der Fluch ihn erreicht, möchte es noch ausweichen, doch das Schluchzen hinter seinem Rücken lässt ihn sich nicht weiter rühren. In diesen Millisekunden wird ihm bewusst, dass der Fluch Hermine trifft, wenn er ausweicht. Zum Abwehren ist es zu spät, er muss es über sich ergehen lassen. Mit zusammengekniffenen Augen wartet er auf den Fluch, der ihn unweigerlich treffen würde. Er bereitet sich schon darauf vor, hofft noch glimpflich weg zu kommen. Doch ihm ist bewusst, die Freundschaft zwischen Lucius und ihm ist vergessen. Lucius wird ihn nicht mehr verschonen.
Dann geht alles ganz schnell. Der Fluch kommt, trifft ihn in der Brust und augenblicklich sinkt Severus vor Schmerzen auf die Knie. Durch seinen Körper geht ein unbeschreiblicher Schmerz. Jeder Muskel zuckt und schmerzt. Es fühlt sich so an, als würde man von Innen und Außen zerdrückt werden. Sein Herz zieht sich zusammen, er denkt, er müsse sterben. Die Cruciatusflüche des dunklen Lords sind schon schrecklich gewesen, aber die Länge von Lucius' bringt ihm zum Verzweifeln. Er kann nicht mehr klar denken, merkt nicht weiter, was passiert. Seine Sicht ist verschwommen, seine Ohren taub, seine Haut nicht mehr bereit um irgendetwas anderes als den Schmerz zu spüren. Kurz schließt er die Augenlider, wartet auf die Erlösung, die nicht kommen wird. Denn er öffnet die Augen wieder, sieht weiterhin verschwommen, doch klammert sich an einen Gedanken fest.
An Hermine, die hinter ihm ebenfalls auf die Knie sinkt und verzweifelt versucht ihm zu helfen. Er kann die Szene aus seinen Augenwinkeln erahnen und bringt ein Lächeln unter den Schmerzen zustande. Wenn er bleibende Schäden von diesem langen Cruciatus davonträgt oder gar stirbt, dann weiß er, es hat sich gelohnt. Ihretwegen.
Seine Finger zucken, sie wollen sie greifen. Sie wollen durch Hermines Haare gleiten, ihre Haut unter den Kuppen spüren. Sie wollen sie bei sich haben. Für immer. Auch wenn Severus in diesem Moment betäubt ist, wird ihm plötzlich etwas bewusst: Er hat sich in sie verliebt.
Nein, er hat sich nicht in sie verliebt.
Er liebt sie.
Und genau das ist der Gedanke, der ihn bei Bewusstsein hält.




Hermine sinkt auf die Knie, als Severus zusammenfällt. Sie selbst schafft es nicht ihren Zauberstab zu heben, zu zerstört ist sie wegen der Aufopferung von ihrem Mann, der sie nicht einmal liebt. Sie hat genau gesehen, wie er kurz zur Seite gezuckt ist und weiß, dass er es hätte schaffen können. Doch er ist stehen geblieben. Ihr zuliebe, um ihr diesen Schmerz zu ersparen.
Aber weiß er denn nicht, dass er ihr damit nur noch mehr Schmerzen bereitet?
Sie hält ihn, legt ihn behutsam auf den Boden um ihn nicht auch noch zusätzlich zu verletzen. Doch das spürt er vermutlich gar nicht mehr. Seine Augen sind kurz davor sich zu schließen und doch bleiben sie noch einen Spalt offen. Sie sieht wie seine Lider und allgemein sein ganzer Körper unter den Qualen zucken. Mitleid und Schuldgefühle durchfluten sie und sie weiß nicht, was sie nun tun soll.
Es muss aufhören!, beschließt sie. Mit Tränen in den Augen schaut sie auf zu Lucius hin, der weiterhin seinen Zauberstab erhoben hält und kalt auf Severus hinabblickt. Hermine möchte ihren eigenen zücken und ihn einen Fluch entgegenwerfen, damit die Schmerzen für Severus endlich aufhören! Er ist doch schon viel zu lange in diesem Zustand, auch wenn es erst Sekunden oder wenige Minuten sind! Der Cruciatus kommt für die Person, die ihn erleidet, unendlich lange vor. Doch als sie sieht, wie Nolan mit seiner heilen Hand eine Bewegung ausführt und einen Fluch auf Malfoy abfeuert, ist sie erleichtert. Sie hofft inständig auf die Unterbrechung des Fluchs von Severus. Denn so wie er zittert hält er es nicht mehr lange aus. Doch sie weiß: Sie kann sich jetzt nicht um Malfoy kümmern und Severus hier so alleine liegen lassen. Ihr Herz sagt ihr, dass er sie braucht. Jetzt, bei sich.
Sie blendet die Ereignisse um sich herum wieder aus, vertraut auf Professor Nolan und widmet sich wieder vollkommen Severus. Als seine Augen kurz geschlossen sind, holt sie tief Luft. Sie wagt es nicht sie wieder auszuatmen, zu groß die Angst, Severus könnte sterben.
Als sich seine Augen wieder öffnen fällt ein riesiger Stein von ihrem Herzen und sie beginnt laut zu Schluchzen. Selbst dieses Geräusch nimmt sie kaum mehr wahr, für sie zählt nur eins: Severus.
Sie schlingt ihre Arme um ihn, schaut in seinen Augen. Hermine vermutet, dass er kaum noch da ist und davon nichts mitbekommt.
Die Angst, er wäre kurz davor zu sterben, bleibt somit tief in ihr drin. In seinen Augen kann sie Gefühle erkennen, von denen sie nicht dachte, sie bei ihm jemals sehen zu können. Es liegt kein schmerzhafter Ausdruck mehr in ihnen, sondern ein sanfter, warmer. Erkenntnis ist darin zu erkennen und er reißt die Augen auf und lässt sie geöffnet.
Sie kann seinen Willen in ihm sehen und ist unendlich stolz auf ihn. „Halt durch, Severus.", flüstert sie mehr zu sich selbst als zu ihm. Denn sie selbst ist ebenfalls kurz davor aufzugeben. Sie hält es nicht länger aus ihn so zu in diesem Zustand zu sehen.
Ihre Gedanken spielen verrückt, sie fühlt sich so hilflos. „Bitte Nolan, bitte!", flüstert sie weiter. Ihren Blick löst sie schweren Herzens von Severus und schaut zu ihm. Gerade feuert er einen weiteren Fluch auf Lucius, welchem dieser nicht ausweichen kann. Hermine weiß nicht welcher es ist und sie hat auch keine Nerven sich darüber Gedanken zu machen. Wichtig ist nur, dass Malfoy Senior zusammenbricht und bewusstlos auf den Boden knallt. Ihr Kopf schnellt bei dem dumpfen Geräusch Malfoys Kopf auf dem Boden zurück zu ihrem frisch vermählten Mann und stellt erleichtert fest, dass er sich nicht mehr wie eine Kugel zusammenrollt, sondern einfach nur starr liegen bleibt. Die Spannung nimmt ab und er entspannt sich allmählich. Seine Muskeln zucken noch und der Schmerz danach muss wohl immer noch anhalten.
Hermines Wagen sind tränenüberströmt, die Schminke verwischt. Doch das ist das letzte, das sie davon abhält, ihre Stirn an seine zu legen und ihm einen letzten Kuss auf die Lippen zu geben. Sie spürt dabei seinen warmen Atem auf ihr und ist erleichtert: Er wird überleben!
Sie nimmt sein Gesicht in ihre Hände, blickt ihm direkt in die Augen. Seine fokussieren sich auf ihre und ein schwaches Lächeln liegt auf seinen Lippen. Dann, nach wenigen Sekunden des stillen Starrens, schließt er seine Augen.
Doch das Lächeln bleibt.

Hermines Tränen kullern weiter auf sein Gesicht und sie könnte schwören, dass sie das Aufplatschen hört. Für sie gilt nur noch er, sodass sie kaum merkt, wie zwei Arme unter die ihren greifen und sie von ihm wegziehen. Sie wird an eine harte Brust gedrückt und ohne zu wissen wer es ist, umarmt sie ihn zurück. Die Tränen wollen nicht aufhören, sie schluchzt leise, ehe sie beginnt zu Schreien.
Sie schreit so lange ihren Schmerz hinaus, bis sie an der Schulter angetippt wird und eine weitere, ihr bekannte Stimme beruhigend auf sie einredet: „Beruhige dich. Er atmet noch."

Hermines Blick gilt nur Severus, sie schaut ihn eigene Minuten an, ehe sie auf die Aussage der Person reagiert. Langsam nickt sie, beruhigt sich zunehmend. Die Tränen hören auf und sie wischt sich die Spuren mit dem Arm aus ihrem Gesicht. Mit einem Schlucken entfernt sie sich von dem Mann, der sie umarmt hat und schaut das erste mal hoch. Vor ihr steht Harry, der sie mit einem besorgten Blick anschaut. Dankbar nickt sie ihm ebenfalls zu, ehe sie sich wortlos umdreht.
Sie schaut weiter auf Severus herab, der gerade von Angestellten des Ministeriums davongetragen wird. Die unbekannten Leute wurden vermutlich gerufen, während sie sich noch in der Schockstarre befand.
Prof. Nolan läuft neben dem schwebenden Severus her und wirft ihr einen entschuldigenden Blick zu. Er sieht niedergeschlagen aus, so, als fühlt er sich für den Zustand seines Kollegen verantwortlich. Sicherlich denkt er, es sei seine Schuld, weil er der Lehrer für Verteidigung gegen die dunkle Künste ist und früher hätte einschreiten müssen.
Doch Hermine weiß: Es ist nicht seine Schuld.
Es ist ihre.
Weil er sich wegen ihr nicht retten konnte.
Weil er wegen Lucius Verlangen nach ihr im Weg stand und jetzt den Preis dafür zahlen muss.
Lucius.
Wie sie ihn doch hasst. Bei dem Gedanken an ihn, wird ihr ganz anders. Sie spürt auch Angst. Am liebsten würde sie ihm jetzt, da er nun immer noch bewusstlos auf dem Boden liegt, feste in die Magengrube treten. Denn das hätte er eindeutig verdient. Außerdem würde er sowieso nichts spüren und hinterher nicht wissen wer ihn getreten hat!
Außerdem wird er sich vor Gericht freikaufen...
Oh nein, das Gericht... Was, wenn es danach weiter geht?
Aber steht er nicht eigentlich unter Beobachtung und soll beim kleinsten Vergehen sofort nach Askaban?
Hermine hat jetzt nicht den Nerv um sich darüber Sorgen zu machen. Und sie hat auch keine Zeit um ihr Vorhaben bezogen auf Malfoys Weichteile auszuführen. Mit schnellen, immer noch wackligen, Schritten holt sie die Zauberer ein um sie zum St. Mungos zu begleiten. Sie wird bei ihm bleiben, so wie er es noch vor Minuten für sie getan hat.

Der Weg dorthin kommt ihr wie eine Ewigkeit vor und sie hat Angst, dass Severus das letztlich doch noch zum Verhängnis werden könnte.
Im St. Mungos angekommen führen ihn die Heiler sofort in ein Zimmer und beginnen mit der Behandlung. Hermine muss währenddessen draußen bleiben und läuft vor der Tür Kreise. Sie kann es in dieser Unwissenheit nicht aushalten. Wird er vor Erschöpfung vielleicht doch sterben? Oder wird er psychische Störungen von sich tragen? Wie die Eltern von Neville?
Wie wird es ihm ergehen? Geben seine Muskeln nach, kann er nicht mehr laufen?
Ihre Sorgen überschlagen sich und sie weiß sich nicht weiter als sich an die weiße Wand des Krankenhauses zu lehnen und daran hinunterzurutschen. Sie sitzt direkt neben der Tür um sofort reagieren zu können und jedes Geräusch mitzuhören. Dass auf dem Raum ein Dämpfzauber liegt, ist ihr dabei gleich. Schließlich will sie einfach nur in seiner Nähe bleiben.
Also wann öffnet sich verdammt nochmal diese verfluchte Tür?!?
Nach stundenlangem Warten und Fragen der Heiler, wenn diese den Raum verlassen oder betreten, legt sie ihren Kopf verzweifelt auf ihre verschränkten Arme. Neben ihr bleibt von Anfang an Nolan stehen und betrachtet sie. Er versucht sie nicht aufzumuntern, sagt nur, dass er überleben wird und leistet ihr Gesellschaft und Beistand. Dafür ist sie ihm unendlich dankbar, zumal sie das von einem Lehrer nicht erwartet hätte. Aber Nolan ist mindestens ein genauso seltsamer Lehrer wie Snape.

Als es schon spät abends ist, taucht auch noch McGonagall auf. Sie wird von den Heilern zu ihnen geführt und wirft Hermine einen besorgen Blick zu. Sie beginnt sogleich mit Sprechen und regt sich über Lucius auf. Hermine jedoch hört kaum zu, geht auf die Fragen von Minerva nicht ein. Sie legt nur weiter ihren Kopf schief und schaut starr in eine Richtung.
Nolan unterhält sich lange mit Minerva und sie ist ihm dankbar dafür. Ihr ist einfach nicht zum Reden zumute. So wie sie sich jetzt gerade fühlt, hat sie sich noch nie gefühlt. Nicht einmal während der Schlacht als sie so viele hat sterben sehen.
Es ist anders. Für sie fühlt es sich so an, als würde sich ein Stück ihrer Seele lösen. Hat Snape sich damals so gefühlt als Lily gestorben ist? Als er dachte, es sei seine Schuld, obwohl es nie seine war? Vermutlich hat ihn das so werden lassen. Erst jetzt kann sie nachvollziehen wie es ist, seine Liebe zu verlieren.
Mann oh Mann.
Warum muss so etwas immer ihr passieren? Warum kann sie nicht auch ein normales Leben haben, ohne all die Schwierigkeiten in dieser Welt? Warum ist sie eine Hexe und kein Muggel?!?
Aber wenn sie ein Muggel wäre, dann hätte sie so viele tolle Menschen niemals kennengelernt. Harry, Ron, die Weasleys, Viktor und ja... letztlich hätte sie auch Snape nicht gekannt.
Sie seufzt und hebt ihren Kopf. Mit schwitzenden Fingern fährt sie sich durch die Haare, die sich von ihrer Frisur gelöst haben. Generell sieht sie ziemlich fertig aus und nicht mehr so als hätte sie noch vor ein paar Stunden geheiratet.
Das Kleid ist durch die Zauber, welche darauf liegen, immer noch schön, aber Hermine fühlt sich nicht mehr hübsch. Der Tag ist für sie eindeutig gelaufen und wird aufgenommen in die Liste der schlimmsten Tage ihres Lebens. Dabei hat es doch noch so... schön... angefangen. Alles ist Lucius Malfoys Schuld! Das wird sie ihm heimzahlen. Er wird nie mehr aus Askaban entlassen werden. Und wenn doch, dann wird er niemals mehr aus der Erde seines Grabs freikommen!
Hermine seufzt bei dem Gedanken, als sie plötzlich an der Schulter angetippt wird und zurückzuckt.
Vorsichtig hebt sie wieder den Kopf und schaut in das erleichterte Gesicht von Prof. Nolan. Sein Lächeln lässt auf eine gute Nachricht schließen und als er ihr die gesunde Hand zum Aufstehen reicht, ergreift sie diese. Als Hermine neben ihm steht, beugt er sich zu ihr vor und flüstert: „Er ist aufgewacht. Sie können nach ihm schauen, wenn Sie wollen."
Hermine schaut ihn nur verständnislos an, ehe sich ihre Mundwinkel erheben und ihr ein Stein vom Herzen fällt. Sie spürt förmlich wie das Licht sich wieder in ihr ausbreitet und die Trauer vertreibt.
„Woher wissen Sie das?", fragt sie dann flüsternd und zeigt damit noch ihre Zweifel. Schließlich hat in den letzten Minuten kein Heiler den Raum verlassen. Woher hat er also diese Information?
Nolan lächelt über die Frage nur und zeigt ihr eine schwarze Feder, die sich weiß verfärbt.
„Severus hat mir das hier gegeben im Falle eines Problems.", fügt er hinzu und Hermine wird Einiges klar. Stolz auf ihren Mann nickt sie. Er hat also mit so etwas in der Art gerechnet und vorgesorgt... Kluger Mann einen Gegenstand so zu verzaubern wie die DA-Medallien.
Hermine wirft Nolan noch einen Blick zu, der all ihre Dankbarkeit ausstrahlen soll, ehe sie die Hand auf die Klinke legt. Sie fühlt sich erinnert an den Moment vor ein paar Stunden, als sie die Tür zu den Räumlichkeiten des Ministeriums geöffnet hat und nicht wusste, was passieren würde.
Jetzt weiß sie ebenso wenig was sie erwartet. Geht es Severus gut? Trägt er bleibende Schäden davon?

Sevmine - Die Zeit danach ist auch nicht besser... oder doch?Where stories live. Discover now