Kapitel 59

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Die Wärme weckte mich auf. Anfang Dezember waren die Nächte bereits ziemlich kalt, weshalb ich im ersten Moment befürchtete, das Wohnheim stünde in Flammen. Doch es gab keinen beissenden Geruch und auch kein Feuermelder schlug Alarm. Sobald ich die Augen öffnete, ergossen sich die Erinnerung an den letzten Abend über mich, als hätte jemand die Tore einer Schleuse geöffnet. Noah lag neben mir, schlief tief und fest, und strahlte dabei eine Wärme aus, die aufgrund der geringen Breite des Bettes nur als unangenehm bezeichnet werden konnte.

Ich realisierte sehr schnell, dass seine Anwesenheit ein Problem war.

Zum einen war Gästen und anderen Studenten das Übernachten in fremden Wohnheimzimmern nicht gestattet. Dies betraf insbesondere Übernachtungsgäste des jeweils anderen Geschlechts.

Zum anderen - und das war das viel größere Problem, denn niemand hatte seit meiner Anreise jemals überprüft, wer in welchem Zimmer schlief - hatte ich ganz offensichtlich die Nacht mit Noah verbracht. Gut, angesichts der Tatsache, dass wir beide noch immer die Klamotten vom Vorabend trugen, war nicht wirklich viel passiert und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass mein Erinnerungsvermögen mich derart im Stich lassen würde. Wir mussten während dem dritten Film eingeschlafen sein, zumindest war dies der letzte, an den ich mich erinnern konnte. Nichtsdestotrotz war das Verhältnis zwischen uns beiden alles andere als geklärt und meine bevorstehende Entscheidung wurde durch die gemeinsame Nacht nicht vereinfacht.

Da es Sonntag war und ich weder arbeiten musste, noch andere Pläne hatte, entschied ich, einen Moment lang egoistisch und masochistisch gleichzeitig zu sein und harrte eingeengt zwischen einem sehr warmen Noah und der Wand aus. Noah lag auf dem Bauch und sein Gesicht war mir zuwandt. Bei jedem seiner ruhigen Atemzügen blähten sich seine Nasenflügel kurz auf. Ich zählte mit. Nachdem ich bei einhundert gezählten Atemzügen angekommen war, ließ ich meinen Blick zu Noahs Augenlidern wandern, die alle paar Sekunden kaum merklich flackerten.

Das Tageslicht spendete durch die dünnen Vorhänge bereits etwas Helligkeit, doch an mein Handy, das auf der Kommode am Fußende lag, kam ich nicht an, weshalb ich keine Ahnung hatte, wie spät es war. Es konnte früher Morgen sein, oder bereits 12 Uhr mittags. Wobei ich letzteres für unwahrscheinlich hielt, da vom Flur noch keinerlei Geräusche ins Zimmer drangen. Ich wusste nicht, ob Noah Pläne für den heutigen Tag hatte und überlegte, wie lange ich den Moment, in dem ich ihn aufwecken musste, noch hinauszögern konnte. Ich setzte mich auf, lehnte mich an das Kopfende und zog meine Knie an die Brust. Während ich den schlafenden Menschen neben mir beobachtete, fuhren meine Gedanken wieder einmal Achterbahn. Wie zu erwarten gewesen war, begann ich meine Entscheidung vom Vorabend zu bereuen. Seit meinem gestrigen Gespräch mit Phil war ich noch keinen Schritt weiter gekommen, was die Änderung seiner Meinung über Noah betraf. Wenn ihn nicht einmal Noahs Liebesgeständnis davon überzeugen konnte, dass kein Spiel mit mir gespielt wurde, was für Möglichkeiten blieben mir dann noch? Was sollte ich tun, wenn Phil standhaft bei seiner Meinung blieb? Natürlich könnte ich ihn einfach mit meiner Entscheidung für Noah konfrontieren und darauf hoffen, dass sie human miteinander umgingen und irgendwann in der Zukunft vielleicht sogar zur Freundschaft zurückkehrten. Aber ich wollte kein Spannungen. Nicht zwischen Phil und mir, und auch nicht zwischen Phil und Noah.

„Du siehst aus, als würdest du über den Sinn des Lebens nachdenken."

Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie Noah die Augen öffnete.

„Ganz so tiefgründig sind meine Gedanken wohl nicht, aber ähnlich ergebnislos", entgegnete ich und schaffte es, ihm ein schwaches Lächeln zu schenken. Noah blieb auf dem Bauch liegen, verschränkte seine Arme jedoch unter seinem Kinn. „Falls du dich fragst, weshalb ich noch hier bin, möchte ich diese Gelegenheit nutzen, um jegliche Schuld von mir zu weisen", sagte er. „Ich sollte hier bleiben, um dich vor Werwölfen oder Dementoren zu beschützen..." Er runzelte die Stirn. „So ganz genau habe ich das nicht verstanden."

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