Kapitel 33

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„Ich mag dieses Haus", verkündete ich und ließ mich auf den Rücken fallen. Noah legte sich auf den Bauch und stütze sich mit den Unterarmen auf der Matratze ab, sodass wir uns ansehen konnten.

„Dann warte mal ab, bis du morgen den Ausblick siehst", entgegnete er. „Ich stelle mal die gewagte These auf, dass es dir dann noch besser gefällt."

Ich bezweifelte, dass seine These sonderlich gewagt war. Selbstverständlich würde mir der Ausblick gefallen.

„Warst du als Kind oft hier?", fragte ich neugierig. Bisher hatten wir noch nie über Noahs Kindheit gesprochen, es war immer nur um meine Vergangenheit gegangen. Vielleicht gelang es mir nun, das zu ändern.

Noah schnaubte. „Machst du Witze?"

Obwohl es sich ohne Zweifel um eine rhetorische Frage handelte, schüttelte ich den Kopf. „Was ist daran so abwegig? Strandurlaub ist doch für Kinder großartig. Burgen bauen, im Meer schwimmen, Spiele spielen..."

„Klar, stell ich mir auch super vor", entgegnete Noah. „Aber meine Eltern hätten dann ja Zeit mit mir verbringen müssen und zusätzlich aufpassen, dass ich nicht ertrinke." Er schüttelte den Kopf. „Nein, so viel kann man von Eltern wirklich nicht erwarten."

Es tat mir in der Seele weh, Noah diese Worte sprechen zu hören. Natürlich hatte er bereits durchklingen lassen, dass die Beziehung zu seinen Eltern nicht die beste war. Aber dass er anscheinend schon sein ganzes Leben lang keine Aufmerksamkeit von seinen Eltern bekommen hatte, schockierte mich.

„Haben deine Eltern grundsätzlich keinen Urlaub mit dir gemacht? Oder nur nicht hier?"

„Ersteres. Urlaub mit einem Kind ist doch kein Urlaub." Der bitterere Unterton, der in Noahs Stimme mitklang, bereitete mir physische Schmerzen. „Versteh mich nicht falsch", fuhr er fort, „Ich habe Urlaub gemacht. Pünktlich zum Ferienstart wurde ich jedes Jahr ins teuerste Feriencamp geschickt, das sie finden konnten. Bis ich dann alt genug war, um für mich selbst zu sorgen. Ab da haben sie mich einfach zuhause gelassen." Er drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Sorry", murmelte er. „Ich muss unglaublich undankbar klingen."

Ich setzte mich auf und in den Schneidersitz. „Nein", widersprach ich. „Du klingst verletzt. Und das völlig zurecht."

„Findest du? Ich hatte doch alles, was man sich nur wünschen kann. Ein Dach über dem Kopf, immer die teuersten Geschenke, mit 16 das erste Auto, gar nicht mal so üble Sommer in exklusiven Feriencamps und jede Menge Spaß mit europäischen Au-Pairs."

Ich beschloss, den letzten Teil des Satzes vorerst zu ignorieren, obwohl wir sofort unzählige Fragen auf der Zunge brannten. Stattdessen sagte ich: „Nur das wichtigste hattest du nie."

Noah sah mich fragend an, also erklärte ich: „Liebe. Ein Zuhause ohne Liebe ist kein Zuhause. Und eine Kindheit ohne Liebe, ist erst recht keine Kindheit."

„Kein Wunder, dass ich so verkorkst bin", murmelte Noah und wandte den Blick ab.

„Hey", widersprach ich. „Wo bist du denn verkorkst? Wer von uns beiden saß gerade nachts in der Küche und hat geheult?"

Stumm setzte Noah sich auf. Er setzte sich mir gegenüber, so nah, dass unsere Beine sich berührten und sah mir tief in die Augen.

„Du bist nicht verkorkst, Ellie. Du hast als junges Mädchen deine Mutter verloren. Mal ganz davon abgesehen, was davor alles schon passiert ist. Und trotzdem ist aus dir ein wundervoller Mensch mit riesigem Herz geworden. Das ist nicht verkorkst, sondern unfassbar bewundernswert."

Ich konnte Noah nur anstarren, mein Mund war komplett ausgetrocknet. Wie hatte ich jemals - auch nur für eine Sekunde - denken können, dass ich verhindern konnte, mich in diesen Menschen, der jetzt vor mir saß und derartige Dinge zu sagte, zu verlieben? Ich wollte ihm sagen, dass er noch viel bewundernswerter war, dass ich keinen besseren Menschen als ihn kannte, doch stattdessen füllten sich meine Augen - mal wieder - mit Tränen. Schockiert wischte Noah mir mit einem Daumen über die Wange.

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