Kapitel 32

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Fünf, vier, drei, zwei, eins, null, zweihundert, einhundertneunundneunzig...

Stöhnend drehte ich mich auf die andere Seite. Zum fünften Mal war ich inzwischen bei Null angekommen und noch immer nicht eingeschlafen. Wie spät es mittlerweile war wusste ich nicht, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Todestag meiner Mutter sich jährte. Mein Herz pochte ungewohnt schnell in meiner Brust. Was, wenn ich mich nicht zusammen reißen konnte? Was, wenn ich vor Olivia, Hailey und Jacob nicht verbergen konnte, dass morgen kein ganz gewöhnlicher Tag war?

Es gelang mir nicht, meinen Kopf auszuschalten. Ich schlug die Decke zurück und setzte mich auf. Auf Zehenspitzen, um weder Olivia noch sonst jemanden aufzuwecken, schlich ich aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Ich tastete mich an der Wand entlang, um die Küchentür zu finden, was mir kurz darauf gelang. Ohne das Licht anzuschalten folgte ich dem schwachen Mondschein zum Fenster und setzte mich auf die Bank, die davor stand. Ich zog meine Knie an die Brust und lehnte den Kopf seitlich an das angenehm kühle Fensterglas. Vielleicht half es, wenn ich die Trauer jetzt rausließ. Vielleicht konnte ich dann morgen fröhlich sein. Ich versuchte nicht mehr, gegen die Panik anzukämpfen, die sich mir aufbaute, versucht nicht mehr, mich zusammen zu reißen. Meine Augen füllten sie mit Tränen und meine Wangen wurden feucht.

Wie aus dem Nichts wurde es hell im Raum. Viel zu hell. Ich schnell herum, doch durch den Tränenschleier konnte ich nur den Umriss der Person sehen, die im Türrahmen stand und das Licht angeschaltet hatte. So schnell wie es hell geworden war, wurde es wieder dunkel. Ich wischte mir über die Wangen - ein etwas aussichtsloser Versuch, diese zu trocknen. Noch immer wusste ich nicht, wer am anderen Ende der Küche stand, doch ich sah, dass die Person näher kam und erst wenige Schritte entfernt von mir stehen blieb.

„Ellie.."

Erleichterung durchströmte mich beim Klang von Noahs Stimme. Ich stand auf, trat auf ihn zu und ließ mich widerstandslos an seine Brust ziehen. Seine Arme umschlossen mich, sein Duft umhüllte mich und ich spürte, dass ich genau hierher gehörte. Zu Noah.

„Möchtest du darüber reden?"

Ich schüttelte den Kopf.

„Möchtest du lieber alleine sein?"

Wieder schüttelte ich den Kopf, dieses Mal deutlich energischer. Ich meinte, ein leises Lachen zu hören.

„Darf ich versuchen dich aufzuheitern?"

„Darfst du", flüsterte ich und trat einen Schritt zurück. „Aber ob du Erfolg haben wirst, weiß ich nicht."

Noah zuckte mit den Schultern. „Versuch macht klug. Möchtest du auch etwas trinken?" Den Blick fragend auf mich gerichtet, steuerte er einen der Schränke an. Ich schüttelte den Kopf, also holte Noah nur ein Glas aus dem Schrank und füllte es am Kühlschrank mit Wasser. Dann griff er nach meiner Hand und führte mich zur Treppe. Sein Zimmer lag zum Glück am anderen Ende des Flurs als das, in dem mein Bruder und Hailey untergebracht waren. Noah schloss die Tür hinter uns und erst in dem Moment realisierte ich, dass wir beide uns zum ersten Mal zu zweit in einem Schlafzimmer befanden. Sofort begann es in meinem Kopf zu rattern. Was hatte Noah gemeint, als er vorgeschlagen hatte mich aufzuheitern? Während ich regungslos einen Meter hinter der Tür stehen blieb, war Noah bereits in sein Bett geklettert, lehnte ein Kissen gegen das Kopfende, an das er sich mit dem Rücken lehnte, und zog sich die Decke über die Beine. Der Raum wurde von einer Nachttischlampe in eine angenehmen Licht getaucht. Ich sah zu Boden, unsicher wie ich mich verhalten sollte. Dabei fiel mein Blick auf mein Outfit. Schlagartig wurde mir bewusst, wie ich eigentlich aussah. Ich trug lediglich ein altes, ausgeleiertes T-Shirt, meine Augen waren mit Sicherheit rot und verquollen und auch meine Haare konnten, nach dem vielen hin und her drehen im Bett, nicht mehr sonderlich gepflegt aussehen.

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