Kapitel 56

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Die Stimmung zwischen Isaac und mir blieb angespannt, weshalb ich froh war, dass ich am Freitagnachmittag, nach meinem letzten Kurs der Woche, mit Astrid zusammen arbeitete. Der Wetterumschwung von Herbst zu Winter war mittlerweile deutlich spürbar, weshalb sehr viel mehr Leute im Café Platz nahmen, anstatt ihren Kaffee einfach mitzunehmen. Mit dem Ende des Jahres rückte auch das Ende des ersten Semester näher, was man auch daran erkennen konnte, dass viele ihre Laptops dabei hatten, oder mit hektischen Blicken durch dicke Bücher blätterten, während sie ihren Kaffee tranken.

Bisher war ich in meinen Kursen gut mitgekommen und machte mir keine allzu großen Sorgen wegen der bevorstehenden Abschlussprüfungen. Ums Lernen kamen ich dennoch nicht herum, weshalb ich mich am Abend mit Phil verabredet hat, dem der Stress bereits letzte Woche deutlich anzumerken gewesen war.

Nachdem Astrid und ich am frühen Abend die letzten Gäste aus dem Coffeeshop geschmissen, aufgeräumt und abgeschlossen hatten, steuerte ich zunächst mein Wohnheim an, um mich umzuziehen und meinen Laptop zu holen. Obwohl es hier noch etwas wärmer war, als in Boston, fröstelte ich etwas, während ich über den Campus ging. Bewaffnet mit allen Dingen, die mir irgendwie beim Lernen hilfreich sein könnten, machte ich mich auf den Weg zu Phils Wohnheim. Eigentlich waren wir in einem der Lernräume verabredet, doch da ich etwas zu früh dran war, beschloss ich, erst einmal bei seinem Zimmer vorbei zu gehen, um ihn eventuell von dort abzuholen. Die Hoffnung auf eine kurze Begegnung mit Noah spielte gewiss auch eine Rolle in diesem Vorhaben.

Die Tür des Zimmers stand offen, irgendjemand war also auf jeden Fall anwesend. Es sei denn die Jungs wurden gerade ausgeraubt, aber davon wollte ich lieber nicht ausgehen. Als ich näher kam, hörte ich die Stimme meines Bruders und war erleichtert, nicht in die ungünstige Lage zu kommen, einen Einbrecher verscheuchen zu müssen.

„Wann kommt dein Schwester nochmal zu Besuch?", fragte er jemanden, woraus ich schloss, dass er nicht alleine war. Noah konnte jedoch nicht derjenige sein, mit dem er redete, denn der hatte weder eine Schwester, noch sprachen er und mein Bruder aktuell mehr als das Nötigste - soweit ich informiert war. Vielleicht Jacob? Der hatte Geschwister, auch wenn ich nicht wusste, ob Brüder oder Schwestern. Diese These bestätigte sich, als ich Jacob antworten hörte: „Nächstes Wochenende. Ich hol sie Freitag vom Flughafen ab."

„Dann pass auf, dass du sie von Noah fern hältst."

Wut stieg in mir auf und das altbekannte Bedürfnis, Noah vor den Worten meines Bruders zu verteidigen. Doch als ich die letzten Schritte zur Zimmertür zurückgelegt hatte, sah ich, dass mein Eingreifen gar nicht von Nöten war. Denn in der Küche des Wohnheimzimmers befanden sich drei Personen. Jacob und Noah saßen beide am Tisch vor ihren aufgeklappten Laptops, Noah mit dem Rücken zur Tür, und damit auch zu mir, Jacob ihm gegenüber. Phil lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand. Gerade als ich mich mit einem Klopfen bemerkbar machen wollte, erhob Noah sich ruckartig von seinem Stuhl.

„So langsam reicht's wirklich, Phil", sagte Noah und ich war mir absolut sicher, noch nie derart viel Wut in seiner Stimme gehört zu haben. „Glaubst du, ich wollte mich in deine Schwester verlieben? Du tust so, als sei das die ganze Zeit mein verdammter Plan gewesen und mein einziges Ziel, dir eins auszuwischen."

Der Effekt, den Noahs Worte auch mich hatten, war mit nichts vergleichbar. Noch nie hatte ich so viele Emotionen auf einen Schlag gefühlt, denn noch nie war ich derart unvorbereitet mit einer Aussage dieser Art konfrontiert worden. In meinen Ohren begann es zu rauschen, während mir gleichzeitig heiß und kalt wurde. Ich musste mich am Türrahmen abstützen, um nicht hinzufallen, und lenkte damit die Aufmerksamkeit von meinem Bruder und Jacob auf mich. Ich bekam mit, wie ihre Köpfe sich in meine Richtung drehten, doch ihre Reaktionen konnte ich nicht erkennen, da mein Blick auf Noahs Hinterkopf ruhte und ich außerstande war, ihn von dort wegzubewegen. Die Stille vonseiten Phil und Jacob, sowie die Richtung, in die ihre Blick zeigten, schien Noah ahnen zu lassen, dass jemand hinter ihm stand. Er drehte sich langsam um, sehr langsam. Sobald unsere Blick aufeinander trafen, wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Mit einem Arm stütze er sich auf der Stuhllehne ab, als müsste auch er sich irgendwo festhalten, da auf sein Gleichgewicht kein Verlass mehr war. Mein Blickfeld schien immer kleiner zu werden, während die Gedanken in meinem Kopf hin und her rasten.

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