Kapitel 20

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Mein erster Kuss mit Noah hatte mich überwältigt und überfordert zugleich. Wir waren umrundet von Leuten, die wir kannten, zum Kuss gezwungen durch ein im Grunde kindisches Spiel. Zu behaupten, ich hätte den Kuss nicht genossen, wäre eine Lüge und doch konnte ich mir in dem Moment nicht sicher sein, ob Noah nur seine von Jacob auferlegte Pflicht erfüllte, oder ähnlich fühlte wie ich.

Mein zweiter Kuss mit Noah hatte mich all meinen Mut gekostet und dann vor Scham im Boden versinken lassen wollen. Trotz Noahs nachträglichem Versuch einer Erklärung für die Nichterwiderung des Kusses, hätte ich diese Sekunden, in denen meine Lippen auf den scheinbar versteinerten Lippen Noahs lagen, gerne aus meiner Erinnerung gestrichen.

Mein dritter Kuss mit Noah ließ sich nicht mit Worten beschreiben. Er beflügelte mich, ließ mich schweben und erdete mich zugleich auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Nicht nur unsere Lippen verschmolzen miteinander, auch ich selbst fühlte mich, als würde ich eins werden mit Noah. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie und weshalb dieser Kuss jemals enden sollte. Für einen Zeitraum, den ich im Nachhinein nicht definieren konnte, schaltete ich meine Gedanken ab und sog die Nähe zu Noah auf, so gut es nur ging.

Doch mein Kopf wollte, im Gegensatz zum Rest meines Körpers, die Situation analysieren anstatt sie schlichtweg zu genießen. Meine Gedanken wurden lauter, störten meinen beseelten Zustand, kappten meine Flügel.

Obwohl in diesem Moment auf mein Zeitgefühl kein Verlass war, konnte nicht mehr als eine Viertelstunde vergangen sein, seit ich dieses Haus betreten hatte. Fünfzehn Minuten, die mich in eine dunkle Ecke des Hauses geführt hatten, wo ich nun leidenschaftliche Küsse mit jemandem austauschte, der an einem Abend wie diesem normalerweise mehr als nur ein paar Lippen berührte – sofern man meinem Bruder und Jacob Glauben schenkte. Doch selbst wenn man dies nicht tat, musste man – in diesem Fall ich – sich fragen, ob dieser Verlauf des Abends den eigenen Vorstellungen und Wünschen entsprach. Was wollte ich von Noah? Was wollte Noah von mir? Sehr schnell wurde mir bewusst, dass ich auf diese Fragen keine Antwort finden würde, solange ich mich in derartiger Nähe zu ihm befand. Gegen den vom Herz gesteuerten Teil meines Willens ankämpfend schaffte ich es, meine Lippen von Noahs zu lösen und einen gewissen Abstand – wenn auch nur von wenigen Zentimetern – zwischen uns zu bringen.

Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich zu sammeln und wenn ich Noahs Schweigen richtig deutete, ging es ihm nicht anders.

„Normalerweise bin ich nicht diejenige, die sich auf Partys in dunkeln Ecken rumtreibt und mit Jungs rumknutscht", war das erste, was schließlich aus meinem Mund kam. Was ich mit dieser Aussage erreichen wollte, wusste ich selber nicht, aber Noah schien amüsiert. Der untere Teil seines Gesichts, der nicht von seiner Maske bedeckt wurde, zeigte ein Grinsen, das auch seine Augen erreichte.

„Du meinst Badezimmer entsprechen da eher deinen Anforderungen?", fragte er mit blitzenden Augen und warf einen kurzen Blick über seine Schulter. „So etwas können wir hier bestimmt auch finden, wenn dir das lieber ist..."

Ich wusste nicht, was in diesem Augenblick in meinem Innern passierte, wodurch die plötzliche Gedankenflut kam. Mit einem Mal war mein Kopf gefüllte mit all den Warnungen, die mein Bruder in den letzten Wochen ausgesprochen hatte und ich wusste, dass ich auf dem besten Wege war, genau das zu tun, was ich laut ihm auf keinen Fall tun sollte. Es war nicht mehr zu leugnen, dass ich Gefühle für Noah entwickelte, tiefe Gefühle. Und damit machte ich mich verdammt verletzlich.

Die Gedankenflut brachte eine Welle der Panik mit, die ich unmöglich hätte kommen sehen können. Ich fühlte mein Herz brechen, noch bevor ich es tatsächlich verschenkt hatte.

„Ich kann das nicht", war alles, was ich heraus brachte, bevor ich mich zwischen der Wand und Noah heraus schob und wahllos davon lief, in der Hoffnung auf irgendeinem Weg an die frische Luft zu kommen. Ich drehte mich nicht um und wusste dementsprechend nicht wie Noah auf meine plötzliche Flucht reagierte. Ich schob mich durch die maskierte Menschenmasse, blendete das fröhliche Lachen und die laute Musik komplett aus, bis ich endlich den ersehnten frischen Luftzug auf meiner Haut spürte. Durch eine offen stehende Glastür gelangte ich auf eine große, überdachte Terrasse, auf der vereinzelt kleine Grüppchen beisammen standen oder saßen. Ein paar Stufen führten hinunter in einen Garten. Sobald ich diesen erreicht hatte und auch die Gespräche der Leute auf der Terrasse immer leiser wurden, verlangsamte ich meine Schritte. Mit zitternden Finger versuchte ich meine Maske am Hinterkopf zu lösen, doch stattdessen schien ich aus der Schleife einen festen Knoten fabriziert zu haben. Entnervt gab ich auf und zog mir die Maske stattdessen vom Kopf, worunter meine Frisur mit Sicherheit litt. Die kühle Abendluft auf meinen Wangen beruhigte mich augenblicklich. Ich blieb stehen, schloss meine Augen und nahm einige tiefe Atemzüge.

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