Kapitel 37

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Zu Jacobs Entsetzen und Unverständnis hatten die Jungs keine Chance gegen uns. Wir mochten uns erst seit wenigen Wochen kennen, doch Hailey, Olivia und ich verstanden uns ganz offensichtlich auch ohne Worte bestens. Im jeweils gleichen Zeitraum errieten wir doppelt so viele Begriffe wie die Jungs, was diese jedoch nicht davon abhielt, immer weiter spielen zu wollen und zu verkünden, dass sie uns ganz bald einholen würden. Als Jacob und Phil gerade versuchten einen von Phil dargestellten Begriff zu erraten, wurde ich vom Vibrieren meines Handy abgelenkt, das ich vorhin auf die Kommode hinter dem Sofa gelegt hatte.

„Bin gleich wieder da", murmelte ich, schnappte mir mein Handy und verließ das Wohnzimmer. Denn diese Anruferin würde ich nicht wegdrücken, schon gar nicht heute. Ich schloss die Tür zum Wohnzimmer und setzte mich auf die Treppenstufen, bevor ich den Anruf annahm.

„Hallo Mia", begrüßte ich meine Tante.

„Ella, Schatz, ich hoffe ich störe nicht."

„Natürlich störst du nicht. Das tust du nie", beruhigte ich sie lächelnd, obwohl sie das natürlich nicht sehen konnte.

„Als wir an deinem Geburtstag gesprochen haben, hattest du erwähnt, dass ihr am Wochenende wegfahren wolltet. Aber es ist der erste Todestag deiner Mutter, an dem du so weit von Zuhause weg bist. Deshalb wollte ich wenigstens einmal kurz fragen, wie es dir geht", erklärte Mia.

„Ja, wir sind mit ein paar Freunden ans Meer gefahren. Es ist wirklich wunderschön hier." Ich erzählte ihr kurz vom heutigen Tag, von dem scheinbar endlosen Sandstrand, den rauschenden Wellen und der wunderbar frischen Meeresluft.

Nach meiner Erzählung folgte eine kurze Stille, bevor meine Tante feststellte: „Du hörst dich glücklich an."

„Ich bin glücklich", entgegnete ich, ohne überhaupt darüber nachdenken zu müssen. Und sofort spürte ich, wie das schlechte Gewissen kam. Mal wieder. Doch noch bevor ich mich in Gedanken bei meiner Mutter und in der Realität bei der Schwester meiner Mutter für meinen Egoismus entschuldigen konnte, sagte Mia: „Das freut mich, Ella. Genau so sollte es doch sein."

„Warum fühlt es sich dann so falsch an, heute glücklich zu sein?" Meine wahren Gefühle gegenüber meiner Tante auszusprechen, war mir noch nie schwer gefallen. Vielleicht lag es an all den Dingen, die wir schon gemeinsam durchgemacht hatten. Ich hörte Mia am anderen Ende der Leitung seufzen. „Weil du ein viel zu großes Herz hast", entgegnete sie. „Aber bitte glaub mir: deine Mutter hätte kein Interesse daran, dich leiden zu sehen. Sie würde wollen, dass du glücklich bist und zwar an jedem Tag des Jahres." Ihre Worte waren denen von Noah sehr ähnlich. Vielleicht hatten beide Recht, vielleicht war es wirklich an der Zeit, das schlechte Gewissen zu ignorieren.

„Wie geht es Phil? Ich hätte ihn ja auch angerufen, aber du weißt selber wie er ist. Bloß nicht über Gefühle sprechen..." Wieder seufzte Mia.

„Ihm geht's auch sehr gut. Und wir haben heute tatsächlich kurz über Mum gesprochen", berichtete ich, woraufhin Mia ein erstauntes Lachen von sich gab.

„Es geschehen noch Zeiten und Wunder", murmelte sie. „Diese Hailey scheint wirklich einen guten Einfluss auf ihn zu haben. Meinst du er bringt sie Thanksgiving mit nach Hause?"

Nun war ich diejenige, die lachen musste. „Ich würde mir an deiner Stellung nicht zu große Hoffnungen machen." Um Hailey mit nach Boston zu bringen, müsste er ihr zunächst von unserer familiären Situation erzählen und ob dies tatsächlich innerhalb der nächsten eineinhalb Monate passieren würde, war fraglich. Obwohl ich es mir für beide sehr wünschte.

„Ach schade", entgegnete Mia. „Und was ist mit dir? Bringst du jemanden mit?"

Wieder lachte ich und dieses Mal konnte ich nicht verhindern, dass es ein etwas bitteres Lachen wurde. „Nein, ich bringe niemanden mit." Die Vorstellung, Noah mit nach Hause zu bringen, war wunderschön und utopisch zugleich. In meinem Kopf entstand ein Bild, das mein Herz höher schlagen ließ: unser heimisches Esszimmer, festlich geschmückt. Rund um den Tisch saßen Mia, Phil, Noah und ich. Noah und Phil lachten über irgendetwas, während Noahs Hand auf meinem Oberschenkel lag. Es könnte so einfach sein. So schön. Stattdessen war es kompliziert. Unmöglich.

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