Neuland

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Während mein Blick auf die Dunkelheit gerichtet war, in der meine Vergangenheit verschwunden war, trat einer der Männer aus dem Trupp hinter mich und machte sich umständlich daran meine Fesseln zu lösen. Noch halb in Gedanken fragte ich mich, warum er nicht einfach ein Messer nahm, doch dann hatte der Mann es auch schon geschafft und mich durchflutete Erleichterung als ich meine Arme vor mich nehmen konnte und meine Handgelenke reiben konnte. Ich drehte mich zu dem Trupp um, der jegliche Formation verlassen hatte und wie ein wilder Haufen herumstand und sich in der seltsamen Sprache beriet. Erneut fragte ich mich was das wohl für Waffen waren, die ich nun etwas genauer sehen konnte. Es waren lange Röhren mit einem Griff am Ende. Sie sahen aus wie ausgehölte dünne Bäume, schienen jedoch aus einem festeren Material zu sein. Diese Waffen sahen unhandlicher aus als alles was ich kannte. Wieso fürchteten sich die Clans dann so sehr vor diesen Waffen, dass sie trotz der offensichtlich geringen Kampferfahrung der Weißen und deren Unterzahl keinen Versuch eines Angriffs unternahmen, sondern sich stattdessen auf einen Austausch einließen?

Tief in meinen Überlegungen und in die Betrachtung der ungewöhnlichen Waffe versunken, bemerkte ich die Person neben mir erst, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte und ich erschreckt zusammenfuhr. Es war der Mann, den ich bereits im Lager der Halanders gesehen hatte und der mir so ähnlich sah. Der Mann murmelte etwas, was eine Entschuldigung sein könnte, dann erhob er die Stimme und sagte etwas zu mir. Die Gespräche um uns herum und alle lauschten dem Gespräch, welches der Mann offensichtlich mit mir führen wollte, doch ich verstand kein einziges Wort. „Es tut mir leid, ich verstehe dich nicht." Antwortete ich ihm in meiner Muttersprache und hob dabei resigniert die Schultern. Ein Raunen ging durch die Menge und erneut entstand Gemurmel und Geflüster. Eingeschüchtert ließ ich meinen Blick über alle wandern, in der verzweifelten Hoffnung von irgendwoher Hilfe zu bekommen.

Die Frau trat vor und wieder verstummten alle, doch sie sprach nicht mit mir, sondern mit den Männern. Als sie ihre Rede beendet hatte nickte sie mir zu. Ich konnte nicht genau interpretieren, was sie damit meinte, hoffte jedoch, dass es aufmunternd war. Der Mann neben mir klopfte mir auf die Schultern und ich beobachtete, wie die Truppe die gleiche Aufstellung annahm wie vorhin, nur das diesmal der Mann und ich das Schlusslicht bildeten. Er bekam eine dieser Fackeln gereicht und leuchtete mir den Weg, während sich die Truppe wieder in Bewegung setzte.

Der Weg führte und einen kurvigen ausgetretenen Pfad entlang, auf dem bereits viele gewandert sein mussten. Obwohl die Fackel den Weg nur spärlich beleuchtete, hatte ich kaum Schwierigkeiten mit den Männern mitzuhalten, vor allem da diese deutlich weniger Erfahrung mit der Dunkelheit hatten. Wie war es möglich, dass kräftige Männer schon im hohen Alter es nicht gewohnt waren ihren Weg bei spärlicher Beleuchtung zu finden? Wo kamen diese Menschen her, wenn sie keine Dunkelheit kannten? Wie musste ein Ort aussehen, an dem es immer hell war?

Ich blieb abrupt stehen, als der Mann vor mir kurz stolperte und ich fast in ihn hineingelaufen wäre. Wir hatten erst den halben Weg zum Lager geschafft und schon jetzt hörte ich diesen Lärm, den das Lager zu beherrschen schien. Wurde es nicht mal in der Nacht ruhig in diesem Lager? Ich dachte an Abende, an denen es bei den Malos ebenfalls laut gewesen war. An Feiern, an Gesänge oder an die lauten Trommeln. Manchmal, wenn ich nicht in der Stimmung zum Feiern gewesen war, hatte ich mich durch diese Geräusche gestört gefühlt, doch niemals war es so störend gewesen, wie diese unerklärlichen Geräusche, die ich aus dem Lager vernahm. Während es bei den Malos immer Klänge der Freude waren, so fühlte ich mich bei diesen Klängen unwohl und unbehaglich. Je näher wir dem Lager kamen, desto schlimmer wurde es und ich war versucht mir die Ohren zuzuhalten. Doch dies waren die Geräusche, in denen ich nun lebte, ich würde mich also dran gewöhnen müssen.

Die Truppe erreichte die Mitte des riesigen Zaunes und gerade als ich mich fragte, wie wir wohl ins Innere gelangen sollten öffneten sich zwei gigantische Teile des Zaunes und ließen uns ein. Mir blieb vor Erstaunen der Mund offenstehen und hätte der Mann neben mir nicht seine Hand auf meinen Rücken gelegt und mich sanft vorwärts geschoben, wäre ich wohl an Ort und Stelle mit offenem Mund stehen geblieben. Der Lärm war unglaublicher Weise noch ohrenbetäubender geworden als vorher. Der Weg, der ins Innere führte wurde flankiert von diesen riesigen stabilen Zelten, bei denen ich befürchtete, sie würden gleich auf mich herabstürzen. Überall waren Menschen, sie alle hatten die Gleiche Hautfarbe, wenn auch mal heller und mal etwas dunkler, doch ihre Haar- und Augenfarben waren so verschieden, dass jeder von ihren eine Einzigartigkeit hatte, die ich bisher nicht kannte. Sie alle trugen Kleidung aus den verschiedensten Farben, doch schienen sie für die Arbeit zu kostbar zu sein. Es war als hätten alle sich für ein Fest angezogen, doch ich erkannte nicht, dass eines stattfand. Alle Menschen, die ich sah, waren im mittleren Alter oder älter. Ich konnte nur wenige Kinder entdecken, vielleicht nicht mehr als drei oder vier. Ein Clan, ohne mindestens ein duzend Kinder wurde im allgemeinen als ein schwacher Clan ohne Zukunft angesehen. Und es war hell in diesem Lager. In dem Lager schien es nicht mitten in der Nacht, sondern mitten am Tag zu sein. An jeder Ecke waren diese Fackeln angebracht und ich wunderte mich, dass sie so sorglos mit dem Feuer umgingen. Ein Feuer in einem Lager brachte oft mehr Tod und Zerstörung mit sich als jeder Angriff.

Ich war so von meiner Umgebung fasziniert, dass ich nicht merkte, dass ich auf die Mitte des Lagers zugeführt wurde. Erst als meine Begleiter stehen blieben, wurde ich mir dem riesigen Zelt bewusst vor dem ich stand. Es war noch größer als alle anderen dieser massiven Zelte und war mit den verschiedensten Verzierungen versehen. Ich war vor dem Zelt des Oberhaupts geführt worden. Gespannt beobachtete ich den Mann, der nun aus dem Zelt trat. Er war der Älteste Mann, den ich je gesehen hatte, mit so vielen Falten, dass sein Gesicht kaum noch zu erkennen war. Der Alte Mann bewegte sich langsam, steif und schien Mühe beim Gehen zu haben. Ich hatte von noch keinem Clan gehört, der einen alten Mann zum Oberhaupt hatte. Ein Oberhaupt musste stark sein, klug und gerecht, ansonsten würde ihm jemand den Platz streitig machen. Und auch wenn er all diese Dinge erfüllte, war es nicht unüblich, dass sich das Oberhaupt mit einem der Seinen messen musste, um seine Position zu verteidigen. Bei diesem Alten Mann würde selbst ich ein solches Kräftemessen gewinnen. Gab es in diesem Clan niemanden, der Anspruch auf die Position des Oberhauptes erhob?

Der Mann begann zu sprechen und seine Stimme dröhnte trotz seines Alters laut über den Platz auf dem sich hinter uns eine Menge angesammelt hatte. Erneut verstand ich kein Wort und konnte auch ihre Bedeutung nicht erahnen, also wartete ich ab. Der Mann führte eine lange Rede und wurde kein einziges Mal unterbrochen, noch nicht mal durch Rufe der Begeisterung oder der Zustimmung. Während er sprach herrschte totenstille auf dem Platz, wäre da nicht dieser andauernde Lärm gewesen.

Plötzlich veränderte sich etwas. Meine Begleiter traten zurück und bevor ich mich versah stand ich alleine vor dem Oberhaupt, der mit schlurfenden Schritten näher kam. Er blieb direkt vor mir stehen. Scheu und ohne zu wissen was hier vor sich ging schaute ich ihm in die Augen in der Hoffnung dort eine Antwort zu finden. Als er erneut anhob zu sprechen weiteten sich meine Augen vor Überraschung: „Wie heißen Kind?"

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now