Alltag

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Es dauerte nur wenige Tage, bis sich eine gewisse Routine eingestellt hatte. Die Höhle war so ungünstig gelegen, sodass die ersten Sonnenstrahlen direkt hineinschienen und mich blendeten. Ich erwachte somit jeden Tag zu Sonnenaufgang und wartete bis der Wächter, wahrscheinlich nach seinem Frühstück, endlich zu mir hoch kam und mir ein Frühstück aus gemahlenen Körnern mit etwas Wasser vermengt brachte. Zu dieser meist braunfarbenen Pampe gab es ein paar Schlucke Wasser, immer nur so viel, wie der Wächter gerade Lust hatte mir den Wasserschlauch ans Gitter zu halten. Nach diesem sättigenden, jedoch keinenfalls schmackhaften Frühstück befreite mich der Wächter, legte mir Fesseln an und führte mich zu dem Heilerzelt.

Dort wartete dann bereits Fissul auf mich. Im Laufe des Tages kamen dann die Clanmitglieder mit ihren meist kleinen Leiden. Schnell stellte ich fest, dass die Leute hier im Clan sehr verwöhnt zu sein schienen. Ich behandelte nicht wie in meinem Clan Wunden, Geschwüre, Fieber oder Ausschlag. In diesem Clan behandelte ich schmerzende Füße, verrengte Rücken und Kopfschmerzen. Meine Befürchtung, eines der Clanmitglieder könnte trotz meiner Behandlung an dem Leiden erliegen und sie würden mich dafür töten, schien mir mit einem Mal sehr abwegig zu sein. Am späten Nachmittag oder manchmal auch beim Anbruch der Abenddämmerung, je nachdem ob ich als Heilerin noch etwas zu tun hatte oder nicht, brachte mich der Wächter wieder zurück in mein kleines Loch, stellte mir wieder einen Teller mit brauner Pampe hin, ließ mich noch kurz etwas trinken, verschwand dann und ich war die Nacht über alleine.

Die Zeit verging und jeder Tag glich dem vorherigen. Ohne Anhaltspunkte verschwammen die Tage, ich orientierte mich an dem Mond und zählte die Vollmonde und die Zeit abzuschätzen. Während der Tage hockte ich in dem Heilerzelt, bekam das pampige Essen und Wasser. Auch wenn ich es nicht darauf anlegte, merkte ich nach einem Vollmond, dass ich begonnen hatte die Sprache der Twinkikis zu lernen. Jeden Tag sah ich wie Fissul mit den Clanleuten sprach und es mir dann übersetzte. Schnell erkannte ich vertraute Kombinationen von Geräuschen und Gesten.

Einige Tage nach dem ersten Vollmond kam eine junge Frau ins Heilerzelt. Fissul begrüßte sie indem er mit der Hand einen kleinen Kreis vollführte die Handfläche zu seinem Gegenüber und legte dann die Hand auf sein Herz, Handfläche zum Herz. Ich hatte die Begrüßung schon oft gesehen, doch dass er am Ende die Handfläche auf sein Herz legte war neu. Wie automatisch vermutete ich, dass dies eine Begrüßung für ganz besondere Menschen war. Eventuell war diese Frau mit Fissul verwandt. Die Frau begrüßte Fissul mit der gleichen Geste. Fissul nahm wieder seine Hände zur Hilfe. Diesmal brummte er und bewegte seine gespreizten Hände in zwei Kreisen über seinen Oberkörper. Diese Geste hatte ich vom ersten Tag an gesehen, es war die Frage, welches Leiden die Leute plagte. Die Frau zeichnete mit ihrem Finger einen nach unten geöffneten Halbkreis auf ihre Stirn. Fissul drehte sich zu mir um: „Schwester, Kopfschmerzen, einen Tag“ Ich nickte obwohl ich die Zeichen schon verstanden hatte.

So wie ich deren Sprache lernte, lernte Fissul das heilen. Ich reichte ihm die Primana Wurzel, zeigte mit meinen Fingern eine Drei und er schnitt sofort drei dünne Streifen ab. Währenddessen schüttete ich etwas von dem Wasser, welches stets über dem Feuer köchelte, in eine Schüssel und stellte sie neben Fissul auf den Tisch. Dieser schob die gerade geschnittenen Wurzelstücke in die Schüssel. Ich gab noch ein paar Jamaiala Blüten, die ich mit dem Stößel zerkleinert hatte, hinzu und Fissul rührte die Mischung gut durch. Da der Tee noch ein paar Minuten ziehen musste, nahm ich vom Regal ein Gefäß in dem ich eine fertige grüne Paste aufbewahrte. Ich nahm den Deckel ab und roch an der Paste. Sie verströmte einen angenehmen Geruch, der beruhigend wirkte. Aufgetragen würde die Paste sich kühl anfühlen. Mit einem Holzspachtel nahm ich ein wenig heraus und füllte es in eine kleine Schüssel aus Holz.

Mit der kleinen Schüssel ging ich zu Fissuls Schwester und reichte ihn ihr. Dann tat ich so als würde ich etwas von der Paste mit jeweils zwei Fingern meiner Hände herausnehmen und rieb mir dann die Schläfen mit den zwei Fingern. Die Frau nickte. Ich zeigte ihr meine flach nach oben gerichtete Handfläche und zeichnete darauf mit der anderen Hand einen nach unten geöffneten Halbkreis, dann hielt ich drei Finger in die Luft. Wieder nickte die Frau, anerkennend sah mich Fissul an. Ganz ohne seine Hilfe hatte ich es geschafft seiner Schwester zu erklären, wie das Medikament verwendet wurde und, dass sie es den Tag über dreimal anwenden sollte.

Nachdem die Frau ihren Tee getrunken hatte, bedeutete ich ihr, dass sie sich nun ausruhen sollte. Sie verabschiedete sich von Fissul, indem sie die Geste der Begrüßung nur umgekehrt vollführte. Fissul antwortete mit der gleichen Geste. Bevor sie ging wandte sie sich auch mir zu und neigte leicht den Kopf. Zu erstaunt um zu antworten stand ich da, während ihr der Wächter draußen die Zeltplane aufhielt und sie verschwand. Es war das erste Mal, dass sich eins der Clanmitglieder der Twinkikis bei mir bedankte. Bisher hatten sie alle nur Fissul gedankt. Fissul stupste mich an, ich erstarrte aus meiner Erstarrung und machte alles fertig für die nächsten Patienten.

Nach dem zweiten Vollmond hatte ich das Gefühl nun jedes einzele Clanmitglied mindestens einmal behandelt zu haben, wobei mir der Verdacht gekommen war, dass viele von ihnen einen Grund vorschoben um mich zu sehen. Auch für sie war ich sonderbar, wie ein merkwürdiges Tier, welches man auf jeden Fall beobachten wollte. Trotz ihrer Neugier und kleinen Dankesbekundungen, die ich immer häufiger bekam, behielt ich dennoch den Status einer Gefangenen. Und diesen Satus ließen sie mich nie vergessen.

Einmal entdeckte ich auf meinem Weg zurück in mein Loch die Blüte einer Taimala Blume. Diese blassrosa Blüte mit den lila Streifen, die aussahen wie Adern, war eine meiner Lieblingsblüten. Ich blieb stehen um sie mir genauer anzugucken. Mein Wächter reagierte sofort. Schneller als ich registrieren konnte, dass er dies für eine Flucht halten könnte, lag ich bereits auf dem Boden, das Gesicht in den Staub gepresst und die Hände, die hinter meinem Rücken gefesselt waren, schmerzhaft nach oben gezogen. „Ich wollte mir nur die Blüte ansehen“ entschuldigte ich mich, wobei ich den Staub in die Nase bekam und heftig niesen musste. Natürlich hatte der Wächter mich nicht verstanden, aber so auf dem Boden liegend mit den Händen auf dem Rücken und einem heftigen Niesanfall konnte ich es ihm auch nicht anders deutlich machen. So lag ich eine ganze Weile auf dem Boden und niese bis mir die Tränen kamen.

Dann entschied der Wächter, dass ich wohl doch keine Bedrohung mehr war und drückte mich nicht länger zu Boden. Ungelenk versuchte ich aufzustehen und gleichzeitig blickkontakt mit ihm zu halten, damit er von keinem erneuten Fluchtversuch ausging. Diesen Abend wurde ich ohne Essen in mein Loch gesteckt. Der Mann sah mich noch einmal scharf an bevor er ging. Gedemütigt und Erschöpft lehnte ich mich, mit der Wange, die über den Boden geschrapt war, gegen die kühle Felswand und genoss die Kälte auf meiner wunden Haut.

Ich war nun seit über zwei Monaten hier und in der Zeit hatte sich mein Verdacht vom Anfang bestätigt. Sie brauchten mein Können als Heilerin und auch wenn ich als Mensch anscheinend eine Kuriosität darstellte, die man unbedingt mal gesehen haben musste, so war ich ihnen als Mensch nicht mehr wert als ein Haufen Schmutz und Staub. Der Wunsch zu meiner Familie zu kommen, die mich akzeptierte war übermächtig. Mit dem Blick auf den voller werdenden Mond, der bald zum dritten Vollmond meiner Gefangenschaft werden würde, erlaubte ich mir den Gedanken an Nossan und an Vazal. Falls ich es zurück schaffen würde, wäre nichts wie vorher. An diesem Abend konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und die Tränen flossen, bis mich die Müdigkeit übermannte.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt