Die Stürme

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Ein Ohrenbetäubender Donnerschlag weckte mich und ließ die Wände um mich herum erzittern. Sofort hellwach kroch ich vorsichtig zum Gitter um nach draußen zu spähen. Ein weiterer Donner und gleich darauf erhellte ein Blitzschlag den Himmel. Entsetzt kreischte ich auf und verzog mich in die hinterste Ecke meines Gefängnisses und kauerte mich dort zusammen. Der Blitz hatte zwei Stürme enthüllt, die sich unglaublich schnell auf mich und das Dorf zubewegten. Tamis war noch nicht zufrieden und diese Stürme sahen nicht so aus als könnten sie besänftigt werden.

Auch wenn meine Höhle nicht tief war, hoffte ich doch, dass sie mir mehr Schutz bot als ein Zelt. Voller Angst drückte ich mich an die kalte Steinwand, vergrub meinen Kopf zwischen den Knien und hielt mir so die Ohren zu. Auch wenn das Chaos draußen nun nur noch gedämpft zu mir drang war es dennoch unglaublich laut. Es dauerte nicht lange, bis die Stürme das Dorf erreichten. So gut es ging hielt ich mir die Ohren zu, doch ich konnte den Krach nicht ausblenden. Die Stürme waren schnell und mit einem Mal wurde es stiller. Vorsichtig hob ich meinen Kopf zwischen meinen Beinen hervor und krabbelte zum Gitter.

Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts einer der Stürme nur wenige Meter vor der Höhle auf. Ich ließ mich nach hinten Fallen, hörte ein Krachen, dann erbebte die Höhle. Etwas zerbarst und traf mich schmerzhaft am Linken Bein. Vor Schreck hechtete ich blindlings nach hinten, stieß mir den Kopf an und alles wurde schwarz und still.

Voller Panik schlug ich die Augen auf. Ich konnte nicht lange Ohnmächtig gewesen sein, doch die Stürme waren weitergezogen und ich hörte sie nur noch weit entfernt. Beim Aufrichten hielt ich mir den Kopf und mir wurde leicht schwindelig. Ich schloss kurz die Augen, bis das Schwindelgefühl nachließ. Mit klarer Sicht sah ich mich um. Der Sturm hatte direkt vor mir gewütet und einen Baum gegen den Felsen geschleudert. Ein großer Ast hatte das Gitter zerschlagen und lag nun mitten in meiner Höhle.

Bei dem Versuch meine Beine anzuziehen zuckte ich schmerzhaft zusammen. Mein linkes unteres Bein lag unter einem dicken Zweig. Möglichst ohne das Bein oder den Zweig zu bewegen, setzte ich mich so, dass ich einigermaßen gut an den Ast herankam. Mit meinen schwachen Armen versuchte ich den Ast anzuheben. Dies gelang jedoch nur für wenige Zentimeter, da der Zweig sich an der Felswand verkeilt hatte. Langsam ließ ich den Zweig wieder runter und unterdrückte dabei einen Schmerzenslaut. Dann untersuchte ich die Stelle an der der Zweig sich verkeilt hatte.

Nach einem Moment des Suchens sah ich einen handgroßen Stein, den der Ast aus der Höhle gebrochen hatte. Ich besah mir die scharfe Kante des Steins und machte mich dann daran den Zweig dort zu bearbeiten, wo er auf die Felswand traf. Es war eine mühsame und sehr Kräfte raubende Arbeit bei der meine Arme schon nach kurzer Zeit protestierten. Doch schließlich hatte ich es geschafft den Zweig so weit zu kürzen, dass er nicht mehr verkeilen sollte. Dann sammelte ich die letzten Kraftreserven meiner Arme zusammen und stemmte den Zweig erneut nach oben. Diesmal gelang es mir ihn weit genug zu heben um mein Bein zu befreien.

Erschöpft rutschte ich nach hinten und lehnte mich gegen die Felswand. Mein Kopf pochte inzwischen wie wild und übertrumpfte damit das Pochen in meinem Bein. Ich erlaubte mir für wenige Atemzüge die Augen zu schließen und den Kopf an der Felswand zu kühlen. Doch die Ungewissheit, was mit meinem schmerzenden Bein war ließ mir keine Ruhe, so öffnete ich die Augen und versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Mein Bein, welches unter meinem hochgerutschten Gewand nun nackt vor mir lag, war dunkel. Ich beugte mich so weit vor, wie ich nur konnte, konnte jedoch die Wunde nicht erkennen.

Mit dem Stein trennte ich die Ärmel meines Gewandes ab, teilte sie längs in jeweils zwei Streifen und band mir alle vier Streifen so fest ich konnte um Schienbein und Wade. Ich brauchte Licht, Kräuter und frisches Wasser um mein Bein und meinen Kopf zu behandeln. Erst jetzt fiel mir das völlig zerstörte Gitter so richtig auf. Der Ast blockierte viel von dem Eingang, jedoch blieb noch genug Platz um sich rauszuschlängeln. Die Öffnung war weniger ein Problem, als der Weg dahin. Der dicke Ast mit seinen vielen Zweigen blockierte meine Höhle. Entmutigt ließ ich mich wieder gegen die Felswand sinken und starrte den Ast finster an.

Während ich da so saß schossen mir die „Was wäre wenn?“ Fragen durch den Kopf. Was wäre wenn ich aus dieser Höhle käme? Würde ich weglaufen? Mitten in der Nacht und verletzt? Und würde ich alle Twinkikis im Stich lassen, die durch die Stürme vermutlich ebenso hart getroffen worden sind wie ich? Würde nicht vermutlich jede Sekunde einer der Clansmänner kommen um mich für die Verletzten zu holen? Was würden sie mir antun, wenn ich dabei war zu fliehen? Würden sie mich töten, wenn ich den Clan nach dieser Katastrophe geheilt hatte?

Mit einem Mal kam mir Nefets Stimme in den Sinn. „Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, was du wirklich willst und wie du das erreichen kannst?“ hatte sie mich gefragt, als sie gerade sechzehn geworden war, kurz vor meinem sechszehnten Geburtstag. „Ich will doch einfach nur, dass der Clan mich akzeptiert.“ Hatte ich ihr geantwortet. „Aber das kommt doch nicht einfach so. Schließlich ist es jetzt sechszehn Jahre lang nicht passiert. Vielleicht musst du ja etwas dafür tun.“ Ihr Worte hatten mir zu denken gegeben und nur ein halbes Jahr später hatte ich bei Mandoo heimlich angefangen was zu lernen und ein weiteres halbes Jahr später hatte er mich inoffiziell zum Lehrling gemacht.

Nun fragte ich mich erneut was ich wirklich wollte. Hier bei den Twinkikis bleiben und als Gefangene bei jeder Behandlung um mein Leben fürchten? Oder wenigstens versuchen zu fliehen und zu meiner Familie zu kommen? Die Entscheidung war schnell getroffen. Wenn ich nicht wenigstens versuchen würde zu fliehen, würde ich mir das nie verzeihen. Mit neuer Entschlossenheit nahm ich den Ast vor mir in Augenschein und mit einem Mal sah ich es. Einige der Zweige, die mir den Weg versperrten waren nur sehr dünn. Zwar mit vielen Blättern, wodurch sie gewaltig aussahen in der kleinen Höhle, jedoch im Übergang zum Ast nur sehr dünn. Erneut mit dem Stein bewaffnet, der mir heute schon zweimal das Leben gerettet hatte, machte ich mich daran einen Zweig nach dem nächsten vom Ast abzuschneiden und dadurch dem Ausgang immer näher zu kommen.

Ich war nur noch einen Zweig vom Ausgang entfernt, als ich plötzlich Stimmen hörte. Es klang, als wären mindestens drei Männer auf dem Weg zu mir den Hügel hoch. Sofort setzte ich den Stein wieder an und verdreifachte meine Anstrengungen den Zwei abzuschneiden. Endlich hatte ich es geschafft und robbte vorwärts um mich schließlich seitlich vom Ast fallen zu lassen. Ich war draußen, die Freude hielt nicht mal eine Sekunde. In der Deckung des Astes, blickte ich den Hügel hinab. Meiner Intuition nach hätten die Männer mich längst erreichen müssen. Doch bei dem Blick in das Tal wurde mir klar, weshalb ich noch nicht mit hinter den Rücken gefesselten Händen grob zum Dorf geführt wurde.

Das kleine Tal in dem das Dorf lag sah aus, als wären zwei Herden mit Büffeln in Schlangenlinien durch das Dorf gelaufen und hätten sich am Fuß des Hügels getroffen um von dort an zusammen alles zu Zertrümmern. Der Baum, der gegen meinen Felsen gefallen war, war einer von Fünfen die Kreuz und Quer den Hügel hinauf lagen. Ein Durchkommen zum Dorf war fast unmöglich. Die drei Männer, deren Stimmen ich gehört hatten waren nun mit Äxten dabei sich den Weg freizuschlagen. Jedoch würde es sicherlich noch mindestens zwei Stunden dauern, bis sie bei meiner Höhle ankommen würden. In dem Dorf brannten schon die ersten Feuer und der Clan war dabei aufzuräumen. Ich konnte nicht abschätzen, wie viele von den Zelten zerstört worden sind, doch ich schätzte, dass es ein bisschen weniger als die Hälfte getroffen hatte.

Ich atmete tief ein und riss mich von dem Bild der Zerstörung im Tal los. Endlich war ich frei, nun musste ich mir einen Fluchtweg suchen. Hinter mir und den Hügel hoch ragten die Felswände in die Höhe, das Tal war keine Lösung, daher blieb nur der Weg an den Felswänden entlang. Schon am zweiten Tag meiner Gefangenschaft hatte ich anhand der Sonne die Himmelsrichtungen eingeschätzt. Der Weg, den ich mir aus mangelnder Alternative als Fluchtweg ausgesucht hatte, führte nach Westen. Die Twinkikis waren von meinen Dorf aus nach Süden gegangen. Somit müsste ich im Norden nach meinem Clan suchen. Ich werde wohl einen Umweg machen müssen. Doch meine momentane Sorge war eher einen halbwegs passierbaren Weg zu finden. Denn obwohl ich durch die umgestürzten Bäume etwas Zeit gewonnen hatte, so behinderten sie auch mich beim Vorwärtskommen.

Ich verließ die Deckung meines Astes, achtete jedoch darauf, weiterhin für die Männer nicht sichtbar zu sein und versuchte mir einen Weg zu bahnen. Ich kroch durch das Blätterwerk der Bäume, kletterte über dicke Stämme und schnitt mir den Weg mit dem Stein frei, bis mit einem Mal die Zerstörung aufhörte. Plötzlich stand ich auf einer unberührten Ebene wo sich die Blätter an den Bäumen im Wind wiegten. Erleichtert die Tortur endlich überstanden zu haben brach ich an Ort und Stelle zusammen und schloss nur für einen kurzen Moment die Augen.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now