Nael

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Bis zum Morgen des folgenden Tages wachte abwechselt jemand an der Seite von Nael. Sein Bruder verließ ihn nicht mal für eine Sekunde und schlief mit Naels Hand in seiner. Nael war nur selten wach und in diesen Momenten auch nur schlecht ansprechbar. Es war, als würde man durch Watte mit ihm reden. Der Tee wurde ihm eingeflößt, doch so langsam war ich nicht mehr sicher, dass es noch helfen würde. In den Morgenstunden begann er plötzlich zu glühen. Iker, der bei ihm Wache gehalten hatte rannte, um mich zu wecken. Als ich das Zelt betrat wusste ich sofort, dass ich nichts mehr tun konnte. Im Fieberwahn wand sich Nael unter Schmerzen, sein Gesicht war weiß und mit Schweiß überzogen. Langsam ging ich auf ihn zu und ließ mich neben ihm sinken.

Nach einem Moment nahm ich Gaels Hand und brachte ihn dazu mich anzusehen. In seinen Augen standen Tränen. „Es tut mir leid Gael, aber es wird Zeit sich von Nael zu verabschieden." Sagte ich sanft. „Nein, Nein, er braucht nur noch mehr von dem Tee." Stieß Gael hervor und fing an hektisch nach dem Krug mit dem Tee zu suchen. Ich hielt ihn an den Schultern fest. „Dein Bruder wird den Kampf nicht mehr gewinnen. Ich kann ihm jetzt nur noch etwas geben, um ihn in Frieden gehen zu lassen." „Irgendwas muss es doch noch geben. Hast du denn nicht noch was in deiner Tasche?" Er zog meine Tasche mit den Kräutern heran und fing an sie zu durchwühlen. „Es gibt nichts mehr. Gael, sieh mich an." Ich hielt ihn erneut fest. „Gael, verabschiede dich von ihm. Das ist das Einzige, was du noch tun kannst." Gael warf einen Blick auf seinen Bruder, dann sah er wieder mich an. „Du bist keine Heilerin. Gervais hätte ihn heilen können. Er hätte ihn gerettet, aber du lässt ihn sterben." Mir traten nun auch Tränen in die Augen. „Es tut mir so unendlich leid, Gael." Jetzt hielt er mich an meinen Schultern und schüttelte mich. „Mach irgendwas. Du musst ihm helfen, ..." Er hörte auf mich zu schütteln und fügte kalt hinzu: „...sonst bist du schuld an seinem Tod."

Seine Worte schmerzten mich, vor allem, da ich es ja selbst kaum ertrug nicht helfen zu können. Aber ich wusste auch, dass die Trauer aus seinen Worten sprach. Daher ging ich nicht weiter auf seine Worte ein und löste mich aus seinem Griff. „Lass mich den Trank für deinen Bruder zusammenmischen." Still mischte ich die Kräuter, wie ich sie auch für Mandoo gemischt hatte. Ich entfachte das Feuer im Zelt neu, was zur Glut heruntergebrannt war, und ließ das Wasser aufkochen. Nachdem die Kräuter gezogen hatten, kühlte ich das heiße Getränk mit kaltem Wasser ab und rutschte an Nael heran. Sein Bruder strich ihm über die Stirn und flüsterte ihm leise unzusammenhängendes ins Ohr. Auf der anderen Seite von Nael strich ich ihm sanft über die Wange, öffnete mit den Fingern seine Lippen und ließ den Tee langsam in seinen Mund rinnen. Ich sah, wie er beschwerlich schluckte. Seine Augen flackerten, er öffnete sie kurz und sah Gael an. Dann übermannte ihn die Müdigkeit. Er schloss sanft die Augen und sein Körper entspannte sich. Er glitt in den Schlaf.

In vollkommener Stille saßen Gael und ich neben ihm, während ich an Naels Handgelenk seinen Puls fühlte, bis ich ihn nicht mehr ertasten konnte. Ich legte Naels Hand auf seinen Körper, stand auf und verließ leise das Zelt. Das Lager war bereits erwacht und alle sahen von ihrem Frühstück auf, als ich aus dem Zelt kam. Ein Blick auf mein Gesicht reichte, um die Stimmung zu kippen. Mit einem Mal blickte jeder betreten in seine Schüssel und diverse Tränen flossen. Ich setzte mich zu ihnen und starrte ins Feuer.

Nael wurde am Abend verbrannt. Enzo las aus der Bibel und Adriana stimmte ein trauriges Lied an, während Gael mit der Fackel zu dem Podest aus Ästen trat, auf den Nael mit einem weißen Tuch verhüllt lag. Lange standen wir alle vor dem Feuer und gingen dann einer nach dem anderen ins Bett.


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now