Der Belaura-Clan

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Das Knacken von Zweigen verriet die Ankunft der Männer aus dem Belaura-Clan und unsere Wachen stellten sich schützend vor uns. Die Waffen in der Hand, jedoch auf den Boden gerichtet. Auch vom Belaura-Clan sahen wir zuerst die Wachen, die ihre Waffen ebenfalls bereithielten, jedoch ohne Bedrohung. Vorneweg ging Telmar, dessen riesige Erscheinung mich erneut beeindruckte. Jetzt wo er auf wenige Meter herangekommen war, sah ich, dass er selbst Mark, den größten unter uns um mindestens einen Kopf überragte. Zwischen den Reihen der Wächter sah ich einen gebückt gehenden Mann, der sich auf einen Stock stützte. Das muss der Anführer sein, was ein sehr gutes Zeichen war, denn jetzt wusste ich, dass es sich um keinen kriegerischen Clan handelte. Dieser Clan konnte sich gewiss verteidigen, doch da der Anführer kein körperlich herausragender Krieger war, bedeutete es, dass das Bestehen des Clans nicht vom Krieg abhing. Ich atmete auf. Für den ersten Versuch einer Verhandlung hätten wir keinen besseren Clan treffen können.

Ich gab Adriana ein Zeichen und sie trat vor, durch den Schutz unserer Wachen. Sie musste nicht ihre Sprache sprechen, um zu verdeutlichen, dass sie die Anführerin war und zu friedlichen Verhandlungen einlud. Im Vorfeld dieses Treffens war ich mit ihr viele Verhaltensregeln durchgegangen. Auch auf der Seite des Balaura-Clans rührte sich der Anführer und ging, wenn auch deutlich langsamer in unsere Richtung, während ihm die Wachen Platz machten. Die beiden Gruppen hatten sich zu zwei Seiten des Feuers eingefunden, welches wir errichtet hatten, sodass sich Adriana und der Belaura Anführer nun an eben jenem niederlassen konnten. Die Wachen standen zu beiden Seiten im Halbkreis um das Feuer herum und schirmten die Gesprächspartner voneinander ab. Unauffällig und leise stahl ich mich zwischen den Wachen hindurch und setzte mich leicht nach hinten versetzt neben Adriana. Diese bot dem Anführer gerade etwas zu trinken an, was dieser mit kurzem prüfendem Schnuppern annahm. Wir hatten einen Tee aus nachtblühenden Kräutern gekocht, die zur Verehrung des Gottes Moan gebräuchlich sind. Aus der Art, wie Telmar die Zeit auf Mondaufgang und nicht Sonnenuntergang gelegt hatte, hatte mir verraten, dass dieser Clan den Gott Moan, den Gott des Mondes anbetet. Der kleine Bruder der Göttin Sona wird für Klarheit und Wissen verehrt.

Da Adriana den Anführer nicht begrüßen konnte übernahm ich dies an ihrer Stelle: „Seid gegrüßt weiser Mann, mein Name ist Siela, ich übersetzte für die Anführerin unseres Trupps Adriana." Der Blick des Mannes glitt zu mir: „Es freut mich eure Bekanntschaft zu machen Siela und Adriana. Ich möchte mich ebenso vorstellen. Mein Name ist Derad und wir können die höflichen Floskeln gerne beiseitelassen. Es wird euch schon schwer genug fallen das Gespräch zu übersetzen." Ich lächelte ihn dankbar und offen an. Er gefiel mir schon jetzt. Schnell übersetzte ich die Worte und Adriana gab mir die Anweisung uns als Forscher vorzustellen. So wandte ich mich wieder Derad zu, der gespannt den für ihn fremden Worten gelauscht hatte. „Diese Truppe gehört ..." setzte ich an, dann korrigierte ich mich jedoch. „Wir gehören zu einem Clan, der am großen Wasser lebt. Vor vielen Jahren haben einige von ihnen das große Wasser überquert und sich hier angesiedelt. Wir nennen uns „el español" nach dem Land, aus dem wir stammen. Wir sind hierhergekommen um mehr über das Land und die Menschen hier zu erfahren, Handel zu treiben und Verbündete zu finden."

Derad hörte mir aufmerksam zu, dann erwiderte er nach kurzer Pause: „Ich habe von weißen Menschen gehört und habe gehört, dass sie nur Krieg wollen. Doch jetzt sitzt ihr hier und erzählt etwas von Handel und Wissen. Du kannst unsere Sprache, doch die anderen noch nicht mal ein Wort. Wie kommt das, da ihr nun schon so viele Jahre hier seid?" Ich schluckte. Dieser Mann musste wirklich in enger Verbindung zu Moan stehen. Mit wenigen Sätzen hatte er den Stimmungswandel, welcher erst einige Tage zurücklag, erfasst. Adriana bemerkte mein Zögern und schaute mich auffordernd an. Ich übersetzte ihr die Worte so gut es ging in Derads Wortlaut. Sie überlegte kurz, dann antwortete sie Derad, als würde er sie verstehen: „Sie sind ein kluger Mann und haben unsere Situation genau erfasst. Diese Frau hier neben uns hat uns dazu gebracht umzudenken. Ihr, die erst vor kurzem in unser Leben getreten ist, ist es zu verdanken, dass wir zum ersten Mal vor einem Anführer eines Clans sitzen und in Verhandlungen gehen wollen." Ich übersetzte ihre Worte ebenfalls Wort für Wort. Derad wandte sich nun auch Adriana zu und sprach mit ihr: „Vielen Dank für Eure Offenheit und Ehrlichkeit. Dies wird in diesem Clan hochgeschätzt. Bevor ich nun mit euch verhandeln möchte, brennt es mich doch die Geschichte dieser jungen Frau zu erfahren, denn ich bin mir sicher sie ist einzigartig." Erneut wurde ich meiner Rolle gerecht und übersetzte. Adriana lächelte und gab mir dann mit einem Nicken zu verstehen, dass ich seine Bitte erfüllen sollte.

So teilte ich zum ersten Mal jemandem meine volle Geschichte mit, die erst vor kurzem ihre fehlenden Teile gefunden hatte. Derad lauschte aufmerksam und ich merkte auch, wie die anderen Männer in seiner Nähe zuhörten. Nachdem ich geendet hatte neigte Derad tief seinen Kopf: „Ich fühle mich geehrt Teil einer so außergewöhnlichen Lebensgeschichte zu sein. Ihr habt in euerem jungen Leben schon viel erlebt und erreicht. Doch ich komme nicht umhin zu bemerken, dass euer Name nun nicht mehr wirklich zu passen scheint. Siela, die Verlorene. Doch in dieser Geschichte erkenne ich keine Verlorenheit mehr." Ich runzelte die Stirn, doch bevor ich näher über seine Worte nachdenken konnte begannen auch schon die Verhandlungen und lenkten meine Gedanken ab.


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now