Druckmittel

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Mir klappte der Mund auf und der Mann hinter mir zog grob an meinen hinter dem Rücken gefesselten Händen, sodass ich gegen ihn fiel. Der Mann gab mir keine Chance mich aufzurichten, sondern zog mich hinter sich her durch das Lager. Der Clan, der bei meiner Ankunft durch die Aussicht auf das Abendessen nur wenig Notiz von mir genommen hatte stand nun versammelt vor dem Zelt und bildete einen Spalier, durch den ich gezogen wurde. Die Menschen in diesem Clan schienen die Situation eindeutig besser zu verstehen als ich, denn sie jubelten und prosteten sich mit den Bechern zu. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken und ich schaffte es kaum mich darauf zu konzentrieren wo wir hingingen, was auch dem Umstand geschuldet war, dass ich rückwärts ging und ich bei dem Versuch meinen Kopf nach vorne zu drehen schon mehrmals gestolpert war.

Ohne Vorwarnung verschwand der Zug an meinen Händen und ich plumpste hart auf mein Hinterteil. Ehe ich mich aufrichten konnte wurde ich wieder gezogen. Da meine Hände durch den Sturz jedoch zu weit unten waren, nahm der Mann diesmal meine Haare. Ich biss meine Zähne zusammen um mir die Blöße eines Aufschreis nicht zu geben. Der Mann katapultierte mich in Etwas, was im Ersten Moment aussah wie ein lichtdurchfluteter Raum. Ich landete erneut auf meinem Hintern, der diesmal so protestierte, dass ich mich auf der Stelle zur Seite rollte um keinen Druck mehr auf ihn auszuüben. Hinter mir raschelte es, dann knarzte etwas und rumste gegen das Zimmer. Ohne mich orientieren zu können, wusste ich, dass ich eingesperrt war.

Da lag ich nun, auf meiner rechten Seite mit den Händen hinter dem Rücken fest verschnürt. Ich schloss kurz die Augen und atmete dreimal tief ein und aus. Dann öffnete ich die Augen, drehte mich auf meinen schmerzenden Hintern, winkelte ein Bein an, brachte mich in eine kniende Position und stand schließlich auf. Noch nicht vollständig aufgerichtet, stieß ich mit dem Kopf gegen die Decke. Also blieb ich gebückt stehen und sah mich um. Was mir vorhin wie ein lichtdurchfluteter Raum vorgekommen war, war ein Gebilde aus mehreren dicken Stämmen, die einen Quader bildeten und vielen dünnen Zweigen, die so miteinander und mit den dicken Stämmen verwoben waren, dass sie die rechteckigen Felder, die die Stammkonstruktion frei ließ, ausfüllten. Ich hatte noch nie so etwas gesehen. Es wirkte wie unsere Zelte, nur robuster, da das Holzskelett nicht durch Stoff überspannt wurde, sondern mit diesen Zweigen ausgefüllt wurde. Bei genauem Hinsehen erkannte ich, dass im unteren Bereich Erde zwischen die verwobenen Zweige gestopft worden war. Wo bei dem restlichen Raum noch das schwache Licht der sinkenden Sonne zu erkennen war, war es an dieser Stelle komplett dunkel.

Über mein Staunen angesichts dieser Baukunst, vergaß ich für einen Moment meine Lage. Doch als ich die Öffnung des Zimmers sah, die durch mehrere übereinander befestigte Bretter versperrt war und sich auch bei vorsichtigem gegenlehnen nicht rührte, war meine Vermutung bestätigt. Ich befand mich erneut in Gefangenschaft. Doch diesmal war mir der Grund meiner Gefangenschaft nicht klar. Da das Stehen in der geduckten Haltung langsam anstrengend wurde, ließ ich mich erneut nieder und legte mich um meinen Hintern zu schonen auf die Seite. Ich blickte gegen ein nicht ausgefülltes Geflecht und konnte die rosa gefärbten Wölkchen der untergehenden Sonne sehen.

Stück für Stück nahm ich das Gespräch auseinander. Dieser Halander Clan schien die Weißen zu kennen. Auch schienen sie mir weitestgehend meine Geschichte zu glauben und wollten mich auch zu den Weißen bringen. So viel zu den Fakten, die leider nicht wirklich reichhaltig waren. Doch als die Männer von den Weißen gesprochen hatten, schwang ein Groll mit. Ich konnte mir gut vorstellen, dass dieser Clan die Weißen hasste. Dies erklärte jedoch alles immer noch nicht meine Gefangenschaft und das „Interesse“ welches der Anführer erwähnt hat. Ich schüttelte den Kopf. Meine Gedanken sprangen wirr hin und her. Ich versuchte mich auf die letzten Sätze zu konzentrieren, die der Anführer zu mir gesagt hatte: „Doch andererseits haben die Weißen dann ja vielleicht noch mehr Interesse an dir.“ Und „Wir werden dich zu deinen Leuten bringen, vorausgesetzt sie haben Interesse an dir“.
Zweimal dieses „Interesse“. Warum sollte mich der Clan nur den Weißen übergeben können, wenn die „Interesse“ an mir haben. Ich hielt plötzlich inne und mit einem Mal löste sich der Knoten in meinem Kopf und mir war alles klar. „Übergeben!!“ Der Clan würde mich den Weißen übergeben, als Gefangene und Gefangene übergibt man nur, wenn man dafür etwas bekommt. Ich war also nichts weiter als ein Druckmittel für sie, sie würden mich hier festhalten, bis sie mit den Weißen in Verhandlung getreten waren um was auch immer zu verlangen und mich dann dagegen auszutauschen.

Mit einem Mal lief es mir kalt über den Rücken. Doch dieser ganze tolle Plan würde nur funktionieren, wenn die Weißen bereit waren die Forderungen zu erfüllen und dafür müssten sie ein Interesse haben mich frei zu bekommen. Mich, eine völlig Fremde, die mit einem Mal in ihrer Nähe auftaucht und behauptet sie würde zu einem Clan gehören. Niemand, mich eingeschlossen, wusste wer ich war und wer holt schon jemand völlig fremdes in sein Lager und muss dafür unter Umständen noch was sehr wertvolles eintauschen? Und was würde passieren, wenn die Weißen nicht auf den Handel eingehen würden? Genau, ich würde überflüssig werden und jemand, der überflüssig ist und eventuell sogar zu den Feinden gehört, den will man ganz bestimmt nicht behalten und vermutlich auch nicht riskieren, dass derjenige am Leben bleibt. Die einzige Möglichkeit war also den Fremdling zu töten.

Die Wucht der Erkenntnisse traf mich wie ein Schlag gegen die Brust und mir stockte der Atem. Ich saß hier, in diesem komischen Zimmer und konnte nur abwarten, ob Fremde für mich zahlen würden oder jemand von dem Clan kommen würde um mich zu töten. Obwohl ich schon lange nichts mehr gegessen hatte wurde mir übel und ich musste an mir halten um mich nicht zu übergeben. Mir blieb nur ein Ausweg: Ich musste zu den Göttern beten, am Besten gleich zu allen. Nur sie konnten mir jetzt noch helfen.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now