Ungeheuer

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Alles stürzte auf mich ein und begrub mich. Es dauerte einige Sekunden in denen ich nur bewegungslos dalag, bis ich mich aus dem Stoff meines Zeltes, welches über mir zusammengebrochen war befreite. In unserm Lager war die Hölle ausgebrochen. Auf Händen und Füßen fand ich mich plötzlich mitten in einem Kampf wieder. Meine Weggefährten kämpften mit Ungeheuern, die deutlich in der Überzahl waren. Jeder war in einen Kampf verwickelt, sodass niemand bemerkte, wie ich still zum nächsten Baum kroch. Auf der dem Kampf abgewandten Seite richtete ich mich auf und zog dabei das kleine Messer aus meinem Stiefel. Dann stürzte ich mich ins Getümmel.

Eine dieser Ungeheuer kämpfte mit Nael und hatte ihn bereits auf den Boden geworfen und sich über ihn gebeugt. Ich sprang herbei und nutzte den Schwung, um mich gegen das Ungeheuer zu werfen. Ich stürzte gegen das dunkel gekleidete und mit einer schrecklichen Fratze versehene Vieh. Das Ding geriet aus dem Gleichgewicht, hielt sich reflexartig an mir fest, was wiederum meinen nur sehr schwachen Stand ins Wanken brachte, sodass wir beiden zur Seite wegfielen. Plötzlich lag ich auf dem Ungeheuer zwischen dem Laub und erkannte im schwachen Schein des Feuers, dass es sich bei der Fratze nur um eine Maske handelte und sich unter der Maske ein Mensch versteckte.

Der Mensch bewegte sich unter mir und ich hob die Hand, in der ich immer noch das Messer hielt an seine Kehle. Der Widerstand erstarb sofort und ich erkannte braune Augen, die mich aufmerksam musterten. Nael war aufgesprungen und hatte sein Gewehr geholt: „Weg da!" rief er mir zu und ich rollte mich von dem Angreifer. Dieser blickte nun in den Lauf von Naels Waffe. Ich hörte das Klicken, mit dem er es entsicherte und sah, wie er mit einer Hand nach der Zunderbuchse tastete um die Lunte zu entzünden. „Erschieß ihn nicht. Er stellt keine Gefahr da. Wir müssen ihn nur fesseln." Nael warf mir aus den Augenwinkeln einen Blick zu: „Dieses Vieh hat mich angegriffen, dafür soll es sterben." „Aber es ist ein Mensch. Nur ein Mensch mit einer Maske." Versuchte ich auf Nael einzureden. Dann drehte ich mich um und nahm die Schnur des nächsten zusammengestürzten Zeltes.

Aufmerksam betrachtete ich Nael, der zwar nun die Zunderbuchse in der Hand hielt, jedoch keine Anstalten machte diese zu entzünden. Erleichtert kniete ich mich neben den Angreifer, drehte ihn vom Rücken auf den Bauch und tastete nach den Handgelenken. Ich beugte mich über ihn um an seine andere Hand zu kommen, als er plötzlich seinen Kopf nach hinten warf, mich hart an der Stirn traf und aufsprang. Nael hatte es nicht kommen sehen und so war die Lunte noch nicht entzündet, als der Angreifer aus den Falten seines Gewandes ein Messer zog und es tief in Naels Bauch stieß. Mit einem Stöhnen sackte Nael zusammen und ich stieß einen Schrei aus. Der Angreifer verschwand im Wald, noch bevor Nael den Boden berührt hatte.

Ich robbte so schnell ich konnte auf Nael zu, der wie betäubt auf das Messer in seinem Bauch starrte. Mit einer Hand griff er nach dem Messer und wollte es herausziehen. „Nein, nicht herausziehen." Schrie ich ihm zu. Ich schaffte es zu Nael und löste sanft seine Hand von dem Griff des Messers. „Nael, was ist passiert." Wie aus dem Nichts tauchte Gael hinter mir auf und ließ sich mit einem lauten Knall neben mir fallen. Gael sah die Wunde in Naels Bauch und Tränen traten in seine Augen. Er legte seine Stirn an die von Nael und verharrte dort. Aus Angst, die Angreifer könnten die Situation ausnutzen sah ich auf und bemerkte, wie sich die letzten Gestalten in den Wald verzogen. Als hätte Gael ein Blitz getroffen nahm er das Gewehr, was neben Nael lag, entzündete die Schnur und wenig später dröhnte der Knall durch den Wald. Ich brauchte einen Moment, um den Geschehnissen zu folgen, doch dann sah ich wie die Fliehenden verharrten und sich über etwas beugten. Schließlich hoben die Angreifer eine Gestalt vom Boden auf und verschwanden wenig später im Dunkel des Waldes. Sofort rannten alle auf uns zu und ließen sich neben Nael fallen.

Die plötzliche Stille, die einkehrte bescherte uns ein mulmiges Gefühl, bis sie durch Naels Stöhnen unterbrochen wurde. Ich reagierte und war nun ganz in meinem Element: „Thomás, ich brauche kochendes Wasser, einen großen Topf und einen kleinen! Iker hilf ihm! Luis, bitte meine Tasche mit den Kräutern. Enzo, hol den Alkohol, reichlich davon. Adriana, ich brauche dich hier an meiner Seite." Alle stoben auseinander und machten, was ihnen aufgetragen worden war. José, Mark und Andrés sicherten das Lager, während Gael Naels Kopf in seinen Schoß bettete in ihm über die Stirn strich. Mit meinem Messer trennte ich Naels Kleidung auf, bis alles um das Messer herum frei lag. Enzo und Luis kamen mit den geforderten Sachen. Luis ging, um die Wachen zu unterstützen, während Enzo Nael auf meinem Geheiß den Alkohol einflößte. Ich nahm mir auch eine Flasche und goss reichlich über die Wunde. Nael zuckte nicht mal, ein Zeichen, dass der Alkohol bereits seine Wirkung tat. Mit dem Rest Alkohol in der Flasche säuberte ich Adrianas und meine Hände. Dann holte ich Kräuter aus meiner Tasche.

Es begann bereits zu dämmern, als alles so weit bereit war, um das Messer zu entfernen. Nael schlief durch den Alkohol und einen Schlaftrunk betäubt. Ganz vorsichtig zog ich das Messer aus der Wunde. Das Blut schwoll heraus und Adriana presste sofort ein Tuch auf die Wunde, als das Messer vollständig entfernt war. Ich wies sie an weiter Druck auszuüben. Dann nahm ich das Schwert, welches mit der Spitze im neben uns entzündeten Feuer gelegen hatte. Adriana nahm ihre Hände von Nael und ich drückte das heiße Eisen auf die Wunde. Trotz der Betäubung erwachte Nael und stieß einen schrecklichen Schrei aus, nur um dann in die Besinnungslosigkeit zu gleiten. Ich nahm das Schwert von seinem Bauch, wischte das Blut weg und betrachtete mein Werk. Das Blut floss nicht mehr aus der Wunde. Damit war Nael außer Lebensgefahr. Doch was das Messer in seinem Inneren angerichtet hatte, konnte man nicht sagen. Ich gab Gael einen Becher mit einer heißen Flüssigkeit. „Flöße ihm dies so weit es geht ein. Wenn der Becher leer ist, dann mache ich dir einen neuen. Dieser Trank ist das einzige Hilfsmittel, das ich dem Körper reichen kann, um zu heilen. Nael muss jetzt sehr stark sein." Gael nickte und nahm den Becher.

Zusammen mit Adriana räumte ich alles auf. Da Nael nicht bewegt werden sollte wurde über ihm und seinem Bruder ein Zelt errichtet und beide mit Decken ausgestattet um es ihnen so bequem wie möglich zu machen. Wir ließen sie allein und gingen zusammen zu dem Wagen, wo ich meine Tasche abstellte. Das Lager war inzwischen wieder ordentlich und alles, was nicht zerstört worden war, befand sich im Wagen. Erschöpft ließen Adriana und ich uns am Feuer bei den anderen nieder, wo auch in einem kleinen Topf der besagte Tee köchelte. Stumm sah ich in die Gesichter, aus denen Trauer, Schrecken und unfassbare Erschöpfung sprach. Auch wenn die Angreifer geflohen waren, so hatten wir nicht gewonnen.


Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt