Alejandro und Valeria

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Erneut vergingen einige Wochen und inzwischen beherrschte ich die Sprache ausreichend, um ein normales Gespräch mit Lucìa zu führen. Obwohl ich laut Yermo einen grausigen Akzent hatte, schien mich die Hausangestellten dennoch zu verstehen und mir gefiel es nicht mehr nur auf Yermo angewiesen zu sein. Eines Tages überraschte mich Yermo mit einem Kompliment zu meinen Fortschritten. War sonst immer so knauserig mit Komplimenten, so schien er heute beinahe überzusprudeln, denn kurze Zeit später lobte er mich für den fehlerfreien Umgang mit den Werkzeugen beim Essen. Doch nicht die vielen Komplimente machten mich stutzig, sondern diese Nachdenklichkeit, die er heute schon den ganzen Tag von meinem Unterricht ablenkte. Irgendwas schien ihn zu beschäftigen, doch da er nichts erwähnte beschloss ich nicht weiter nachzuhaken.

Am nächsten Morgen hatte sich seine Stimmung nicht gebessert und so konnte ich meine Neugier nicht länger im Zaum halten.: „Was beschäftigt Euch?" fragte ich in seiner Sprache. Verwirrt sah er mich an, als ob ihm jetzt erst aufgefallen war, dass ich wie jeden Vormittag ihm gegenüber im Wohnzimmer saß. Mit einer wegwerfenden Geste meinte er, dass es nichts sei. Am Nachmittag fand ich ihn in ein Buch vertieft in der Bibliothek, ich fragte ihn, ob mein Unterricht in der Geschichte seines Landes ausfallen würde, doch er schien mich nicht zu hören.

Diese Zerstreutheit hielt noch einen Tag an, zwar platzte ich vor Neugier, was dahinterstecken möge, genoss jedoch die unerwartete Pause vom ganzen Lernen. Da ich ohne Begleitung nicht im Lager umherlaufen durfte, half ich in der Küche oder Lucía beim Reinigen der Zimmer.

Am darauffolgenden Tag überraschte mich Yermo mit der Ankündigung mit mir einen Ausflug ins Lager unternehmen zu wollen. Lucía suchte mir passende Kleider zusammen und half mir beim Hochstecken der Haare. Im Haus wurde geduldet, dass ich mit offenen Haaren rumlief, doch wenn es nach draußen ging, mussten die Kleidervorschriften gewahrt werden. Dies war wieder eine dieser vielen Vorschriften, die ich ganz und gar nicht verstand. Mit hochgesteckten Haaren und einem dünnen Hut auf dem Kopf stand ich kurze Zeit nach dem Frühstück vor der Tür und wartete auf Yermo. Dieser kam mit einem dicken Buch unter dem Arm, hielt mir die Tür auf und bot mir seinen Arm an.

Wir gingen nicht weit und bleiben schließlich vor einem einstöckigen Haus stehen. Auf Yermos klopfen hin öffnete eine kleine mollige Frau, sie machte einen knicks vor Yermo und ließ uns dann eintreten. Das Haus war über und über mit Sachen vollgestellt, die ich noch nie gesehen hatte, sie sahen weder so aus wie die Sachen bei Yermo, noch wie etwas, was ich von zuhause aus kannte. Es schien als wäre ich erneut in eine neue Welt eingetaucht. Im Wohnzimmer erwartete uns mit einer Pfeife im Mund ein Mann, den ich aufgrund des dichten durch die Pfeife verursachten Rauches nicht sofort erkannte.

„Javier" grüßte Yermo den Mann und gab ihm die Hand, dieser grüßte zurück und dabei verzog sich der Quall etwas und ich erkannte den Mann, der bei meiner Gefangenenübergabe dabei gewesen war. Der Mann mit den gleichen Augen wie meine. Javier streckte auch mir die Hand entgegen „Siela" grüßte er herzlich: „schön dich wiederzusehen, du siehst ja aus wie eine richtige Lady." Auch wenn ich wusste, dass dies ein Kompliment sein sollte, kränkte es mich. Hatte ich in meiner Kleidung, mit der ich Jahrelang bei meinem Clan gelebt hatte, nicht gut ausgesehen?

Ich ließ mir nichts anmerken und nickte stattdessen scheu und leicht verwirrt über die Situation. Yermo schien meine Verwirrung bemerkt zu haben, denn er lotste mich zu dem Sofá und als wir drei Platz genommen hatten, begann er zu erzählen: „Seit du hier bist forschen wir nach deiner Herkunft." Gespannt setzte ich mich auf. Sollte ich jetzt etwa meine Eltern kennenlernen?

„Deine Existenz konnte sich lange keiner erklären. Natürlich ist uns deine Ähnlichkeit zu Javier aufgefallen, doch zunächst haben wir alle Bürger befragt, ob einer von ihnen ein Kind ausgesetzt hat. Doch nach Wochen der Verhöre sind wir auf nichts gestoßen. Daher sind wir wieder auf Javier zurückgekommen." Gespannt sah ich Javier an, war er wirklich mein Vater. Mit aufgeregtem und vermutlich auch sehnsüchtigem Blick sah ich Javier an.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt