Gestik

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Die Sonne war bereits aufgegangen und mein Magen begann erneut zu grummeln. Das Brot, welches ich am frühen Abend während meiner Flucht gegessen hatte, war schon längst verdaut. Hinzu kam die Anstrengung, dass ich die ganze Nacht gerannt war. Ich war Andrés Beschreibung gefolgt und befand mich nun östlich des Lagers an einem Fluss, dem ich bereits seit einigen Stunden folgte. Aufgrund der Zeit, die seit meinem Aufbruch vergangen war, musste das Lager des Clans nicht weit vor mir sein. Erst jetzt kam mir der Gedanke, was der Clan wohl von mir halten mochte. Ich war weiß, wie die Personen, die sie angegriffen hatten. Dass ich allein gekommen war und dass ich ihre Sprache sprach, würden sie vermutlich nicht umstimmen. Langsam ging ich nun am Fluss entlang und überlegte, was ich sagen sollte. Sollte ich offen ins Lager gehen und zeigen, dass ich unbewaffnet war oder mich lieber anschleichen und hoffen erst etwas mehr über den unbekannten Clan herauszubekommen.

Das Messer, das sich plötzlich an meine Kehle drückte und der Arm, der mich umschlang, nahmen mir jede Entscheidung ab. Wieder ertönte dieser schreckliche Laut, den ich bereits in der Nacht des Überfalls gehört hatte. Nun erkannte ich, dass der Laut von meinem Angreifer ausgestoßen wurde und vermutlich dazu diente die Kameraden herbeizurufen. Während ich noch überlegte, ob ich mich wehren könnte, solange der Angreifer noch allein war, verriet mir Geraschel, dass die Verstärkung kam. Kurz darauf sprangen zwei maskierte Gestalten vor mich. Ihre schrecklichen Fratzen irritierten mich kurz, doch ich konzentrierte mich auf die menschlichen Augen hinter den Masken.

Die Neuankömmlinge musterten mich besonders der rechts vor mir kam immer wieder näher, um mich genauer zu betrachten. Ich überlegte, was sie wohl in mir sahen. Ein dünnes, schwaches Mädchen, welches mit den blauen Augen und der weißen Haut eindeutig zu den Weißen gehörte? Oder eine angekämpfte Frau mit zottigen Haaren, die über und über mit Dreck, Zweigen und Laub bedeckt war und ziemlich übel roch? Irgendein Eindruck schien sie jedoch dazu zu bringen zu zögern. Mit dem Messer an meinem Hals sah meine Lage nicht gerade gut aus und so würde ich sie bestimmt auch nicht verschlimmern, wenn ich versuchte mit ihnen zu reden.

Vorsichtig räusperte ich mich kurz und sagte dann in der Sprache, die ich seit meiner Kindheit kannte. „Hallo, ich bin Siela. Ich bin nicht in böser Absicht gekommen, sondern um euern Clan zu warnen." Die Angreifer vor mir zuckten zurück und auch der hinter mir zuckte, wobei das Messer an meiner Kehle verrutschte, sodass es mich schnitt. Ich zog kurz zischend die Luft ein und beobachtete dann die Angreifer, die in heller Aufregung zu sein schienen. Jedoch hörte ich sie nicht sprechen. Stattdessen gaben sie sich Handzeichen. Ich wunderte mich über die Zeichen. Von einem Clan, der Zeichen machte hatte ich noch nichts gehört, zugegeben hatte ich auch noch nichts von einem Clan mit Masken gehört. Trotz der Handzeichen war ich mir sicher, dass zumindest der Angreifer hinter mir sprechen konnte, sonst hätte er den Laut nicht ausstoßen können. Die anderen Angreifer hatten den Laut hören können und meine Worte schienen sie auch gehört und vermutlich sogar verstanden zu haben.

Der Angreifer vor mir rechts machte immer wieder ein Zeichen wie ein Dach über dem Kopf. Auch wenn ich die Zeichen nicht verstand, so konnte ich mir doch denken, dass das Symbol mit dem Dach vielleicht das Lager meinte. Die Stumme Diskussion vor mir ging noch weiter, wobei der Angreifer, der hinter mir stand, seinen Griff gelockert hatte, um ebenfalls gestikulieren zu können. Hätte ich fliehen wollen, wäre es jetzt der perfekte Moment. Ich hätte die Überraschung auf meiner Seite und wenn ich schnell war, könnte ich entfliehen. Doch ich wollte nicht fliehen. Die Diskussion schien sich dem Ende zu zuneigen und der Angreifer, der das Dach-Zeichen gemacht hatte, schien zu gewinnen. Es machte mir Hoffnung, dass ich vielleicht mit einem von ihnen würde sprechen können, wenn die Angreifer hier dies offensichtlich nicht konnten. Der Angreifer hinter mir legte mir plötzlich ein Streifen Stoff über die Augen und band mir danach die Hände auf den Rücken. So wehrlos und gefesselt führten sie mich durch die Gegend, wobei sie nicht so nett waren mich auf etwaige Hindernisse aufmerksam zu machen, sodass ich mir mehrmals den Fuß, den Arm oder die Schultern stieß und sogar zweimal hinfiel. Mein Körper würde am morgigen Tag höllisch wehtun. Aber falls das Gespräch schlecht laufen würde, müsste ich mir über den nächsten Tag sowieso keine Gedanken mehr machen.

Tief in Gedanken versunken verlor ich jedes Zeitgefühl. Irgendwann hörte ich Stimmen und Geräusche eines geschäftigen Treibens. Wir näherten uns dem Lager ich alles wurde immer lauter. Als ich meinte, dass wir nun das Lager erreicht hatten, verstummten nach und nach die Geräusche. Ich stellte mir vor, wie ich angestarrt wurde. Eine weiße Frau mitten im Lager, etwas, was die meisten wahrscheinlich noch nie gesehen hatten. Meine Wachen führten mich weiter und ich hörte, wie eine Zeltplane angehoben wurde. Wir traten in einen Innenraum. Auch hier verstummten die gemurmelten Geräusche. Das Einzige, was ich noch vernahm war ein erstickter Laut, bis plötzlich etwas gegen mich krachte und mich aus dem Gleichgewicht brachte.


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now