Heilung

89 9 0
                                    

Ich versuchte Abstand zwischen mich und das Lager zu bringen, doch vorher musste ich für die Wachen unsichtbar werden. Ich nahm die kleine Karaffe aus dem Beutel, den ich mir um den Bauch gebunden hatte und tropfte die Hälfte der Flüssigkeit auf den staubigen Boden. Schnell vermischte ich sie mit so viel Staub wie möglich und schmierte mir den Schlamm auf die weißen Kleider, meine hellen Haare und auf meine Haut. Einigermaßen zufrieden mit dem Ergebnis und hoffentlich ausreichend für die Wachen lief ich so schnell ich konnte dicht an dem Zaun entlang und dann das kurze Stück über das flache Gebiet, bis ich hinter den Hügeln Schutz suchen konnte, hinter denen ich bereits mit dem Halander Clan gekauert hatte. Wieder dort, wo ich vor Monaten ängstlich meinem Schicksal entgegengeblickt hatte, sog ich tief die Luft ein. Es roch nach Erde und den Pflanzen neben mir. Der Geruch war so wundervoll, so vertraut, dass ich versucht war mich hinzulegen, in den Himmel zu blicken und schließlich die Augen zu schließen. Ich stellte mir vor, dass wenn ich dann die Augen wieder öffnen würde, wäre ich wieder auf meiner Blumenwiese, vor Mandoos Tod, vor dem Überfall der Tymlos und der Twinkikis, vor der Verbannung und noch bevor ich die Wahrheit über meine Eltern erfahren hatte. An einem Tag wie jeder davor in dem ich vom Clan geduldet und von meiner Familie geliebt wurde. War das für mich Heimat, an einem Ort, an dem mich nur meine Familie und Mandoo wertschätzten?

Ruckartig stieß ich mich von dem Hügel, hinter dem ich gekauert hatte, ab und schlich geduckt den Weg, den ich mit dem Halander Clan gewandert war, zurück, zu der Stelle, an der wir vor der Übergabe unser Lager aufgeschlagen hatten. Damals war ich bewacht worden und hatte nur an einem Ort gesessen, doch ich hatte beobachten können, wie die Männer mit frischem Wasser aus einem Teil des Waldes kamen. Sobald ich auf besagter Anhöhe angekommen war, blickte ich wie vorher über die Stadt, die wie eine Fackel in der Dunkelheit leuchtete und wie ein Bienenstock summte, trotz der späten Stunde. Ich hatte nun die Menschen, ihr Leben und ihre Bräuche dort kennengelernt und hatte meinen Alltag dort unten gefunden. Doch als ich nun über die Stadt blickte verstand ich, wie sehr ich mir etwas vorgemacht hatte, als ich versuchte mich dem Leben anzupassen. Jetzt mit Abstand wusste ich, dass ich diesen Ort nie meine Heimat würde nennen können. Diese Stadt bot mir nichts, die Menschen waren freundlich, wenn auch distanziert, doch ich hatte niemanden gefunden, den ich Freund nennen würde. Immer wieder machte ich Fehler und sie besahen mich mit diesem Blick, der zeigte, wie fremd auch ich ihnen war.

Der Gedanke an die kranken Kinder, die mit jeder Sekunde dem Tode näher waren, riss ich mich von dem Anblick los und ging in die Richtung, in der ich den Teich vermutete. Sobald ich die Bäume erreichte, sah ich mir aufmerksam jeden Baum an. Es dauerte nicht lange, bis ich einen Baum ausmachte, der mit einem mächtigen Stamm höher in den Himmel ragte als alle anderen. Sofort machte ich mich mehr tastend als sehend auf die Suche nach dem Arneon-Moos. Ich war bereits zur Hälfte um den Baum herum, als ich es endlich ertastete. Ich nahm so viel ich konnte mit und verstaute es in einer Falte meines Unterkleides.

Ich ging weiter den Hügel wieder hinunter und schließlich fand ich am Fuß des Hügels einen kleinen Bach, der nicht weit entfernt in einen Teich mündete. Durch die Schatten der Bäume und das schwache Licht des Mondes fiel es mir schwer die Pflanze ausfindig zu machen. Ich hatte den Teich bereits umrundet, jedoch nichts gefunden, in der Hoffnung, dass ich vielleicht was übersehen hatte, startete ich eine zweite Runde. Diesmal ging ich etwas weiter entfernt vom Ufer entlang und strich beim Gehen über die Pflanzen neben mir. Die Monotonie des Suchens hatte meine Aufregung der Flucht ausgelöscht und ich merkte, wie sich die Müdigkeit meiner ermächtigen wollte. Meine müden Augen sträubten sich gegen die Anstrengung, die ich ihnen in dieser Dunkelheit abverlangte und meine Sicht verschwamm immer mal wieder. Plötzlich ließ mich ein Stechen im linken Finger anhalten.

Ich zog meine Hand zu mir und untersuchte meinen Finger, es war überseht mit kleinen roten Punkten und brannte so stark, dass ich ihn mir zur Linderung in den Mund steckte. Doch trotz des Schmerzes konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, ich hatte die Saluna-Pflanze gefunden. Vorsichtig um nicht noch mehr Stiche von der Pflanze zu bekommen, wickelte ich meine Hand in das Laken um meine Schultern und pflückte so die Blüten der Pflanze. Ich nahm alle Blüten und packte sie zu dem Moos. Meine Lebensgeister waren nun wieder geweckt und ich ging mit neuer Kraft zurück zum Lager, wobei ich meine Taschen mit einigen der Pflanzen füllte, an denen ich vorbeikam. Mit diesen Zutaten würde ich nicht nur die Krankheit der Kinder heilen, sondern könnte Gervais auch zeigen, was die Pflanzen dieser Welt für Kräfte hatten.

Ich nahm den gleichen Weg zurück. Es war vermutlich nur kurz vor Sonnenaufgang, als ich endlich wieder vor dem Zaun stand. Das Leben in der Stadt würde erwachen, sobald sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten. Für mich hieß das, dass ich mich beeilen musste, um vorher zurück in mein Bett zu kommen. Da es ab morgen kein Geheimnis mehr sein würde, dass ich draußen war, nahm ich die Vordertür, bemühte mich jedoch leise zu sein, um die Bewohner des Hauses nicht zu wecken. Auf meinem Zimmer angekommen leerte ich meine Taschen und wusste, dass ich nun beginnen sollte die Zutaten für den Tee, der die Kinder heilen würde, zurecht zu legen. Doch der Schlaf übermannte mich und ich fiel fast in das Bett.

Nur kurze Zeit später, so kam es mir vor, weckte mich Lucía wie jeden Morgen durch ein Klopfen an meiner Tür. Stöhnend richtete ich mich auf. Ich hatte eindeutig zu wenig Schlaf bekommen, aber das war jetzt nicht wichtig. Schnell zog ich mich an, suchte die Zutaten zusammen und ging in die Küche. Ohne mich um die verwunderten Blicke der Köchin zu kümmern, nahm ich einen Topf und setzte Wasser auf. Während das Wasser warm wurde, wusch ich die Pflanzen und stampfte sie mit Mörser und Stößel zu einem Brei. Als das Wasser kochte, gab ich den Brei in das Wasser und rührte um, bis ich der Meinung war, dass es nun genug gezogen hatte. Ich nahm den Topf vom Feuer und ließ ihn abkühlen, während ich mir ein Brot von dem Tablet nahm, welches die Köchin für das Frühstück vorbereitet hatte. Sie warf mir einen bösen Blick zu, doch ich sagte nur, dass ich heute nicht frühstücken würde und fragte, ob sie Yermo ausrichten könne, dass ich zu Gervais gegangen bin. Schulterzuckend nickte sie. Ich prüfte, ob der Kessel kühl genug war, um ihn zu transportieren und verließ dann die Küche durch die Hintertür. Mit dem Kessel ging ich durch die Stadt zu dem Haus von Gervais. Doch als ich da ankam, sagte man mir, dass er zu einem Kranken gerufen worden war. Also ging ich direkt zum Haus der Familie.

Die Mutter öffnete mir, ihre Augen waren vom Weinen verquollen und ihre Nase rot. Sie erkannte mich vom Tag zuvor und ließ mich ein. Sie erzählte, dass Gervais am frühen Morgen bereits da gewesen war und nach einer Untersuchung der Kinder immernoch nichts für sie hatte tun können. Ich entschied mich für eine kleine Lüge, auch wenn es mir widerstrebte, doch jeden Moment, den ich mit Diskussionen verschwenden würde, würde die Kinder eventuell das Leben kosten. „Gervais schickt mich mit diesem Tee. Er soll die Kinder stärken." Die Frau nickte nur und zeigte mir einen Platz über dem Feuer, wo ich den Tee erneut aufkochen lassen konnte. Heiß füllte ich ihn in drei Becher und reichte je einen davon der Frau und ihrem Mann. Wir bemühten und alle drei den Kindern den Tee zum Trinken zu geben. Sie waren bereits so schwach, dass sie kaum ansprechbar waren und meist schliefen. Doch sobald einer von ihnen wach wurde, gaben wir dem Kind den Tee und bereits gegen Mittag zeigte sich eine Verbesserung. Die Kinder waren immer länger wach und wir flößten ihnen den ganzen Tee ein, bis der Topf leer war.

Nach dem Mittag waren sie bereits so kräftig, dass wir ihnen Brot zu Essen geben konnten. Wenig später richtete sich der Junge bereits im Bett auf. Die Mutter fiel mir mit Tränen in den Augen um den Hals und der Vater klopfte mir auf die Schulter. Ich konnte nicht anders als von einem Ohr zum anderen zu Grinsen und auf die immer munterer werdenden Kinder zu gucken. Plötzlich wurde die Tür so kräftig aufgestoßen, dass sie gegen die Wand krachte. Jemand trat ein und eine donnernde Stimme schallte durch das Haus: „Was zum Teufel machst du hier?"

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now