Aufbruch

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Zwei Tage verstrichen und nichts passierte. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr Angst hatte ich, dass die Verhandlungen doch nicht so verlaufen waren, wie erhofft und ich doch nicht ausgetauscht werden würde, was gleichzusetzen mit meinem Todesurteil war. Als am dritten Tag die Wache ohne Vorwarnung in mein Gefängnis stürmte nahm ich zunächst das Schlimmste an. Doch nachdem sie mich gefesselt und vor das massive Zelt gezerrt hatten, wurde mir klar, dass die Versammelten Krieger des Clans, die mit Waffen und Gepäck beladen waren, nicht hier standen um mich zu töten, sondern um sich auf den Weg zu den Weißen zu machen. Niemand befand es für nötig mich über die Vorgänge aufzuklären und so stolperte ich an ein langes Seil gefesselt hinter einem meiner Wächter her, der mit der Kriegertruppe das Lager verließ.

Ich hatte mein Zeitgefühl verloren, konnte jedoch anhand der Sonne ablesen, dass es kurz vor Mittag war. Nachdem ich eine ganze Zeit lang aufpassen musste wo ich hintrat, kamen wir endlich auf den Pfad, dem ich bisher gefolgt war. Der Pfad zu den Weißen. Jetzt wo ich nicht mehr auf meine Füße und den Boden schauen musste, konnte ich meine Begleiter, beziehungsweise meine Wachpatrollie genauer in Augenschein nehmen. Es waren fünf Männer, die mit Speeren, Pfeil und Bogen und Schwertern ausgerüstet waren. Zudem trugen sie alle einen großen Beutel auf dem Rücken, dessen Inhalt ich nicht genau einschätzen konnte. Jeder einzelne von ihnen war massig und schien stark zu sein. Ich vermutete der Clan hatte seine besten Krieger entsandt um den Austausch zu vollziehen. Diese Taktik war riskant, war der Clan doch nun ohne diese Männer leichter angreifbar.

Ich bewunderte einen Clan, der für das Leben eines Einzelnen bereit war so weit zu gehen, gleichzeitig überlegte ich, wer dieses Clanmitglied wohl sein wird, wenn man so viel auf sich nimmt um ihn oder sie zu retten. Neben den fünf Kriegern war auch das Oberhaupt des Clans mitgekommen, was meinen Verdacht bestätigte, dass es sich bei der Geisel der Weißen um ein sehr wertvolles Mitglied des Clans handeln musste. Vielleicht der Heiler, überlegte ich.

Es war später Nachmittag, als wir auf eine Hügelkuppe ankamen und einer der Männer ein Zeichen gab hier zu rasten. Ich hatte mit dem strammen Schritten der Krieger nicht mithalten können und war stark zurückgefallen, jedenfalls so weit es das Seil erlaubte. Als ich schließlich auf der Hügelkuppe ankam, wurde ich von einem unglaublichen Anblick überwältigt. Schon vor einiger Zeit hatte ich bemerkt, dass die Luft sich verändert hatte. Hier auf dem Hügel sah ich den Grund dafür. Vor mir erstreckte sich das blaue, glänzende Wasser, was weiter reichte als ich mit den Augen sehen konnte. Ich hatte oft die Geschichten gehört von dem großen Wasser, dessen Größe unermesslich war, sodass es nur von den Göttern geschaffen sein konnte, dessen Schönheit so blendend wie trügerisch war, sodass es die Menschen in die Tiefen zog, wo sie nie wieder auftauchten. Nun stand ich vor diesem Wasser und konnte nicht glauben, dass die Geschichten war waren.

Doch am Ufer dieses großen Wassers befand sich ebenfalls etwas, was ich mir nie hätte ausmalen können. Dort war ein Lager welches größer war, als jedes Lager, was ich bisher gesehen hatte. Es wurde umrandet von Brettern, die höher waren als jeder Mensch und so dicht, dass ich bezweifelte, dass die stärksten Waffen ihnen war anhaben konnten. Im inneren dieses Lagers waren Zelte die zweimal, nein sogar dreimal so groß waren wie die Zelte der Oberhäupter. Die riesigen Zelte waren so massiv gebaut, wie mein Gefängnis und auch von der gleichen Bauart. Dicht an dicht waren die Zelte gebaut und zwischen ihnen führten Wege, die gerade waren, dass sie keinesfalls natürlichen Ursprungs sein konnten. In diesem riesigen Lager herrschte eine unglaubliche Geschäftigkeit, die mit einem solchen Lärm zu uns drang, dass ich mich davor fürchtete näher heranzugehen.

Ich dachte an Keilas Geschichte und verstand nun, was sich damals anhörte wie ein Märchen. Diese Weißen hier waren anders, sie waren fremd. Bei dem Anblick der Weißen im Lager hatte ich geglaubt jemanden gefunden zu haben, zu dem ich gehörte, doch mit diesem Ungetüm von Lager hier vor mir, konnte ich mir nicht vorstellen, zu so etwas zu gehören. In einem von diesen riesigen Zelten zu leben, mit so viel massivem Holz über mir, welches auf mich einstürzen könnte. In einem Lager zu leben, welches so laut war, dass man sich anschreien musste um sich zu verstehen. Doch genau das war meine unmittelbare Zukunft.

Ich blickte zu den Kriegern, die es sich bequem gemacht hatten und Kraft zu schöpfen schienen. Mir hatte keiner gesagt, wann der Austausch stattfinden sollte, doch da sie alle noch so entspannt waren, vermutete ich, dass er gegen Abend stattfinden würde. Ich beschloss, dass es sinnlos war über meine Zukunft an diesem Ort nachzudenken, wenn ich in wenigen Stunden unvermeitlich dort sein würde und so legte ich mich auch zum ausruhen in das Gras und blickte in den Himmel wo die Wolken vorbeizogen. Mit einem Mal erinnerte ich mich an meine Blumenwiese und ich rollte mich in einem Anfall von Heimweg zu einer Kugel zusammen und versuchte die Welt außerhalb auszusperren. Wie sehr hatte sich mein Leben nur geändert. Ich ließ die Stationen, die Orte revue passieren. An keinem dieser Orte war ich so aufgenommen worden, wie ich war. Keiner dieser vielen Clans, die ich bereits besucht hatte, hatte einen Platz für mich. Mit einem Mal fühlte ich mich winzig, allein und verloren. Es gab nur zwei Menschen, die mich liebten wie ich war. Und von diesen zwei Menschen war ich nun so unendlich weit entfernt. So weit entfernt, dass der Ort an dem ich war, nur als Märchen bei ihnen existierte.

Ich war im Begriff zu den Menschen gebracht zu werden, die mir äußerlich glichen und doch kamen sie mir so fremd vor wie bisher keiner der Clans. Tief in meinem Loch aus Verzweiflung fasste ich einen Entschluss: Ich würde dazugehören, egal was es kostete. Wenn ich es hier nicht schaffen würde, an dem Ort wo eventuell meine leibliche Familie war, wo dann? Also musste ich hier dazugehören, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now