Tamis

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Ein weiterer Monat verging und das Wetter wurde rauer. Es gab immer nur eine Zeit im Jahr, in der das Land von kräftigen Stürmen, plötzlichen heftigen Regenfällen und eiskalten Nächten heimgesucht wird. In dieser Zeit, die meistens nicht länger als zwei Monate ist, wütet der Gott Tamis unter uns. Der Gott des Unwetters tobt sich in dieser Zeit aus und die Clans bringen ihm so viele Opfer wie sie aufbringen können in der Hoffnung, er möge ihre Heime nicht zerstören. Auch die Heiler verbrennen in dieser Zeit besondere Kräuter um den Gott um die Unversehrtheit des Clans zu bitten. Jeden Abend saß ich nun für einige Zeit direkt am Gitter und beobachtete das Naturschauspiel draußen. Der Wind wurde mit jedem Tag heftiger und zog und zerrte an den Bäumen, bis er es schaffte ein paar Blätter abzureißen. Die Zeit von Tamis war noch nicht ganz gekommen, aber in wenigen Tagen würde es soweit sein.

Am nächsten Tag suchte ich im Heilerzelt ein paar Kräuter zusammen. Es wiederstrebte mir zwar den Gott um die Unversehrtheit dieses Clans zu bitten, fürchtete jedoch um mein Leben, sollte jemand verletzt werden oder sogar sterben. Fissul beobachtete mich neugierig. „Warum?“ fragte er schließlich und zeigte auf die vier identischen Haufen voller Kräuter. „Wenn ich diese Kräuter verbrenne, kann ich den Gott Tamis darum bitten diesen Clan zu verschonen. Wenn ihm die Clansfrauen auch noch Opfer bringen, wird er mit seiner Zerstörungswut vielleicht nicht über dieses Lager herfallen.“ Erklärte ich Fissul. Dieser runzelte nur die Stirn und legte den Kopf schief.

„Bitte Syra. Sie Tamis aufhalten.“ Sagte Fissul nach einiger Zeit des Schweigens. Ich kannte Syra, sie war eine mächtige Kriegergöttin, die Göttin der Schlangen und zudem die Frau von Tamis. Jedoch glaubten wir im Clan, dass sie so unstet war wie eine Schlange und man ihr nicht vertrauen konnte, da man nie wusste, ob sie einem wirklich helfen würde oder alles schlimmer machen würde. „Wieso glaubt ihr an Syra. Ist es nicht Tamis, der seine Macht beweisen will und über das Land herfällt? Und nur wenn man ihm genug huldigt kann man ihn etwas besänftigen.“ Fragte ich Fissul. Ich hatte bisher von keinem Clan gehört, der nicht um die Gnade von Tamis bettelte. „Nein. Tamis ohne Kontrolle. Alles zerstört. Syra Tamis aufhalten. Syra mächtig. Syra hat Kontrolle.“ Erklärt Fissul wobei er den Namen Syra voller Demut aussprach.

Lange dachte ich über Fissuls Worte nach. Konnte es sein, dass jeder Clan seine eigene Art der Verehrung der Götter hatte? Sie zwar alle an die gleichen Götter glaubten, jedoch jeder Clan die Taten und Eigenschaften der Götter für sich etwas anders auslegte? Sofort dachte ich darüber nach, ob ich damit die Götter beleidigte. War es vielleicht ungerecht von meinem Clan Syra als falsche Schlange zu sehen und daher nicht zu verehren? Aber dann wäre es ja vielleicht auch falsch von den Twinkikis Tamis als einen jähzornigen Gott außer Kontrolle zu sehen, der nur von seiner Frau in Schach gehalten werden konnte. Ich fand keine Antworten auf meine Fragen und entschied, dass ich die Kräuter verbrennen würde und jeden Tag aufs neue Tamis bitten würde seine Wut nicht gegen die Twinkikis zu richten. Allerdings fragte ich auch Fissul, wie der Clan um die Hilfe Syras bittet und ob ich dabei helfen könne. Beide Götter darum zu bitten den Clan zu verschonen würde nicht schaden.

Zwei Tage später war es so weit. Späher berichteten am frühen Morgen von einem Sturm, der sich auf uns zubewegte. Schnell schob ich einen der Haufen mit Kräuter in eine Schüssel und hielt einen glühenden Stock an die Mischung. Die Kräuter fingen sofort an ordentlich zu qualmen. Ich hielt sie so nah ich konnte an den Rauchabzug des Zeltes und sprach die vertrauten Worte: „Tamis, oh Tamis, Gott des Unwetters. Wieder ist ein Jahr vergangen und deine Verehrer warten auf dich. Sie sehen deine Blitze, hören deinen Donner und spüren deinen Wind. Wie froh sind wir, dich wieder auf unserer Erde wandeln zu sehen. Du veränderst die Natur und lässt uns dankbar für unser Leben sein. Du bist der Gott, der uns so nahe kommen kann wie keiner. Vor Demut fallen wir vor dich hin und preisen dich.“ Während meiner Worte zog der stark duftende Raum durch die Öffnung des Zeltes dem Himmel entgegen. Ich blies in die Schüssel und verursachte noch mehr Rauch, dann wiederholte ich die Worte. Nach zwei weiteren Wiederholungen waren die Kräuter verkohlt und ich löschte sie mit Wasser.

Draußen hörte ich laute Trommeln und kreischende Stimmen, die ohne erkennbare Worte einer Melodie zu folgen schienen. Fissul hatte mir erklärt, dass sie die Göttin Syra anriefen indem sie ein großes Feuer entfachten und zum Klang der Trommeln darum tanzten. Es tanzten nur die Frauen, die außer einem Rock nichts trugen und so das Abbild der Göttin nachahmten. Fissul erzählte, dass das Lied, was sie sangen von den Heldentaten der Göttin handelte und die Schlangen verehrte. Während die Frauen sangen um die Göttin zu bitten auf sie zu achten, durften nur die Männer die die Trommeln schlugen anwesend sein, weshalb Fissul mit mir im Zelt saß und den Geräuschen draußen lauschte.

Es dauerte wohl nur eine halbe Stunde, bis die Stimmen der Frauen verstummten und an ihre Stelle der laut heulende Wind trat. Still saßen wir im Zelt und sahen dem entgegen, was auch immer auf uns zukommen mochte. Der Wind wurde heftiger, zog an dem Zelt, welches knarzte und ächzte, jedoch standhaft zu bleiben schien. Der Tag wurde zur Nacht, während das Unwetter von Tamis über uns herzog. Wir hörten den Donner, der jedoch weit entfernt von den Bergen widerzuhallen schien. Blitze und der Regen blieben aus. Dieses Unwetter war heftig und brachte den gesamten Inhalt des Zeltes durcheinander, doch es war nur der Ausläufer eines Unwetters, welches entfernt von uns über das Land gezogen war. Dieses Unwetter war nicht für uns bestimmt gewesen.

Eine halbe Ewigkeit später wurde der Wind schwächer. Fissul regte sich wieder und auch ich befreite mich aus der zusammengekauerten Position in der ich gehockt hatte, gut geschützt vor den herunterfallenden Sachen. Erleichtert lächelten wir uns an. Die Zeit von Tamis Stürmen war eine Zeit, in der Frieden zwischen den Clans herrschte, da jeder Clan auf die gleiche Weise mit den Stürmen zu kämpfen hatte. Als Fissul und ich uns anlächelten verspürte ich zum ersten Mal, dass es auch ein wenig Frieden hier geben könnte, so lange wir beide gleichermaßen um unser Leben fürchteten. Die Erleichterung alles heil überstanden zu haben überwältigte einen.

Die Freude und der Frieden hielt nicht lange an. Kaum hatten wir angefangen die heruntergefallenen und umgestürzten Sachen aufzuräumen, kamen auch schon die ersten Verletzten des Clans. Inzwischen waren Fissul und ich ein eingespieltes Team und ich konnte ihm mit wenigen Worten Aufträge geben. Nachdem ich alle Verletzten gemustert hatte stellte ich fest, dass es hauptsächlich leichte Verletzungen waren. Die schlimmste Verletzung war ein gebrochener Arm. Mit Fissuls Hilfe und meinen Kenntnissen der Sprache kamen wir gut voran und es dauerte nicht lange, bis die meisten mit einer Tinktur, Salbe oder einem Tee nach Hause gehen konnten und ich mich nur noch um drei schwerere Fälle kümmern musste. Mitten in der Nacht konnte ich auch sie entlassen und mein Wächter begleitete mich in mein Gefängnis.

Scheinbar hatte der Sturm auch meinen Wächter milder gestimmt. Diesen Abend bekam ich mehr Essen und Trinken als zuvor und obendrauf noch ein Stück getrockneten Rinderstreifen. Ungläubig sah ich das stück Fleisch an, nahm es dann jedoch schnell, bevor der Wächter es sich anders überlegen konnte. Nachdem er mich verlassen hatte und ich in meiner dunklen Höhle saß holte ich das Stück wieder hervor und rupfte bedächtig ein Stück davon ab. Ich hatte beschlossen es mir aufzuheben. Wer weiß, wann ich wieder etwas Fleisch bekommen würde. Eine Weile lang hielt ich das Stück, welches ich mir für den heutigen Tag zugestanden hatte in der Hand und roch daran. Schließlich biss ich immer winzig kleine Stücke ab und genoss den Geschmack. Viel zu schnell war das Stück aufgegessen. Zum ersten Mal seit langem konnte ich mit einem guten Geschmack im Mund einschlafen.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now