Die Twinkikis

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Der Adler stieß vom Himmel herab, kam näher und näher. Es war ein mächtiges, majestätisches Tier. Sein Gefieder glänzte im hellen Sonnenlicht. Ich war gefesselt durch den Anblick des Farbenspiels direkt über mir. Ich lag auf meiner geliebten Blumenwiese im hohen Gras. Plötzlich tauchten am bisher wolkenlosem Himmel dicke schwarze Wolken auf und das Farbenspiel verschwand. Die Gestalt des Adlers veränderte sich und wurde zu einer grauenvollen, klauenbestückten Bestie, die unaufhaltsam auf mich zu raste. Die Klauen öffneten sich immer weiter, je näher das Ungetüm mir kam. Als die Klauen schließlich nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt waren schloss ich vor Angst meine Augen, riss sie jedoch entsetzt wieder auf als ich etwas kaltes an meiner Kehle spürte.

Die Fratze die ich nun erblickte war nicht die der Adlerbestie, aber nicht weniger unheimlich. Das Ungeheuer vor mir erinnerte an einen Menschen mit einem stark deformierten Gesicht. Riesige Augen die schwarzen Löchern glichen, zwei Löcher anstelle einer Nase, ein riesiger Mund, der ebenfalls ein schwarzes Loch war. Dort wo die Ohren hätten sein müssen ragten viele kleine Spitzen aus dem Gesicht und oben auf dem Kopf thronten drei unterschiedlich große Höcker. Das Kalte an meinem Hals übte nun einen leichten Druck aus und ein stechender Schmerz durchfuhr mich, der alle Müdigkeit von mir nahm und ich erkannte nun, dass die Fratze vor mir kein Traum war und dass es sich lediglich um eine Maske handelte.

Der Mann mit der Maske hielt mir ein Messer an die Kehle. Aus dem schwarzen Loch der als Mund der Fratze geformt war drang nun eine Stimme: „ Heiler?" Die kurze Frage kam abgehackt und mit sehr merkwürdigem Akzent als würde sich jemand zwingen Buchstaben auszusprechen. „Ja" Mehr als ein Flüstern brachte ich nicht heraus, doch während meine Stimme versagte arbeitete mein Gehirn auf Hochtouren.

Die Maske mit den drei Hörnern, die Aussprache und die Tatsache, dass ihn vollkommene Stille zu umgeben schien deutete eindeutig auf den Clan der Twinkiki hin. Dieser Clan wurde auch der Clan der Stille genannt, da sie in vollkommener Stille angriffen und ihre Opfer im Schlaf ermordeten. Der Umstand, dass ich also noch lebte und sogar von dem Twinkiki vor mir aufgeweckt wurde war demnach sehr verwunderlich. „Aufstehen!" Auch wenn dieser Befehl aus dem Mund des Mannes vor mir eher wie „Ausfehen" klang befolgte ich ihn und erhob mich langsam von meinem Schlafplatz.

Ich trug nur ein weites Obergewand und fing sofort in der kalten Nachtluft an zu zittern, als ich mir die Decke abstreifte. „Antin" Da der Mann mir ein warmes Obergewand und eine weiche Stoffhose reichte, nahm ich an, dass er „Anziehen" meinte. Man hatte uns gelehrt, dass die Twinkikis keine Sprache mit Worten hatten, sondern sich mit Lauten verständigten.

Als ich das Obergewand übergestreift hatte und mein Schlafgewand in die Hose gesteckt hatte reichte der Mann mir noch ein paar robuster Schuhe, die ich ebenfalls anzog. Dann packte er mich fest an der Hand und zog mich aus dem Zelt, wobei er jedoch darauf achtete nicht zu grob mit mir umzugehen und mich nicht zu verletzten. Langsam begann ich Hoffnung zu schöpfen, offensichtlich wurde ich erst einmal am Leben gelassen. Kaum waren die Sorgen um mich für den Moment verschwunden, machte sich sofort die Sorge um meine Familie breit. Als sich meine Augen an den mit Feuern erhellten Platz vor mir gewöhnt hatten, blieb mein Herz stehen. Vor jedem Zelt lagen die Körper ihrer Bewohner. Meine Sorge um meine Familie verwandelte sich sofort in nackte Panik, sollten Nefet, Ais und Nossan etwa tot sein?

Der Mann zog kräftiger an meiner Hand und erst da merkte ich, dass ich erstarrt war im Angesicht des Grauens. Er zog mich in die Mitte unseres Lagers, wo ich zu meiner Erleichterung noch lebendige Mitglieder unseres Clans erblickte. Allerdings hielt diese Erleichterung nicht lange vor als ich erkannte, dass nur etwa zehn Handvoll von ihnen dort von den Twinkikis zusammengetrieben wurden. Schnell erkannte ich, dass es sich bei diesen Überlebenden nur um Frauen, Alte und Kinder handelte. Ein winziger Brocken des Steines der sich um mein Herz gelegt hatte fiel herunter, als ich Nefet und Ais in der Menge erkannte. Doch mein Herz wurde so unendlich schwer als ich in ihre vor Schock und Trauer erstarrten Mienen blickte. Sie bestätigten meinen Verdacht über den Verlust von Nossan und Vazal.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now