Tod und Verderben

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Am nächsten Tag wurde ich von lauten Gesprächen geweckt. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und mein Magen knurrte. Die Trauer lag immer noch wie ein dunkles Tuch über dem Lager und über meinem Herz. Die lauten Stimmen, die ich gehört hatte, entpuppten sich als Streit zwischen Adriana, Gael, Thomás, Iker, Enzo, Mark und José. Sie saßen in der Mitte des Lagers um das Feuer herum. Als ich näherkam fing ich Fetzen des Gespräches auf: „umgebracht..." „Tee". Beunruhigt ging ich näher. Als sie mich bemerkten verstummten die Streitenden. „Guten Morgen" sagte ich vorsichtig. „Was ist los?"

„Was los ist?" fragte Gael. Ich fing seinen Blick auf und erstarrte vor Schock über den Hass in seinem Blick. „Du hast meinen Bruder getötet." Als hätte mich ein Schlag getroffen taumelte ich zurück. „Ich wollte ihm nur sein Leiden ersparen." Gab ich dann kleinlaut zurück. „Ich bin mir sicher Siela hat alles in ihrer Macht stehende getan um deinen Bruder zu retten." Kam mir Adriana zur Hilfe. „Ach was" giftete Mark verächtlich. „Wir haben doch ihre Anweisungen gehört. ‚Flößt ihm Tee ein.' Immer nur Tee." Gael stimmte ihm zu. „Und dann hat sie ihm einfach so einen Todestrank gegeben. Vielleicht wäre er ja noch gesund geworden, aber sie hat ihm die Chance dazu genommen." Ich schluckte schwer. „Er hat unerträgliche Schmerzen gelitten, sie hat ihm ein friedliches Ende beschert." Kam mir nun Iker zur Hilfe. Erneut wurden die Stimmen lauter und der Streit brach von neuem aus.

Still stand ich abseits und stellte fest, dass Adriana, Iker und Enzo auf meiner Seite waren, während Gael, Thomás, Mark und José gegen mich waren. Ich hatte das Gefühl, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht. Ich sah wieder den schrecklichen Überfall der Tymlos vor mir, Mandoos Tod, den ich auch herbeigeführt hatte und die Diskussionen im Clan, als ich mich als Mandoos Lehrling zu erkennen gab. So viel Zeit war seitdem vergangen, so viel hatte ich seitdem erlebt und doch war ich nun in der gleichen Situation wie damals. Eine alles umfassende Schwäche erfasste mich. Ich war münde, ich konnte es nicht schon wieder gegen alle aufnehmen. Es war genug. So lange hatte ich gekämpft nur um bei der ersten Gelegenheit alles wieder zu verlieren. In gebückter Haltung und mit schwachen Beinen drehte ich mich um und ging in mein Zelt.

Erst am Abend kroch ich wieder heraus, da mein leerer Magen mich schmerzte. Ich hatte nicht vor mich ans Feuer zu den anderen zu setzten, ich konnte jetzt keinem unter die Augen treten. Also schlich ich mich so leise es ging zum Karren, um dort nach Brot zu suchen. Es dauerte lange im Dunkeln und ohne Krach zu machen etwas zu finden. Während ich mich noch auf die Suche konzentrierte hörte ich die Gespräche am Feuer: „Andrés ist heute Spuren gefolgt, die von den Angreifern stammen könnten. Sie führten Richtung Osten, ca. eine halbe Tagesreise. Dort hat er an einem Fluss ein Lager entdeckt. Die Wachen kamen, sodass er das Lager nicht länger ausspionieren konnte, aber das müssen die Ungeheuer sein." Berichtete Mark. „Dann müssen wir Nael rächen." Sagte Gael, dessen Stimme vor Trauer tiefer war. Einige Zeit sagte niemand etwas und ich nahm an, dass Gael die Zustimmung von allen einholte. Ich hatte es inzwischen aufgegeben etwas zu suchen und lauschte nur noch. „Ich werde mich mit Andrés und Gael zusammensetzen und wir entfernen einen Schlachtplan. Wenn wir morgen Nachmittag aufbrechen, können wir sie um Mitternacht überfallen." Ich hörte zustimmendes Gemurmel und jemand warf düster ein „Tod und Verderben, etwas anderes haben sie nicht verdient."

Wie erstarrt stand ich am Wagen. Es schienen alle einverstanden zu sein. Sie würden erneut in einen Kampf ziehen. Diesmal gegen einen ganzen Clan. Zwar wusste ich, dass sie zahlenmäßig deutlich unterlegen sein würden, doch ihre Waffen würden diese Ungleichheit zu ihrem Vorteil ausgleichen. Die Gewehre waren vielleicht unhandlich und schwer zu laden. In einer Kampfsituation kaum zu gebrauchen, doch wenn man einen Schlachtplan machte und die Waffen gezielt einsetzte, waren sie mehr als effektiv. Der Clan hätte nichts Vergleichbares, um gegen sie anzukommen. Vor meinem inneren Auge sah ich Kinder, Frauen und Männer, wie sie wie von Zauberhand getroffen Tod zusammensackten.

Die Schwäche von heute Vormittag war vergessen, eilig griff ich mir ein Messer und eine Laterne. Bevor ich den Karren verließ, fand ich auch noch das ersehnte Brot. Beim Weggehen stieß ich gegen etwas hartes, was mit einem leisen Klirren umfiel. Ich kümmerte mich nicht darum, was es war, und verschwand schnell im dunklen Wald.


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now