Yermo Martínez

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Vor Verblüffung bekam ich kein Wort heraus und starrte den Mann weiter an. Dieser wiederholte seine Frage: „Wie heißen Kind?" Ich weiß nicht warum, aber es kam mir merkwürdig vor einen Weißen meine Sprache sprechen zu hören. Die Weißen waren fremd und hatten, so weit ich das beurteilen konnte, noch keine Anstrengungen unternommen meine Kultur und die Kultur der Clans kennen zu lernen. Doch dieser alte Mann war anders als die anderen.

„Kind?" Der Mann sah mich an und schien nach Wörtern zu suchen. „Mädchen, wie heißen?" Ich löste mich aus meiner Erstarrung und antwortete ihm. „Siela, wie heißt du?". Der Mann schien einen Moment zu brauchen, um mich zu verstehen: „Siela. Ich bin Generalkapitän Yermo Martínez." Seine Worte klangen fremd und ich hatte Mühe zu verstehen, welches davon der Name war. „Martínez?" fragte ich. Der Mann hob eine Hand und legte sie sich auf die Brust. „Yermo Martínez" sagte er dann. „Du hast zwei Namen?" fragte ich verwundert. Yermo Martínez nickte: „Yermo ist Name den Eltern gegeben und Martínez Name von Familie." „Also ist Martínez dein Haus?" fragte ich und überlegte, warum diese Menschen ihr Haus nicht nach dem männlichen Oberhaupt benannten.

Yermo Martínez runzelte die Stirn und wollte gerade antworten, als ein dezentes Räuspern ihn unterbrach. Ich blickte auf und stellte überrascht fest, dass immer noch alle auf dem Platz versammelt waren. Die Frau, die mich hergebracht hatte, trat vor und sprach erneut in der fremden Sprache mit Yermo Martínez. Als Antwort auf eine Frage nickte er und drehte sich dann wieder zu mir um. „Siela, mitkommen." Sagte er freundlich und legte eine Hand auf meinen Rücken, um mich sanft in Richtung des riesigen Gebildes eines Zeltes zu führen.

Vorsichtig schritt ich darauf zu, immer in der Angst es würde gleich auf mich herabstürzen und mich begraben. Vor dem Eingang waren Stufen und ich fragte mich, weshalb man ein Zelt bauen sollte, es dann aber nicht auf der Erde platzieren, sondern höher, nur um dann Stufen steigen zu müssen. Noch immer war mir mulmig bei dem Gedanken, dieses Ungetüm getreten zu müssen und als wir die Stufen erklommen hatten und vor dem Eingang standen wollte ich am Liebsten umdrehen und mich so weit wie möglich von dem Ding entfernen. Doch Yermo Martínez, dem meine Furcht nicht aufgefallen war, schob mich ohne weiteres in das Innere dieses Monstrums. Beim Eintreten schloss ich vor Furcht die Augen, doch als nichts passierte, öffnete ich sie langsam wieder.

Das Innere dieses Zeltes war hell erleuchtet mit gefühlt tausendenden von kleinen Flammen. Die Wände waren behängt mit so vielen Sachen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie eine Wand das alles tragen kann. Die Flammen spiegelten sich in fast allen Objekten und warfen Lichtblitze durch das Innere, die mir in den Augen stachen. Der Lärm vom Lager war gedämpft, doch dieses Zelt hatte seinen ganz eigenen Lärm. Alles in diesem Haus knarrte und erneut überkam mich die Furcht alles würde einstürzen. Im Hinteren Teil klapperte etwas so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. Dann die Luft, die Luft war erfüllt von dem Rauch der Flammen, dem Dampf des Kochens und einem beißend riechenden Qualm. Nach nur wenigen Atemzügen hatte ich das Gefühl zu ersticken. Ich wollte hier raus, raus aus diesem Zelt, diesem Lärm, dem Licht. Weg von dem Lärm des Lagers und den Menschen, die mich nur anstarrten.

Die Hand an meinem Rücken führte mich um eine Ecke. Ich war in einem Raum, in dem nicht nur die vielen kleinen Flammen brannten, sondern noch ein riesiges Feuer in einem merkwürdigen Steinkasten. Vor dem Feuer standen längliche Objekte in einem dunklen Rot. Während ich noch ihre Bedeutung entschlüsselte, trat Yermo Martínez an mir vorbei, ging zu einem dieser länglichen Dinger und setzte sich Mittig darauf. Mit der Hand klopfte er neben sich und gab mir zu verstehen mich neben ihn zu setzten.

Ohne die Hand ihm Rücken fehlte der Halt, der mich dazu gebracht hatte, nicht sofort umzudrehen und nach draußen zu stürmen. Mit einem Blick über die Schulter überlegte ich, ob ich jetzt die Gelegenheit nutzen sollte. „Siela, setzen. Fragen beantworten." Sagte Yermo Martínez und klopfte erneut neben sich. Ich warf erneut einen Blick zurück, dann einen nach oben, auf das Gebilde und dann erneut zu Yermo Martínez. Trotz meiner Angst und diesen schrecklichen Dingen hier, schien mir das doch die Beste Möglichkeit zu sein meine Fragen zu stellen. Ich war nun in diesem Lager der Weißen und würde hier auch nicht so schnell wegkommen. Yermo Martínez schien der Einzige zu sein, der meine Sprache sprach, also der Einzige, mit dem ich mich verständigen konnte. Er war meine einzige Hoffnung wenigstens einen Bruchteil von alledem zu verstehen.

Langsam ging ich auf ihn zu und ließ mich neben ihm nieder. Als ich mich hinsetzten wollte, gab der Untergrund unter mir nach und ich fiel in die Tiefen des Sitzes. Erschrocken kreischte ich auf, warf mich zur Seite und rollte umständlich von dem Ungetüm herunter. Hart knallte ich mit der Schulter auf dem Boden auf und ein dumpfer Schmerz durchfuhr mich. Meine Schulter reibend setzte ich mich auf und sah von meinem Platz auf dem Boden zu Yermo Martínez hoch. Ein Lächeln umspielte seinen Mund, doch die Falten auf seiner Stirn hatten sich vertieft.

„Sofá" er klopfte auf das Teil, auf dem er saß. Ich verstand und versuchte das Wort zu wiederholen. Nach einigen Korrekturen war er mit meiner Aussprache zufrieden und nickte. Auch wenn ich nun wusste, wie es in seiner Sprache hieß, machte ich keine Anstalten mich erneut draufzusetzen, stattdessen schlug ich auf dem Boden meine Beine übereinander und setzte ich aufrecht hin. Das blanke Holz unter meinen Fingern beruhigte mich und ich stellte meine erste Frage: „Kannst du mich das alles hier lehren?"

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt