Die Geschichte

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Erneut alleine irrte ich durch die Gegend ohne ein Ziel vor Augen, aber immer wissend, in welche Richtung meine Familie war. Ich ernährte mich von den Pflanzen und Kräutern und wenn ich bei einem Bach vorbeikam versuchte ich mit meinem Beutel Fische zu fangen. Meist blieb ich ein paar Tage dort wo ich genug Essen fand, dann trieb mich jedoch der Wunsch nach einer festen Heimat weiter. Meist lief ich quer über Stock und Stein, doch vor einer Woche hatte ich einen Weg entdeckt und folgte ihm nun. Es war nur ein breit getretener Pfad, doch er gab mir Hoffnung wieder auf Menschen zu treffen.

An einem Morgen, ich hatte gerade mein Lager abgebrochen und war seit ein paar Stunden auf dem Weg unterwegs, hörte ich vor mir Schritte. Auch wenn mein Wunsch nach Gesellschaft groß war, so war mein Überlebenswille stärker und so schlug ich mich rechts in die Büsche. Ich suchte mir einen Platz von dem aus ich den Weg sehen konnte, mich die Person, jedoch nicht würde sehen können, wenn sie sich nicht umdrehte. Wie erstarrt wartete ich und horchte auf die Schritte. Schließlich waren sie so nah, dass die Person bald in mein Sichtfeld treten würde. Die Person bewegte sich langsam und es klang, als würde sie schlurfen, dennoch ließ ich mich nicht täuschen und verharrte.

Noch drei Schritte, noch zwei, noch einen, jetzt. Die Person trat in mein Sichtfeld und ich hätte vor Erleichterung beinahe aufgeseufzt. Es war eine ältere Frau, die schwer beladen war und aussah, als würde sie gleich zusammenbrechen. Um sie nicht zu Tode zu erschrecken, raschelte ich erst leise, dann immer lauter an dem Gebüsch, bevor ich langsam hervor kam. Trotzdem erschreckte sie sich, machte einen Satz zurück und fiel aufgrund ihrer Last nach hinten um. Schnell sprang ich auf sie zu um ihr zu helfen. Doch die Frau hatte sich bereits von ihrer Last befreit und stand wieder aufrecht. Sie hatte ein Messer in der Hand und schaute mich misstrauisch an. Ich blieb stehen und hob langsam die Hände um anzuzeigen, dass ich unbewaffnet bin.

„Guten Tag, ich bin Siela, eine Heilerin vom Clan der Malos.“ Stellte ich mich vor. Noch immer verwendete ich den Namen meines alten Clans. Ich wusste, dass es ihnen bestimmt nicht Recht sein würde, doch vielleicht tat ich es genau aus diesem Grund. Die Frau sah mich abschätzig an, dann senkte sie das Messer leicht, behielt es jedoch immer noch auf mich ausgerichtet. „Ich bin Keila.“ Stellte sie sich ebenfalls vor. Ihre Stimme war rau und kratzig. „Ich möchte dich nicht ausrauben oder ähnliches. Ich bin nur froh, endlich wieder jemandem zu begegnen.“ Erklärte ich mich. „Und warum kommst du dann aus dem Gebüsch gesprungen wie ein Strauchdieb?“ fragte Keila und wies mit dem Kopf auf die Stelle, an der ich gerade hinter ihr aufgetaucht war.

„Um ehrlich zu sein, fürchtete ich mich selbst vor Banditen und bin nur bei Eurem Anblick hervorgekommen.“ Gestand ich kleinlaut. Die Alte lachte kurz auf und ließ das Messer nun vollständig sinken. „Hast du was zu Essen Kleine?“ fragte sie. Ich hatte gestern Beeren gesammelt und hatte noch ein Stück gebratenen Fisch bei mir, also bejahte ich Keilas Frage und sie grunzte zufrieden. Keila drehte sich zu ihrem Gepäck um, welches nun auf dem Boden lag. Einige ihrer Behältnisse hatten sich aus dem großen Beutel befreit und lagen nun kreuz und quer auf dem kleinen Weg rum. Stöhnend bückte sich Keila und ich kam ihr schnell zur Hilfe. Wir packen ihren Beutel neu und dann machten wir es uns auf einem umgestürzten Baum am Wegesrand bequem. Ich teilte mit ihr mein Essen, wobei sie den deutlich größeren Anteil bekam. Man könnte auch sagen, dass Keila alles aß und ich nur ein paar Beeren abbekam.

„Warum seid Ihr hier alleine unterwegs?“ fragte ich Keila nach einiger Zeit. „Nun Mädchen, ich bin eine Händlerin. Ich reise von Clan zu Clan und biete meine Ware an.“ Antwortete sie. Ich beäugte ihren Beutel. In dem Beutel waren viele Sachen gewesen, die ich nicht kannte, aber davon auch nicht genug, um sie verkaufen zu können. „Und mit was handelt Ihr?“ fragte ich schließlich. Sie lachte erneut, wobei es fast wie ein Husten klang. „Nun wenn man so will, handle ich mit dem Zugang zu den Göttern.“ Ich legte den Kopf schief, was sie als Frage verstand. „Ich kommuniziere mit den Göttern. Ich kann mit deiner Hand, oder den Knochen eines Kindes deine Zukunft vorhersagen.“

„Ihr braucht Euch also nur meine Hand angucken und dann sagen Euch die Götter, was in meiner Zukunft passiert?“ fragte ich verwundert. „So etwas in der Art.“ Sagte sie. Ich dachte einen Moment lang nach, konnte mir aber immer noch nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte. Da ich es zu gerne mal sehen würde, wie Keila mit meiner Hand mit den Göttern kommunizierte, überlegte ich, was ich ihr als Gegenleistung geben könnte. „Würdet Ihr mir die Zukunft vorhersagen? Ich kann allerdings nur eine Heilsalbe als Gegenleistung anbieten.“ Keila lächelte: „Ich nehme dieses Angebot gerne an. Allerdings habe ich das Gefühl, dass du eher eine Geschichte brauchst, als deine Zukunft.“

Ich sah Keila mit großen Augen an und sie begann zu erzählen: „Vor vielen Jahren kamen Menschen über das Große Wasser zu uns. Sie sahen anders aus, sprachen, dachten und handelten anders. Auch glaubten sie an andere Götter. Es waren nur wenige Menschen, kaum so viele wie in einem Clan, doch sie erschufen sich ein Lager, welches größer war als drei Lager zusammen. Da sie kein Clangebiet besetzten, scherte man sich zunächst nicht um sie. Doch dann kam ein reisender und plündernder Clan in ihre Nähre. Dieser Clan raubte die umliegenden Clans aus und hinterließ Leichen. Er war nicht zu stoppen, doch als dieser Clan auf das Lager der Fremden Menschen traf, erwiderten diese ihren Angriff mit der Gewalt eines Sturmes. Von dem Angreifenden Clan überlebten nur wenige. Die Fremden hatten ihre Stärke bewiesen und wurden nun von den umliegenden Clans respektiert und gefürchtet, doch wenn man ihnen ohne Gewalt gegenüber trat, so empfingen die Menschen einen freundlich und auf ihre Art herzlich. Das Lager der Fremden wurde nie wieder angegriffen, stattdessen kamen Leute aus den Clans um mit ihnen zu handeln. Die Fremden verfügten über Wissen und Material, von dem noch nie jemand was gehört hatte. Und auch heute noch leben diese Fremden am Rand des großen Wassers und betreiben Handel.“

Keila verstummte und sah mich aufmerksam an. Ich hatte der Geschichte gespannt gelauscht, begriff jedoch nicht so wirklich, was ich mit dem Inhalt anfangen sollte. Ein Schweigen entstand, welches ich dann durch ein verhaltenes Räuspern unterbrach: „Und was hat diese Geschichte jetzt mit mir zu tun?“ „Sehr viel Mädchen. Denn diese Fremden sahen so aus wie du. Du hast dich hier vorgestellt in der Sprache der Clans und hast behauptet, dass du vom Clan der Malos kommst, doch eigentlich gehörst du zu den Fremden, zu den Weißen, die vor über zwanzig Jahren hier gelandet sind.“ Mir blieb der Mund offen stehen. Konnte es wirklich sein, dass meine Eltern diesen unheimlichen, starken Fremden angehörten? Obwohl mir die Gedanken nur so im Kopf herumschwirrten, wusste ich mit einem Mal eines ganz Sicher. Ich muss zu diesen Fremden, die die so aussehen wie ich. Vielleicht würde ich sogar meine Eltern wiederfinden. Ganz plötzlich hatte ich ein Ziel.

Die alte Frau schien meine Gedanken zu erraten, denn sie lächelte in sich hinein. Nach einiger Zeit, in der ich immer noch in Gedanken versunken dasaß, rappelte sie sich auf und streckte sich. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, stand ebenfalls auf und half Keila hier Hab und Gut wieder auf den Rücken zu hiefen. Dann kramte ich in meinem Beutel, bis ich die Heilsalbe fand. Keila nahm sie dankbar entgegen. „Nun Mädchen, ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Suche. Die Götter mögen dich auf deinem Weg beschützen.“ „Vielen Dank Keila, möget auch Ihr eine gute Reise haben.“ Wir nickten einander respektvoll zu und dann ging Keila ihrer Wege, während ich begann meine nächsten Schritte zu planen.

Sintalis - Weiße RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt