La hierbera Siela

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Yermo mied mich eine volle Woche. Plötzlich meiner Aufgaben und meines Tagesablaufes beraubt irrte ich durch das Haus und freute mich über jede Aufgabe, die mir die Köchin übertragen konnte, war sie auch noch so klein. Nach einer Woche tauchte Yermo ohne einen Kommentar wieder mit am Tisch auf und bat mich nach dem Frühstück in das Wohnzimmer. Dort begann er mit dem Unterricht, als wäre nichts gewesen. Er wirkte abweisend und schien mich bestrafen zu wollen. Ich schämte mich sein Vertrauen verloren zu haben, war aber vollkommen davon überzeugt, dass ich richtig gehandelt hätte und dass, wenn man mir zugehört hätte, ich nicht in der Nacht hätte ausbrechen müssen. Yermo hatte mich komplett von der Stadt abgeschirmt, sodass ich erst zwei Wochen später durch die Köchin erfuhr, dass die Kinder sich bester Gesundheit erfreuten und wieder durch die Stadt tobten. Von Gervais hörte ich nichts und Yermo ließ mich auch nicht zu ihm. Durch den Unterricht entwickelte sich wieder eine Routine, doch erneut steckte ich in dieser fest und verlor mich selbst in ihr. Im Haus wurde ich nun überall beobachtet und man traute mir nicht mehr. Dadurch fiel es mir schwer die Opfergaben für die Götter zu stehlen und mir fehlten die Gebete.

Mein Leben hier, welches ich mir mühsam erträglicher gemacht hatte, hatte sich durch meine Aktion wieder zurückentwickelt und es fühlte sich an wie in den ersten Wochen nach meiner Ankunft. Ich merkte wie ich immer mehr abstumpfte und trauriger wurde. Wenn sich nicht bald was ändern würde, würde ich mich bald selbst nicht mehr wiedererkennen. Die Monate vergingen und selbst Yermo bemerkte meinen Gemütszustand. Um mir einen Gefallen zu tun, lud er Javier ein einmal die Woche einen Abend mit uns zu verbringen. Sein Besuch und die Geschichten über meine Eltern waren eine willkommene Ablenkung, doch stimmten sie mich auch traurig, so erinnerten sie mich daran, was ich alles verloren hatte.

Ich hatte mir angewohnt auf das Haus zu hören und so fiel mir die Veränderung sofort auf. Es fing damit an, dass nach dem Mittagessen, in der Zeit, in der normalerweise eine kurze Ruhe in dem Haus einkehrte, jemand an der Tür klopfte. Ich war in meinem Zimmer und lauschte auf die Schritte. Jemand, vermutlich der persönliche Assistent von Yermo, öffnete die Tür, es gab eine kurze Unterredung und die Besucher wurden eingelassen. Ich hörte an den Schritten, dass es mehr als drei Personen waren. Neugierig geworden, schwang ich mich von meinem Bett, schlich aus dem Zimmer und spähte über den Treppenabsatz. Von meiner Position aus konnte ich die Personen nicht sehen, sodass sie ins Wohnzimmer gegangen sein müssen. Vorsichtig ging ich die Stufen runter und hoffte, dass sie nicht knarrten. Nach drei Stufen war ich weit genug gekommen, um gerade noch einen Blick auf eine Person zu erhaschen die im Wohnzimmer verschwand. Die Person trug die Uniform der Wachmannschaft und bei dem Körperbau musste es sich um Ruy handeln.

Warum war der Kapitän der Wachmannschaft hier? Was war das wohl für eine Unterredung? Ich blickte mich um, um nicht beim Lauschen erwischt zu werden, dann schlich ich die Treppe herunter und zur inzwischen geschlossenen Tür des Wohnzimmers. Dort angekommen richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die Stimmen hinter der Tür, doch außer Gemurmel war nichts zu verstehen. Ich war gerade drauf und dran mein Ohr an die Tür zu legen, als diese plötzlich aufschwang und mich ein junger Mann in der Uniform der Wachmannschaft verdutzt anblickte. Vor Verwirrung sagten wir nichts und starrten uns einfach nur an. „Cadet Tito, sind Sie eingefroren? Holen Sie Señora Siela." Kam eine kräftige Stimme aus dem Inneren. Cadet Tito öffnete die Tür vollends, sodass die Personen im Inneren mich sehen konnten. Peinlich berührt stand ich vor der Tür, während ich erstaunt die Versammlung im Wohnzimmer betrachtete. Dort saßen Kapitän Ruy, Gervais, Javier und die Frau, die ich von der Geiselübergabe kannte.

Cadet Tito trat zur Seite und bedeutete mir einzutreten. Ich folgte der Aufforderung und trat schüchtern in den Raum. Keiner schien so recht zu wissen, wo er anfangen sollte. Die Stille zog sich unangenehm hin, während ich darauf wartete, dass mir jemand erklärte, was hier lief. Irgendwann wurde es der Frau zu blöd und sie ergriff das Wort: „Hallo Siela, wie schön dich endlich kennenzulernen und mit dir reden zu können. Mein Name ist Adriana, ich bin die Expeditionsleiterin." Ich verstand das letzte Wort nicht und schaute sie verwirrt an. Sie verstand und erklärte: „Ich leite die Forscher bei einem Ausflug nach draußen." Verstehend nickte ich und sie fuhr fort: „Wir planen seit langem einen großen Ausflug. Den größten, den wir bisher gemacht haben. Dieser Ausflug soll uns weiter in dieses Land führen und unsere Forschung voranbringen." Mit einem Blick zu Javier holte sie weiter aus: „Wie du weißt, wurden schon lange keine großen Ausflüge mehr gemacht, aber ich möchte das ändern. Meiner Meinung nach bringt es unsere Forschung nicht voran nur in unserer Stadt zu sitzen. Nach einigen Anstrengungen habe ich es geschafft den Rat zu überzeugen diesen Ausflug durchzuführen." Yermo warf ihr einen missbilligenden Blick zu, doch sie scherte sich nicht drum.

Es war interessant, was sie mir erzählte, doch verstand ich nicht, weshalb ich nun hier stand. Adriana fuhr fort: „Die Planungen für den Ausflug sind fast abgeschlossen, doch es gab in dem Team, welches ich zusammengestellt hatte Bedenken. Unsere Expedition... ich meine unser Ausflug wird mehrere Monate dauern und die Männer und Frauen haben Sorge, dass wir diese Zeit ohne medizinische Versorgung sind. Wir haben Doktor Gervais angefragt, doch er ist der einzige Arzt hier und kann uns nicht begleiten, doch er hat vorgeschlagen, dass wir dich stattdessen mitnehmen." Überrascht schaute ich zu dem Arzt. Doch dieser verschränkte bloß die Arme vor der Brust und sagte nichts. Ich blickte in die Runde, sollte das wirklich war sein, würden Sie mir eine Chance geben aus dieser Stadt zu kommen und als Heilerin zu arbeiten?

„Wir sind nun hier, um darüber abzustimmen, ob du mitgehen darfst." Sagte Yermo. Abstimmen? Wer musste abstimmen? Konnte ich nicht selbst entscheiden, ob ich mitgehe oder nicht? Offenbar nicht, denn binnen kurzer Zeit hatte jeder der Anwesenden seine Meinung dazu gesagt und jetzt wurde tatsächlich jeder gefragt, ob er dafür oder dagegen stimmte. Jeder außer mir. War ich nur hier um die Entscheidung zu hören? Fragte mich keiner nach meiner Meinung? Doch meine Empörung wurde schnell von der Anspannung abgelöst, wie sich die Anwesenden für mich aussprechen würden und ob es mir möglich war nach draußen zu kommen. Ruy, der seine Meinung auf ein knappes „Nein" beschränkte, würde sich wohl nicht umstimmen lassen. Javier dagegen erzählte lang und breit von meinen Eltern und wie talentiert sie auf diesen Ausflügen waren. Er stimmte für mich, jedoch weder wegen meiner Fähigkeiten noch meines Wissens, allein wegen meines Blutes. Adriana stimmte mit einem kurzen Vortrag über mehr Frauen bei den Forschern für „Ja". Gervais ließ sich Zeit mit der Antwort, doch schließlich antwortete auch er mit einen kurzen „Ich bin dafür". Auch mit Yermos Stimme wäre jetzt schon für mich entschieden, wenn es nach der Anzahl der Stimmen ging, doch ich wusste, dass Yermos Stimme, die Einzige war, die zählte. Sollte er dagegen sein, wäre es aus mit diesem Lichtblick, welcher so unerwartet vor mir aufgetaucht war.

Yermo blickte in die Runde, schien abzuwägen. Schließlich blieb sein Blick auf Gervais hängen. „Du meinst, Siela kann das als Heilerin schaffen?" Gervais, dem anzumerken war, dass es ihm widerstrebte meinem Vortrag, dem ich ihn nach der Sache mit den Kindern gehalten hatte, zuzustimmen, doch erneut gab er mit einem kurzen „Ja" seine Zustimmung. Yermo seufzte tief, doch dann sagte er mit kräftiger Stimme: „Dann gebe ich auch meine Zustimmung. Siela darf euch als Heilerin auf den Ausflug begleiten. Adriana lächelte, kam zu mir und klopfte mir auf die Schulter: „Also dann „hierbera Siela" ich freue mich auf gute Zusammenarbeit." Sie verließ den Raum und ihr folgten der Rest, bis ich schließlich allein stand. „Hierbera Siela", „Heilerin Siela". Adriana hatte es gesagt als wäre es nichts, nur ein Name, den sie mir aus Spaß gegeben hatte und doch hatte ich das Gefühl, als hätte sie mir soeben meinen Namen gegeben.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now