Stimmungsschwankung

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Neben mir bewegte sich etwas, in Alarmbereitschaft und bereit mich mit den Händen zu verteidigen wandte ich mich um. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen blickte mich Enzo, der Schreiber an. Er war mittleren Alters und hatte eine so hagere Statur, dass er unter dem Karren bequem Platz hatte. Zu einem kleinen Bündel zusammengerollt, lag er neben mir und hielt sich die Ohren zu. An seinem aschfahlen Gesicht erkannte ich, dass er einen Schock hatte. Sofort machte ich mir im Kopf eine Liste, was ich tun müsste um ihm nachher zu helfen.

Die Stille draußen hielt an, doch ich wagte es nicht heraus zu kommen und Enzo würde ohne Hilfe sich nicht mehr bewegen. In der Wartezeit überlegte ich mir die Verletzungen, mit denen ich eventuell konfrontiert werden würde. Plötzlich polterte etwas über uns im Wagen und ich hielt die Luft an. Dann tauchten zwei Füße auf der Rückseite des Wagens auf und kurz danach das Gesicht von Adriana. Ganz ihrer Selbstsicherheit beraubt hatte ich das Gefühl in ein fremdes Gesicht zu schauen. „Es ist alles vorbei, ihr könnt rauskommen", sagte sie matt.

Langsam schob ich mich auf dem staubigen Boden in ihre Richtung und setzte mich schließlich auf. Ich versuchte gar nicht erst den Staub abzuklopfen und ging direkt wieder auf die Knie und spähte zu Enzo, dessen Lage sich nicht verändert hatte. Dann warf ich Adriana einen prüfenden Blick zu. Bis auf ihre neue Verunsicherung, schien sie jedoch keine Verletzungen aufzuweisen. „Hilf mir bitte Enzo hervorzuholen, er hat einen Schock", sagte ich zu ihr und wir machten uns dran Enzo vorsichtig hervorzuziehen. Dann gab ich Adriana die bereits überlegten Anweisungen und machte mich auf die Suche nach den anderen Expeditionsteilnehmern um nach möglichen Verletzungen Ausschau zu halten.

Von weitem sah ich Luis vor dem Wald patrouillieren. Ein weiterer Unverletzter, sehr gut. Da ich nicht wusste, wie gefährlich die Lage noch war, traute ich mich nicht ihn zu rufen und nach den anderen zu fragen. Als ich auf der Vorderseite ankam, sah ich meine Schritte und trat hinter Nael. Dieser war so mit der Person vor sich beschäftigt, dass er mich nicht kommen hörte und mit gezogener Waffe aufsprang, als ich ihn an der Schulter berührte. „Alles gut, ich bin es nur." Versuchte ich ihn zu beruhigen und gleichzeitig an ihm vorbeizuschauen.

Ich konnte zwei liegende Personen erkennen, jedoch identifizierte ich sie erst als Gael und Iker, als Nael zur Seite trat. Jetzt verstand ich auch, weshalb mich Nael nicht gehört hatte. Gael war sein älterer Bruder und dieser lag gerade mit einem Pfeil im Bein am Boden, während Iker neben ihm sich den Arm von einem Streifschuss hielt. Von der anderen Seite des Karrens kam plötzlich außer Atem Thomás hervor mit einem Eimer Wasser in den Händen. Kurz schloss ich die Augen, um meine Kräfte zu sammeln, dann übernahm ich das Kommando.

„Wo sind Mark, Andrés und José?" fragte ich in die Runde „Hat sie schon jemand unverletzt gesehen?" „Mark und Andrés sichern zusammen die Gegend ab. José habe ich noch nicht gesehen." Erklärte Nael. „Also gut, dann mache dich bitte auf die Suche nach ihm und überprüfe, ob er unverletzt ist." Ordnete ich Nael an. „Aber, ich muss..." fing er an zu protestieren, doch ich unterbrach ihn: „Ich werde mich um Gael und Iker kümmern und Thomás wird mir helfen. Du kannst hier nichts weiter tun, jedoch könntest du eventuell einem schwerverletzten Kammeraden helfen, der nicht gerade eine Heilerin an der Seite hat." Nael riss die Augen auf, dann salutierte er vor mir und machte sich auf die Suche.

Jetzt konnte ich mich endlich meinen Patienten widmen, die beide bei Bewusstsein waren und mich anstarrten. „Respekt kleine Lady, hätte nie gedacht, dass diese stille Maus es schafft meinen Bruder herumzukommandieren." Sagte Gael, wobei er so wirkte, als ob wir gerade in einer netten Runde ums Feuer saßen und ihm nicht gerade ein Pfeil im Bein steckte. Ich lächelte verwirrt und konzentrierte mich dann wieder. Gael schien zumindest seelisch in guter Verfassung zu sein, was ich von Iker nicht sagen konnte, der kreidebleich im Gesicht war. Thomás schien leicht geschockt zu sein, jedoch hilfsbereit. „Thomás, ich brauche meine braune Arzttasche aus dem Wagen und Feuerholz." Thomás nickte und sprang auf. „Warte, wenn du da bist, schau bitte auch nach Enzo und berichte mir von seinem Zustand und berichte Andriana von der Situation hier." Er nickte und schien ebenfalls kurz davor zu sein zu salutieren, bevor er verschwand.

Während ich die Wunden der beiden Männer untersuchte, Iker beruhigte und auf Thomás Rückkehr wartete, kam Nael auf mich zugerannt. Außer Atem stützte er sich auf seine Knie und ich befürchtete das Schlimmste: „Ich ... habe ... José ... gefunden. Er ... ist ... unversehrt und ... hilft bei den ... Patrouillen." Erleichtert atmete ich auf und hörte, wie Gael es mir gleichtat. Im Folgenden konnte ich in Ruhe die Wunde von Iker versorgen, die er bald schon nicht mehr spüren dürfte. Die Schusswunde von Gael war komplizierter und ich musste ihn in einen Schlaf schicken um in Ruhe den Pfeil entfernen zu können und die Wunde versorgen zu können. Ich hatte an dem Pfeil gerochen und er schien nicht vergiftet gewesen zu sein und so sollte Gael eine gute Chance haben bald schon wieder laufen zu können. Bis dahin würde er ein Platz hinten im Karren bekommen und wenn die Wundheilung weiter vorgeschritten war die Ehre haben dürfen jeden Tag den Karren zu lenken.

Nachdem Gael im Karren lag nahmen wir unsern Weg wieder auf und suchten uns für diese Nacht ein besonders sicheres Nachtlager. Am Abend baute mir Nael ohne zu fragen mein Zelt auf und Thomás steckte mir eine extra Scheibe Brot zu. Außerdem begannen alle mich beim gemeinsamen Sitzen am Lagerfeuer nicht mehr zu ignorieren bzw. zu übersehen, sondern fingen sogar ein Gespräch mit mir an. Mit so viel Freundlichkeit konnte ich nicht umgehen und schlief schließlich mit einem Stirnrunzeln ein.


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now