Die Weißen

130 11 0
                                    

Die Zeit verging und die einzigen Ablenkungen waren die Mahlzeiten, die mir zweimal am Tag gebracht wurden und das Wasser, welches mir viermal am Tag gebracht wurde. Ich verbrachte meine Zeit mit Schlafen, dösen oder mit Tagträumen. Durch die Ritzen des massiven Zeltes konnte ich die Wachen vor dem Eingang erkennen, doch das Zelt stand viel zu weit weg um vom restlichen Clan etwas mitzubekommen. Meine Langeweile kannte keine Grenzen und ich verzweifelte fast, als sich eines Morgens etwas veränderte.

Ich merkte es sofort. Gerade hatte man mir den leeren Teller vom Frühstück abgeräumt und ich hatte mich zum dösen hingelegt, als das leise Geplauder der Wachen mit einem Mal verstummte. Ich setzte mich auf und rutschte zu einem Spalt neben dem Eingang. Die Wachen, die meist entspannt vor meinem Gefängnis standen, waren nun kerzengerade rechts und links neben dem Eingang positioniert. Ihre Waffen, zwei Speere, vor dem Eingang gekreuzt. Neugierig wandte ich meinen Blick in die selbe Richtung wie sie.

Auf dem schmalen Weg, der zu meinem Gefängnis hochführte waren drei Personen zu erkennen, denen zwei Truppen bewaffnete folgte. Ich konnte nicht erkennen, ob es sich bei den Personen um Frauen oder Männer handelte, aber ich konnte sehen, dass zwei der Personen an der Spitze sowie eine der Truppen Weiße waren. Meine Augen weiteten sich. Noch nie hatte ich jemanden gesehen, der so aussah wie ich. Der, wenn er neben den Clansleuten ging ebenso herausstach wie ich. Fasziniert verfolgte ich das Bild dieser so unterschiedlichen Truppen während sie immer näher kamen.

Als die ersten nah genug waren um sie zu erkennen begann mein Herz vor Aufregung wie wild zu pochen. Es waren ein Mann und eine Frau. Beide hatten so weiße Haut wie ich, vielleicht sogar etwas Weißer. Sie wirkten fast blass. Aber besonders außergewöhnlich fand ich die Frau. Sie hatte lange braune Haare, die auf ihrer Haut einen schönen Kontrast bildeten. Der Mann hatte so blonde und helle Haare wie ich. Ich starrte die Beiden an. Sie waren wie ich und auch wieder nicht. Ich hatte geglaubt, dass alle Weißen so aussehen würden wie ich. So wie bei den Clansleuten, wo es nur eine Hautfarbe, eine Haarfarbe und nur eine Augenfarbe gab, wenn auch in verschiedenen Schattierungen, hatte ich geglaubt, dass die Weißen auch nur eine Hautfarbe, eine Haarfarbe und eine Augenfarbe hatten. Auch wenn die Frau noch nicht nahe genug war um es genau sagen zu können, so vermutete ich bei dennoch eine dunklere Augenfarbe.

Ich war so fasziniert, von den Menschen die mir so ähnlich sahen und doch so unterschiedlich waren, dass ich den Grund fast vergaß, weshalb sie hergekommen waren. Doch als die drei vor meinem Gefängnis stehen blieben fiel es mir wieder ein. Neben den zwei Weißen war noch der Anführer des Halander Clans gekommen. Sie standen sich nun gegenüber und warfen gemeinsam einen skeptischen Blick in meine Richtung. Schnell zog ich mich etwas von der Lücke zurück, vermutete jedoch, dass sie mich als Schatten erahnen konnten. Ich kroch zurück an meinen Beobachtungsposten und sah wie der Anführer mit Händen und Füßen und abgehackten Wörtern, die mir vollkommen fremd waren, den zwei Weißen etwas zu sagen versuchte. Die Beiden schienen ein wenig zu brauchen um den Sinn zu verstehen und als sie antworteten kamen die selben fremden Wörter aus ihrem Mund nur diesmal flüssig und merkwürdig melodisch.

Der Austausch ging noch ein wenig weiter und schien für beide Seiten schwierig zu sein. Immer wieder wurde in die Richtung meines Gefängnisses gedeutet, dann ab und zu auf eine Frau, die an der Spitze der Truppe aus bewaffneten Clansleuten stand. Sie war schon etwas älter und unbewaffnet, dafür verfolgte sie den Austausch mit großen, verquollenen Augen. Als die Weißen vehemente mit dem Kopf schüttelten, brach die Frau in Tränen aus. Die Weißen blickten zu ihr und dann in meine Richtung. Ich versuchte es mir halbwegs zusammenzureimen. Ich wurde gefangen um als Druckmittel für einen Austausch zu fungieren und so wie die Clansfrau aussah und der Tatsache geschuldet, dass bei den Gesten keine zählende dabei war, vermutete ich, dass das Objekt des Austausches ein Clanmitglied war und vermutlich mit der Frau verwandt.

Die Weißen müssten also im Austausch für mich einen oder eine Gefangene freilassen und bisher sah es so aus, als wären sie nicht bereit diesen Preis zu zahlen. Die Diskussion schien hitziger zu werden, auch wenn sie immer noch so holprig voranging wie zuvor. Schließlich deuteten die Weißen immer wieder auf meinen versperrten Eingang und schließlich machte der Anführer eine Geste, die veranlasste, dass die Wachen vor dem Eingang sich regten. Sie nahmen ihre Speere wieder an sich und machten sich daran den Eingang zu öffnen. Ich gab meinen Beobachtungsposten auf und hätte mich gerne hingestellt um einigermaßen würdig auszusehen, doch dafür war dieses Zelt einfach zu klein. Also setzte ich mich so hoch aufgerichtet wie ich konnte ich Schneidersitz vor den Eingang und wartete bis dieser geöffnet wurde.

Die Bretter vor dem Eingang verschwanden und ich blickte zunächst in das Gesicht einer meiner Wachen. Dann trat diese zur Seite und die drei Verhandlungspartner sahen mich an. Ich sah einen nach dem anderen an. Zuerst den Anführer, der leicht nervös zu sein schien. Offenbar waren die Weißen bisher nicht mal annährend geneigt gewesen mich einzutauschen. Dann die braunhaarige Frau, die wie ich jetzt erkannte bereits einige graue Strähnen hatte und ein paar Falten im Gesicht. Doch ihr Alter ließ sie um so würdevoller erscheinen und ich versuchte mich bei ihrem Anblick noch aufrechter hinzusetzten. Sie strahlte eine Autorität aus, wie ich sie bisher nur bei den Anführern der Clans gesehen hatte, doch wo bei den Anführern noch die Furcht unter die Autorität gemischt war, schien bei die Überlegenheit des Geistes zu zählen. Zum Schluss sah ich den Mann an, der mir am ähnlichsten war, auch er war älter als ich gedacht hatte. Der Mann sah mich mit vor Überraschung geweiteten Augen an und erkannte, dass diese genauso blau waren wie meine. Der Mann war mir so ähnlich, dass ich das Bedürfnis hatte ihn zu berühren um sicher zu gehen, dass er keine Einbildung war.

Auch der Frau war die Ähnlichkeit aufgefallen und sie blickte kurz von dem Mann zu mir und wieder zurück. Schließlich nahm sie ihn am Arm und löste ihn dadurch aus seiner Starre. Sie zog ihn etwas von dem Anführer weg und sie flüsterten etwas in ihrer Sprache. Während sie sich berieten, saß ich immer noch vor dem offenen Eingang und versuchte diese kurzen Eindrücke zu verarbeiten. Zwischen meinen wirren Gedanken schoss mir mit einem Mal ein Gedanke durch den Kopf, der den Atem stocken ließ. ‚Dieser Mann dort könnte dein Vater sein.‘ Ich beobachtete den Mann wie er sich zu der Frau herunterbeugte, damit sie nah beieinander sich etwas zuflüstern konnten.

Ich schätzte ihn auf etwas älter als Nossan jetzt wäre. Es würde demnach mit dem Alter passen. Und die Ähnlichkeit war einfach verblüffend. Auch seine Reaktion war ein Hinweis. Konnte er also wirklich mein Vater sein? Wenn ja, hatte ich unendlich viele Fragen an ihn, wobei eigentlich nur eine wichtige: Wieso hatten er und meine Mutter mich im Stich gelassen?

Die Besprechung der Beiden war zu ende und ich schob meine Gedanken beiseite um keine der Reaktionen zu verpassen. Die Frau trat vor und sagte etwas langsam und bestimmt in ihrer Sprache zu dem Anführer. Dieser nickte, die Clansfrau fiel vor Erleichterung fast in Ohnmacht und ich hatte verstanden. Sie würden mich also austauschen. Ich würde ins Lager der Weißen ziehen.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now