Epilog: Sinah

128 8 4
                                    

„Die Göttin Sinta war perfekt, rein und gut. Doch sie war das einzige Kind der Göttin Sona und fühlte sich oft allein. Lange plagte sie sich mit ihrer Einsamkeit und hoffte irgendwann einen Mann zu treffen, der ihr ein Kind schenken würde und ihre Einsamkeit beenden würde. Doch auch das geschah nicht. Die Jahre verstrichen und Sinta wurde älter. Götter altern langsamer als Menschen, sodass hunderte von Jahren vergingen, bis Sinta die Einsamkeit zu groß war. Mit ihrem unendlichen Wunsch nach einem Kind erschuf sie eine Blume. Eine wunderschöne Blume, die als Knospe begann und schließlich zu einer majestätischen Blume heranwuchs. Dann eines besonderen Tages öffnete die Blume ihre Blätter und ihm inneren lag ein Kind. Sinta nannte ihr Kind Assoluma und als es älter wurde, wurde ihr Kind zu Göttin der Fruchtbarkeit, sodass niemand mehr ohne Kinder bleiben sollte."

Ich blickte in die Gesichter vor wir, die meiner Geschichte, die ich in beiden Sprachen erzählte, aufmerksam lauschten. Ihre aufgeregten und faszinierten Gesichter waren sich so ähnlich, dass man vergaß, dass die Kinder aus zwei Welten stammten. Als ich die Märchenstunde am nachmittag in der Schule der Stadt angefangen hatte, wollte ich den Kindern die Geschichten aus beiden Welten erzählen und ihnen dabei spielend die Sprache des jeweils anderen beibringen. Doch inzwischen hatte es auch großen Anklang bei den Erwachsenen gefunden. Bei der heutigen Stunde war Ais dabei mit Mayra auf dem Schoss. Mit ihr war die Clanfrau Herate gekommen. Neben den beiden saß Doktor Gervais und neben ihm seine Frau.

Als die Kinder mich genug mit ihren Fragen gelöchert hatten entließ ich sie nach draußen und während ich noch schnell aufräumte kam Gervais zu mir. „Ich bin jedesmal erstaunt über eure Göttergeschichten. Einige von ihnen ähneln Geschichten, die ich auch von meinem Kontinent kenne. Bei dieser Geschichte habe ich mir die ganze Zeit eine weiße Rose vorgestellt aus der Assoluma erwächst. Rose heißt übrigens im lateinischen Sinah. Ist das nicht erstaunlich wie ähnlich sich das alles doch manchmal ist?" Er erwartete keine Antwort und ging vor sich in sinnend davon.

Ich jedoch hatte meine Arbeit unterbrochen und als wäre es ein Zeichen kam mir plötzlich die Anmerkung von Derad vom Belaura-Clan in den Sinn: „Doch ich komme nicht umhin zu bemerken, dass euer Name nun nicht mehr wirklich zu passen scheint. Siela, die Verlorene." Damals hatte ich dem Satz keine Bedeutung zugemessen und erst jetzt fiel mir auf, dass es daran lag, dass ich meinen Platz im Leben noch nicht gefunden hatte. Es hatte noch ein wenig mehr Zeit gebraucht, bis ich nicht mehr verloren war. Mit einer Idee im Kopf verließ ich das Schulgebäude, strich durch die Straßen der Stadt und verließ sie schließlich durch das weit offene Tor.

Erst seitdem das Tor der Stadt geöffnet worden waren hatte ich bemerkt, wie riesig sie waren. Jeden Abend, wenn sie geschlossen wurden, mussten sich pro Flügel je sechs Männer dagegenstemmen, um sie zu bewegen. Am nächsten Morgen dann wieder die gleiche Prozedur. Es war zu einer Art Ritual geworden und jeden Morgen standen bereits auf beiden Seiten die Menschen, die anschließend entweder in die Stadt oder im Lager zur Arbeit oder zum Lernen gingen. Jeden Morgen standen sich die zwei Welten kurz getrennt gegenüber, bevor sie sich mischten. Ich liebte es dabei zu sein, wobei ich abwechselnd auf der einen oder auf der anderen Seite vor dem Tor stand.

Ein kurzer Fußmarsch führte mich durch Dünen und nach kruzer Zeit erblickte ich das Lager der Malos. Es hatte lange gedauert, bis alles, was in den Verhandlungen beschlossen wurde in die Tat umgesetzt werden konnte. Zunächst war ich mit den Forschern auf direktem Weg zur Stadt gereist. Dort hatten wir ausführlich Bericht erstatten müssen und waren schließlich bei den Verhandlungen mit den Malos angekommen. Nachdem die Wut und Trauer über den schrecklichen Verlust Naels verklungen war, wurde die Idee erst zögerlich, doch dann mit immer mehr Enthusiasmus aufgenommen. Einen Monat später reiste ich mit einem großen Heer an Wagen, Karren, Pferden und Menschen wieder zu den Malos. Dort war auch die Aufbruchstimmung eingekehrt und es dauerte nicht lange bis alles verstaut war, die Alten, Kranken und Schwangeren gemütlich saßen und die Reise ans Meer startete. Ich genoss die Zeit mit Ais, Nefet und Mayra und wir konnten uns nun endlich ausführlich von den Ereignissen der letzten eineinhalb Jahren erzählen.

Am Meer angekommen staunten die Clansfrauen über das große Wasser und die riesige Stadt. Die war sogar noch lauter als vorher, denn es wurde ein Fest ausgerichtet, um die neuen Verbündeten willkommen zu heißen. Wenig später wurde unweit der Stadt das Lager errichtet. Die Bauleute der Forscher halfen mit und so bekamen Ais und Nefet als Oberhäupter als erstes einen einfachen Holzbau anstelle eines Zeltes. Die Bauleute wollten einen zweigeschossigen Bau anlegen, der hoch über alle hinausgeragt hätte, doch ich riet davon ab. Ich konnte mich trotz der langen Monate immer noch nicht ganz daran gewöhnen nur auf Holz zu stehen mit einer großen Leere unter sich und nachdem Nefet und Ais zu ersten Mal im ersten Stock eines Hauses standen, stimmten sie mir zu.

Jetzt ging ich auf den Bau zu, dessen Bauweise an die der Stadt erinnerte, dessen Verzierung jedoch ganz der Clansart entsprach. Es war eine wunderschöne Kombination und ich liebte es in dem Haus zu schlafen. Doch auch mein Zimmer bei Yermo hatte ich behalten, da mich oft nächtelange Verhandlungen in der Stadt hielten. Ich liebte mein neues Leben, welches aus Lehren und der Vermittlung bestand, jedoch vermisste ich es als Heilerin zu arbeiten. In der Stadt gab es Gervais und im Clan Kyl, der sich inzwischen sehr gut gemacht hatte, wie ich selbst feststellte. Doch ab und zu holte mich Gervais oder Kyl zu einen Fall dazu und manchmal verbrachte ich auch einfach meine freien Stunden bei einem von ihnen um Kräuter zu trocknen und zu mörsern.

Ich stieß die Tür auf. „Nefet, bist du da?" rief ich. Sie kam aus der Küche, beschmiert mit Mehl und sah nicht sonderlich glücklich aus. „Wie können die Menschen nur mit etwas so feinem Brot backen, das kann doch nicht halten." Ich lachte und klopfte ihr Mehl von der Schulter. „Da musst du den Bäcker fragen." „Wie heißt das nochmal in ihrer Sprache?" fragte sie und ich sagte es ihr und ließ sie es so oft wiederholen, bis die Aussprache gut war. „Was wolltest du eigentlich?" fragte sie. Ich erzählte ihr von den Ereignissen in der Schule, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Na, ich habe mir überlegt meinen Namen zu ändern. Ich bin nicht mehr verloren. Es fühlt sich an, als wäre ich neugeboren worden, deswegen möchte ich einen neuen Namen, für mein neues Leben." Nefet lächelte. „Das klingt schön und welchen Namen hast du dir ausgedacht?" „Ich liebe die Geschichte von Sinta und die Blume aus der Assoluma geboren wird, nennen wir Sintalis, die weiße Rose. In der Welt, aus der meine Eltern kommen gibt es auch einen Namen für die Rose. Der lautet ‚Sinah'. Ich möchte nun Sinah heißen, wie die weiße Rose. Eine Mischung aus beiden Welten."

Nefet legte den Kopf schief und sah mich an. Dann verzog sich ihr Mund zu einem lächeln. „Sinah" probierte sie meinen Namen aus und dann nochmal „Sinah". Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Der gefällt mir. Ich bin dafür, dass wir das feiern. Lass uns deinen Namen feiern und dein neues Leben."


Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now