Rückkehr

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Es war bereits tiefste Nacht, als ich in die Nähe des Lagers kam. Vorsichtig schlich ich mich zu dem Zelt, welches Nefet und Vazal bewohnt hatten. Ich konnte nur hoffen, dass Nefet hier noch wohnte. Ich wartete ab, bis die Wache nicht in meine Richtung schaute, dann öffnete ich geschickte die Zeltplane und schlüpfte ins Innere. Durch das noch schwach glimmende Feuer erkannte ich eine schlafende Person, ganz alleine auf einem Lager, welches eigentlich für zwei war. Eine einzelne Träne rann mir die Wange herunter als ich erneut an den Verlust denken musste, den Nefet erlitten hatte.

Ich knotete die Zeltplane hinter mir zu und schlich dann zu Nefet. Beim Näherkommen erkannte ich ihr Gesicht. Nefets Gesicht wirkte verändert, ich konnte nicht genau sagen wie, vielleicht etwas älter oder reifer, aber auf jeden Fall anders. Sanft legte ich ihr eine Hand auf den Mund, damit sie nicht schrie. Durch meine Berührung wachte Nefet auf, holte Luft um zu schreien, doch dann hielt sie inne. Ich nahm meine Hand von ihrem Mund und drehte mich etwas seitlich, sodass der schwache Schein der Glut auf mein Gesicht fallen konnte. „Siela?!“ Nefet sprang auf und umarmte mich so stürmisch, dass ich hinten über fiel und sie gleich mit.

Lachend stemmte sie sich hoch und half mir ebenfalls hoch. Sie so fröhlich zu sehen, hatte ich nicht erwartet und da mein Herz durch die Erinnerungen noch voller Kummer war, konnte ich in ihr Gelächter nicht einstimmen. Doch ich lächelte sie liebevoll an. Nefet beruhigte sich und entzündete das Feuer erneut. Als nun endlich wieder genug Licht das Zelt erhellte betrachtete ich meine Schwester genauer und schnappte nach Luft.

„Nefet, du bist…, bist du etwa…“ stammelte ich. „Schwanger?“ Vollendete sie meine Frage, lächelte breit und strich sich über den gewölbten Bauch. „Ja, die Göttin Assoluma ist mir wohlgesonnen. Sie schenkte mir Vazals Kind und ließ so einen Teil von ihm in mir weiterleben.“ Bei der Erwähnung von Vazals Namen huschte ein trauriger Ausdruck über ihr Gesicht, doch dann strich sie über ihren Bauch und er war verschwunden. „Jetzt musst du erzählen. Was haben die Twinkikis dir angetan? Wie konntest du fliehen?“ Nefet musterte mich von oben bis unten, sah mein verletztes Bein, drehte sich um und holte sofort eine Kräuter und Salben raus. Ich erkannte die schwache Wundheilsalbe, deren Zubereitung ich Nefet beigebracht hatte.

Während ich meine Wunde reinigte, die Heilsalbe aufstrich und sie neu verband, erzählte ich Nefet von meiner Gefangenschaft bei den Twinkikis, dem Sturm, der mich befreit hatte und dem Verstecken vor den Wachen der Twinkikis. Nefet hingegen erzählte mir, wie der Clan sich durch die fehlenden Männer verändert hatte. Ais hatte das Oberhaupt übernommen, die älteren Krieger, die aufgrund ihres Alters von den Twinkikis verschont geblieben sind, hatten Frauen zu Kriegerinnen und Jägerinnen ausgebildet. Kyl hatte sich als Heiler ganz gut geschlagen und stand nun vollends unter der Kontrolle des Ältestenrats, der teilweise sogar mehr Macht ausübte als Ais. Es war auch der Ältestenrat, der Kyl einen neuen Lehrling suchte und obwohl es an heranwachsenden Jungend mangelte, hatte der Ältestenrat einen zehnjährigen Jungen zum Lehrling bestimmt. Ich verdrehte bei dieser Tatsache die Augen.

Nefet erzählte, dass viele unverheiratete Frauen den Clan verlassen hatten um bei einem anderen Clan Unterschlupf zu suchen und dort möglicherweise einen Mann. Auch einige der jüngeren Witwen mit Kindern waren mitgegangen, sodass der Clan nicht nur durch die fehlenden Männer an Stärke verloren hatte, sondern auch die Zukunft des Clans nicht mehr gesichert war. Bei Nefets Worten schwang eine gewisse Hoffnungslosigkeit mit. Ob dieser Clan noch lange würde bestehen können?

„So, jetzt aber erstmal schlafen. Du bist ja völlig fertig.“ Bestimmte Nefet und passte sich damit schon ihrer zukünftigen Mutterrolle an. Ich lächelte, während ich ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte. Nefet gab mir ihr Nachtkleid, während sie sich ein deutlich größeres anzog, was sie vermutlich von Ais hatte und was für die späteren Monate ihrer Schwangerschaft gedacht war. Wir kuschelten uns auf dem großen Lager aneinander und ich schlief so glücklich wie schon lange nicht mehr ein.

Früh am nächsten Tag, waren Nefet und ich auf den Beinen und machten uns auf den Weg zum Zelt des Oberhaupts. Die wenigen Frauen, denen wir auf dem Weg dorthin begegneten, sahen mich mit weit aufgerissenen Augen an, als hätten sie einen Geist gesehen. Geübt vermied ich jeden Augenkontakt und blickte stur in Richtung unseres Zieles. Nefet hob die Plane zu dem Zelt, in dem wir beide aufgewachsen waren. „Mutter?!“ rief sie in das riesige Zelt. Ais tauchte auf und ihre zierliche Gestalt, ich war mir sicher, dass sie noch dünner war als vorher, wirkte verloren in mitten von vier Lagerstätten.

Ich schob mich an Nefet vorbei. Ais traten sofort die Tränen in die Augen, während ich auf sie zueilte und sie so fest ich konnte in den Arm nahm. Auch mir rannen jetzt Tränen über das Gesicht und versickerten im Stoff von Ais‘ Kleid. Ais löste sich von mir und überhäufte mich mit Fragen. Geduldig wiederholte ich meine Geschichte. Wir hatten es uns alle drei auf den Lagern bequem gemacht, dabei fiel schmerzhaft auf, dass das Lager von Nossan unberührt blieb. Noch während ich erzählte, wurde plötzlich die Plane aufgerissen und einige Älteste traten ein. An ihrer Spitze Tlen.

„Was macht die hier?“ keifte Tlen mit ihrer schrillen Stimme, die ich schon fast wieder vergessen hatte. „Meine Tochter Siela ist den Twinkikis entkommen und wieder nach Hause zurückgekehrt.“ Sagte Ais und in ihrer Stimme schwang eine ungewohnte Autorität mit. „Und woher wissen wir, dass sie keine Spionin ist?“ Ich sah Tlen entgeistert an. Spionin? Ich? Wie kam sie nur auf so einen absurden Gedanken? Nefet und Ais schien es ebenso die Sprache verschlagen zu haben, daher redete Tlen einfach weiter. „Wahrscheinlich soll sie nur auskundschaften, ob hier noch was zu holen ist und morgen tauchen dann eine ganze Horde von denen auf. Hier gibt es nichts zu holen, also hau wieder ab und geh zu den Twinkikis. Schließlich scheinen die dich ja zu wollen. In diesem Clan bist du nicht mehr erwünscht.“

Es fühlte sich an als hätte mir jemand gegen die Brust geschlagen. In mir zog sich alles zusammen. Die Tränen ließen sich nicht mehr zurückhalten. „Aber ihr könnt sie doch nicht wegschicken. Sie ist keine Spionin.“ rief Nefet vollkommen entgeistert. „Ob Spionin oder nicht. Nur durch sie musste unser Clan so schreckliches erleiden. Sie hat die Götter erzürnt und sie haben sich an uns gerächt. Sie ist Schuld am Tod unserer Männer.“ Die Ältesten hinter ihr nickten bestätigend. In mir stieg Galle auf, ich ließ mich auf eins der Lager sinken und kämpfte dagegen an. Ich hatte so lange gekämpft um anerkannt zu werden, hatte diesem Clan mehr als nur einmal einen guten Dienst erwiesen, war entführt worden, schlecht behandelt worden und geflohen um wieder bei meinem Clan zu sein. Doch dieser gab mir die Schuld am Tod ihrer Männer. Obwohl ich wusste, dass ich für den Ältestenrat und vermutlich auf für den Rest des Clan nur ein Sündenbock war, merkte ich doch, wie plötzlich die Last von Nossans und Vazals Tod auf mir lastete.

„Sie ist meine Tochter und niemand schickt meine Tochter weg. Dank der Gnade der Götter ist sie zu uns zurückgekehrt. Ihr wurde ein göttliches Wunder zuteil, sie kann die Götter nicht erzürnt haben.“ Ais stellte sich vor mich und verbarg mich vor den Blicken der Ältesten, während ich immer noch gegen den Würgereiz ankämpfte. „Pah, und woher weißt du, dass ihr dieses Wunder zuteil wurde? Warst du dabei? Diese weiße Hexe lügt doch sobald sie den Mund aufmacht.“ Tlens Meinung war felsenfest. Ais und Nefet brachten immer wieder Argumente an, doch Tlen zerschmetterte sie alle. Ich hingegen fühlte mich als würde ich neben mir stehen und den Streit als unbeteiligter Zuhörer verfolgen.

„Sie muss weg. Heute Abend muss sie den Clan verlassen haben.“ Tlens endgültige Worte, die durch ein zustimmendes Murmeln von den restlichen Ältesten unterstrichen wurden, holten mich zurück ins hier und jetzt. Ich war verbannt worden. Ich war von dem einzigen Zuhause, was ich kannte, verbannt worden und sollte meine Familie für immer verlassen. Die Ältesten verließen das Zelt, ich rutschte von dem Lager und brach auf dem Boden zusammen.

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now