Innerer Konflikt

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Der Respekt und die Freundlichkeit gingen auch am nächsten Morgen weiter und so wurde mein Gepäck anstandslos gepackt, während ich nach Gael sah, der die Nacht im Karren verbracht hatte. Das vollkommene Stilllegen seiner Wunde war für den schnellen Heilungsprozess notwendig und so würde er noch ein paar weitere Nächte im Karren verbringen. Ich löste den Verband, den ich mit einer Mixtur aus „Beisnadi“, die ich während der Reise gefunden hatte und zum Blutstillen geeignet war und „Milenrama“, die ich von Gervais mitgenommen hatte und die eine reinigende Wirkung hatte, bestrichen hatte. Die Blutung hatte aufgehört und die Wundränder fühlten sich nicht entzündet an. Mit einem aufmunternden Lächeln erneuerte ich den Verband und versuchte gut auf meinen Patienten einzureden, dass er auch weiterhin sein Bein ruhighielt. Murrend stimmte er mir zu, als ich auf seine Frage hin, ob er denn schon Morgen Abend mal versuchen könnte sein Bein zu belasten antwortete, dass wenn er das tun würde die Haut, die gerade erst dabei war wieder zusammenzuwachsen, wieder aufreißen würde und wir dann von vorne anfangen müssten, was mindestens zwei weitere Tage Karren bedeuten würde und ob er das denn nicht lieber vermeiden möchte.

Kaum war ich vom Karren gestiegen, waren wir auch schon aufbruchbereit und ich gesellte mich zu Adriana, um hinter dem Karren her zu laufen. Wir kamen heute nur langsam voran, da die Wachen fast durchgängig die Umgebung überprüften. Sehr langsam schlenderten wir also hinter dem Karren her und ich bemerkte immer mal wieder Seitenblicke von Andriana, die mich mit unergründlichem Blick ansah. In der Mittagspause sah ich Adriana und Mark, den Befehlshaber unserer Wachen, zusammen reden und auch die beiden warfen mir unergründliche Blicke zu. Plötzlich vermisste ich es unsichtbar zu sein. Bei den Malos war ich nie unsichtbar gewesen, denn egal wo ich hinkam, verstummten die Gespräche, man warf mir misstrauische bis böse Blicke zu und ab und zu einen Kommentar, der meist nicht sehr freundlich war. Bei den Forschern wurden mir nur in der Anfangszeit Blicke zugeworfen danach wurde ich bei meinen wenigen Ausflügen in die Stadt kaum wahrgenommen, schließlich kannte mich ja keiner. Ich hatte mich daran gewöhnt unsichtbar zu sein und genoss es sogar. Diese ungewohnte Freundlichkeit und diese Blicke waren etwas ganz Neues und ich wusste es noch nicht einzuschätzen.

Die Antwort auf meine Fragen kam dann beim Abendessen, als sich Adriana und Mark zu mir setzten und mich auffordernd ansahen. Ich legte den Löffel ab, mit dem ich gerade die Suppe mit Wildfleisch gelöffelt hatte und sah sie an, ohne zu wissen, was sie von mir wollten. „Siela, du bist doch mit den Wilden aufgewachsen, oder?“ fragte mich Adriana unvermittelt. „Ja“ sagte ich zögernd und musste erneut meinen Ärger über den Begriff „Wilde“ herunterschlucken. „Dann kennst du also die Gewohnheiten der Menschen?“ fragte nun Mark. Mir gefiel, dass er „Menschen“ statt „Wilde“ gesagt hatte. Außerdem hatte ich schon so lange darauf gewartet, dass mich jemand dies fragen würde. „Ja, sie leben in einzelnen Clans zusammen, jeder Clan hat seinen eigenen Namen und seine eigenen Traditionen und meist auch ein oder zwei Götter, die mehr verehrt werden als bei den anderen Clans. Auch können die Geschichten der einzelnen Götter etwas von Clan zu Clan variieren …“ platzte ich heraus, als hätten die Informationen endlich einen Weg herausgefunden.

Doch meine Freude wurde schnell gedämpft, als Adriana mich unterbrach. „Nein, wir wollen nur alles über ihre Kampftechniken wissen.“ Mir klappte der Mund auf und in meinem Kopf jagte ein Gedanke den nächsten. ‚Warum wollen sie etwas über die Kampftechniken wissen, die Götterwelt ist doch viel interessanter. Was können sie schon groß mit den Informationen anfangen, wenn sie die Clans kennen lernen? Oh… die wollen die Clans gar nicht kennen lernen. Sie wollen gegen die Clans kämpfen und diese Kämpfe gewinnen. Aber das geht doch nicht. Ich kann ihnen doch nicht einfach die Techniken meines Clans erklären, nur damit sie gewinnen. Aber eigentlich ist es nicht mehr mein Clan und auch nicht mehr meine Welt, bei den Forschern ist jetzt meine Familie. Aber Ais und Nefet… Mandoo und Nossan, ich würde sie alle verraten, wenn ich Informationen an den Feind gebe. Andererseits ist der Überfall gestern nur einigermaßen glimpflich abgelaufen, da ich die Zeichen erkannt habe im Gegensatz zu den anderen…‘

„Siela! … Siela!“ hörte ich Adriana mehrmals meinen Namen eindringlich sagen, als ich aus meiner Gedankenwelt auftauchte. „Nun?“ fragte Mark ruhig, „was kannst du uns über die Kampftechniken erzählen?“ „Nichts“ erwiderte ich knapp. Meine Gegenüber runzelten die Stirn und nach einer kurzen Pause ergriff Adriana wieder das Wort: „Aber du wusstest genau, dass uns die Wilden angreifen würden und was die Männer tun sollten. Du kannst doch nicht so lange dort gelebt haben und nichts gelernt haben.“ „Ich werde euch nichts über die Kampftechniken der Clans erzählen.“ Erwiderte ich und bevor ich weiterreden konnte fuhr mir Adriana über den Mund: „Du kannst uns doch nicht einfach Informationen vorenthalten, warum hat dich Yermo dann überhaupt aufgenommen? Ich dachte du bist jetzt eine von uns, aber scheinbar bist du immer noch eine von denen.“ Spie sie mir ins Gesicht, doch ihre Worte trafen mich nicht im Geringsten stattdessen verschaffte sie mir Klarheit.

„Wisst ihr was… erhob ich nun auch die Stimme, allerdings war meine fest und entschlossen: „… ich bin als Kind von Alejandro und Valeria auf die Welt gekommen, bin als Kind von Nossan und Ais aufgewachsen und zusammen mit meiner Schwester Nefet zur Frau geworden. Ich habe eine Lehre zur Heilerin bei Mandoo gemacht und mein Wissen bei Gervais erweitert. Ich habe den Vater aller Götter Sangol verehrt und bin zur Heiligen Messe gegangen. Ich spreche die Sprache der Clans und die Sprache der Forscher. Kurzgesagt ich besitze das Wissen aus beiden Welten und bin mit beiden verbunden. Wieso kann ich also nur eine von den Weißen oder eine von den Schwarzen sein? Wie kann mich also jemand dazu zwingen wollen zwischen den Seiten zu wählen? Ich kann nicht nur das eine oder das andere sein. Ich bin sowohl Clansfrau als auch Forscherin. Also bitte verzeiht, dass ich euch nicht erzählte, wie ihr eine Hälfte von mir am einfachsten töten könnt.“

Sintalis - Weiße RoseWhere stories live. Discover now