Kapitel 36

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Ich habe mir eines der jungen Pferde geschnappt, um ins Gelände zu gehen. Szenario ist ein vierjähriger Wallach, der bisher noch nicht allein im Gelände war, deshalb dachte ich, dass es dafür mal Zeit wird. Abgesehen davon heißt das für mich Arbeit und Anstrengung und das macht meinen Kopf frei. Das junge Pferd sieht sich aufgeregt und neugierig um, ist aber weder angespannt noch ängstlich. Eher im Gegenteil. Mutig geht er seinen Weg und ich lobe ihn ausgiebig, damit sich das auch nicht ändert.
Als ich nach zwei Stunden zurück am Stall bin, sehe ich Lucian davor stehen und mit Lars reden. Mein Verlobter hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht aus, als bräuchte er dringend etwas Entspannung. "Hallo.", sage ich zu den beiden und bleibe ein paar Meter vor ihnen stehen. "Da bist du ja wieder. Und wie war er?", fragt Lars erfreut. "Super. Als wäre das sein tausendster Ausritt. Nicht schreckhaft, nicht gezögert, gar nichts.", sage ich fröhlich und klopfe den Wallach am Hals. Ich sehe zu Lucian, der das Pferd nachdenklich mustert. "Was ist denn los?", frage ich unsicher. "Nichts nichts. Kommst du runter? Lars wird ihn absatteln. Ich muss mit dir reden." Ich seufze, steige aber ab und übergebe Lars das Pferd. "Was gibt's denn?", frage ich und ziehe mir Handschuhe aus und setze den Helm ab. "Du kannst nicht einfach deine ganzen Termine absagen, nur weil du keine Lust darauf hast.", sagt er und steht noch immer mit verschränkten Armen vor mir. Ich hebe eine Augenbraue. "Ich habe sie nicht abgesagt, weil ich keine Lust hatte.", erwidere ich und presse die Lippen aufeinander. "Weshalb denn sonst?", fragt er verärgert. "Vielleicht weil du die ganze Nacht nicht da warst und ich mir deshalb Sorgen gemacht habe und ich dann erfahren habe, dass du einfach woanders geschlafen hast und mir aus dem Weg gehst und sogar alleine frühstücken willst. Ich brauchte dringend ein Gespräch mit meiner Mutter und habe dann sogar noch mit deiner Mutter geredet. Und das hat mir wirklich gut getan." Lucian seufzt und lässt die Schultern hängen. "Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.", "Das ist ja auch in Ordnung. Aber dann meckere nicht mit mir, wenn ich dann auch Zeit zum Nachdenken brauche." Er nickt ergeben. "Tut mir Leid, dass ich nicht zurückgekommen bin." Ich winke ab. "Schon gut. Hab mir nur Sorgen gemacht." Lucian streckt seine Hand nach mir aus und zieht mich an sich. "Verzeih mir." Ich nicke und küsse ihn sanft auf die Lippen. "Was hast du mit meiner Mutter beredet?" Ich lächle. "Geheimnis unter Frauen." Ich löse mich von ihm und sehe ihn von oben bis unten an. "Musst du noch weg?", frage ich, da er einen dunkelblauen Anzug und Krawatte trägt. Die schwarzen Schuhe blitzblank geputzt. "Ich habe noch ein paar Termine, ja.", nickt er und sein Blick wird entschuldigend. "Schon in Ordnung. Ich schnappe mir direkt das nächste Pferd, das tut mir heute gut.", "Okay.", er küsst mich noch einmal, dann dreht er sich um. "Ach, und noch was...", rufe ich und Lucian dreht sich im Gehen um. "Ich habe nachgedacht. Wir sollten deinen Vater nicht warten lassen." In seinem Kopf beginnt es zu rattertn und als ihm meine Worte bewusst werden, kommt er auf mich zu, packt mich an der Hüfte und küsst mich stürmisch. Kichernd schiebe ich ihn von mir. "Aber sollte es direkt funktionieren, werden wir es erst frühstens nach dem dritten Monat bekannt geben. Ich will die Risikozeit erst überstehen. Das heißt auch, dass es unsere Familien vorher nicht erfahren sollen. Ich will kein Mitleid, falls ich es wieder verliere." Der Prinz nickt sofort. "Natürlich. So machen wir es. Oh Gott, ich bin so froh." Wieder küsst er mich, doch ich schiebe ihn von mir weg. "Nun los, geh schon. Nicht dass du zu spät kommst. Fünf Minuten vor der Zeit ist das zukünftigen Königs Pünktlichkeit.", "So geht der Spruch nicht.", lacht er. "Von nun an schon. Also los.", lächle ich, küsse ihn ein letztes mal und sehe ihm hinterher, als er geht. Er scheint wie ausgewechselt zu sein. Seine angespannte Haltung ist einem lockeren federnden Gang gewichen. Lächelnd gehe ich in den Stall, wo Lars gerade Szenario in seine Box bringt. "So, mein Lieber, wer soll als nächstes was tun?", frage ich. Lars grinst. "Nimm dir Wanda.", sagt er und deutet ans Ende des Stalls. Wanda heißt eigentlich Wonder Woman und ist eine hübsche Schimmelstute, die bis zur Klasse S geritten wird und Lucian schon einige Schleifen eingebracht hat. Aber sie ist auch verdammt groß. Einen Meter einundachtzig, um genau zu sein und das ist für mich recht schwer zu reiten, da sie auch recht lang ist. Vom Körperbau ist sie deshalb genau richtig für Lucian. Ich will sie gerade aus der Box holen, da taucht mein Bruder neben mir auf und grinst mich an. "Hey.", lächle ich. Er küsst mich auf die Wange und streichelt der Stute den Kopf. "Willst du jetzt reiten?", fragt er. Ich nicke. "Cool. Ich sehe dir zu." Mir zusehen wird dann wohl heißen, dass er mich quält. "Dann hilf mir aber auch, sie zu putzen.", seufze ich und Jason grinst schief. Wir bringen sie zum Putzplatz im Stall und ich binde sie an. "Luke war letztens im Stall.", beginnt Jason. Ich sehe ihn stirnrunzelnd an. "Wann?", "Kurz bevor wir hergeflogen sind. Also kurz vor eurer Verlobungfeier. Er wollte, dass ich dir etwas gebe." Ich hebe fragend eine Augenbraue. "Es war der Ring, den er dir angeboten hat. Er meinte, ich solle ihn dir vor der Feier geben, damit du weißt, dass du immer noch eine andere Option hast." Ich schnaube und bürste Wanda den Kopf. "Ich habe ihn Zuhause gelassen. Dachte, dass du vielleicht kein Interesse an dem Ring hast. Vor allem wenn ich den Klunker an deinem Finger sehe. Der ist locker das Hundertfache wert.", "Als ob es mir darum gehen würde.", lache ich und boxe Jason gegen den Arm. "Weiß ich doch Schwesterherz. Ich wollte nur, dass du das weißt. Hab ihm gesagt, dass er die Fliege machen soll. Der ist bei mir sowieso unten durch. Mal abgesehen davon ist es viel cooler, dass du Königin wirst und nicht so öde eingeheiratete Duchess. Ach was rede ich? Luke wird selbst erst Duke, wenn sein Vater stirbt. Vorher ist er auch nur ein stinknormaler Typ." Wieder muss ich kichern. "Du bist süß. Danke, dass du den Ring nicht mitgebracht hast. Du kannst ihn Luke zurückgeben.", "Bist du bescheuert? Von dem Geld was ich für den Ring bekomme, kaufe ich mir ein neues Auto." Lachend lege ich den Kopf in den Nacken. "Du bist unverbesserlich, Jason." Er zuckt unschuldig mit den Schultern. "Hat er nicht anders verdient. Was ist der auch so blöd und gibt mir den Ring? Damit hätte er rechnen müssen." Ich nicke und gehe zur Sattelkammer, um Wandas Sattel zu holen. "Jason? Legst du ihn ihr auf den Rücken?", frage ich verzweifelt. Sie ist wirklich verdammt groß. Mystic ist neun Zentimeter kleiner als Wanda und der ist für mich schon fast zu groß. "Klar, gib her." Jason nimmt mir den Sattel ab und legt ihn der Stute auf den Rücken. "Ich wette du sieht auf ihr aus wie ein Zwerg." Ich schnaube. "Ich bin ein Zwerg. Die Schneiderin, die sich um mein Hochzeitskleid kümmern soll, ist am verzweifeln, weil ich zu kurze Beine habe. Was ist an einen Meter fünfundsechzig verkehrt?" Ich verdrehe übertrieben die Augen. "Schwer zu sagen. Ich bin schließlich kein Schneider.", grinst Jason. Ich setze mir den Helm auf und nehme mir die Gerte, während Jason Wanda trenst. "Gehört sie Lucian?", fragt er und streichelt sie wieder am Kopf. "Ja. Sie ist seine Dressurdiva. Er hat schon ordentlich abgeräumt mit ihr.", "Und du darfst sie tatsächlich reiten, wenn sie sein Liebling ist?", "Was soll das denn heißen? Natürlich darf ich das. Ich bin die zukünftige Königin, ich darf hier ausnahmslos jedes Pferd reiten." Ich zwinkere meinem Bruder zu und er lacht schallend. Wir gehen raus auf den Reitplatz und ich steige auf die Aufstieghilfe, da ich sonst niemals auf das große Tier raufkommen würde. Ich wärme uns beide auf, bis wir so weit sind und Jason mich korrigiert und trainiert. Wir sind einfach ein perfekt eingespieltes Team. Irgendwann stellt sich Lucian neben ihn. Nun nicht mehr in Anzug und perfekt polierten Schuhen sondern in Reithose und Poloshirt. "Sieht gut aus.", ruft er über den Platz und ich lächle zufrieden. "Nächste lange Seite ein klein wenig an Tempo zulegen, dass sie vernünftig bergauf kommt. Du musst Schwung holen.", ruft Jason. Ich weiß bereits worauf es hinauslaufen wird, also führe ich seine erste Anweisung aus. "An der kurzen Seite versammeln, dann fünf Tritte Schulter herein, fünf Tritte Travers, dann wieder fünf Schulter herein." Ich konzentriere mich auf das Ausführen und Stelle fest, dass es wirklich verdammt schwer ist, das große Schimmelchen beweglich zu kriegen. "An der langen Seite wieder Schwung holen und dann jeweils nur drei Tritte. Die soll richtig schön beweglich werden, lass sie tanzen." Ich atme durch, stelle Wanda Schulter herein, dann Travers, dann wieder Schulter herein. Wir machen das noch ein paar mal, auch auf der anderen Hand, bis sowohl Wanda als auch ich komplett durchgeschwitzt sind. "Reicht, die ist durch. Und du Offensichtlich auch.", lacht Jason. Ich zeige ihm den Mittelfinger und lasse Wanda am langen Zügel entspannt über den Platz gehen. "Und? Wie findest du sie?", fragt Lucian. "Sie ist toll. Nur viel zu groß und zu kräftig für mich. Aber Spaß macht es auf jeden Fall.", "Du siehst auch ein bisschen winzig auf ihr aus.", schmunzelt der Prinz. Das kann ich mir vorstellen. Ich werfe einen Blick zu einem der Spiegel, die am Rand des Reitplatzes angebracht sind. Ja, ich sehe tatsächlich wie ein Zwerg aus. "Sie ist wirklich hübsch und hat auch ordentlich was drauf aber ihr fehlt ein klein wenig Leichtigkeit. Es sieht alles sehr kraftvoll aus, was sie macht. Aber das ist auch nicht schlimm, die Lektionen beherrscht sie ja alle. Vielleicht liegt es auch an Charly, die vielleicht einfach zu schwach ist für so ein Pferd.", fachsimpelt Jason und erneut zeige ich ihm den Mittelfinger. Zu schwach. Dass ich nicht lache. "Sah doch aber gut aus. Halte sie mir schön fit. Genauso wie Georgo. Ich werde schließlich nicht viel Zeit zum trainieren haben und muss mich dann für ein Turnier auf ein fertiges Pferd setzen können.", lächelt Lucian. Ich schnaube. "Auf ein fertiges Pferd setzen. Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Ich trainiere deine Pferde und du staubst die Schleifen ab? Vergiss es." Ich steige ab und gehe zu Lucian, um ihm einen Kuss zu geben. "Wie war das Meeting?" Er seufzt. "Besser als erwartet. Aber absolut langweilig." Ich stelle keine weiteren Fragen, da mich Politik absolut nicht interessiert und Lucian weiß das. Tatsächlich werde ich als Königin die jenige sein, die sich um irgendwelche Partys, Galas und Spendenorgabisationen kümmern wird. Und natürlich werde ich Kinderheime und Tierheime besuchen und immer zeigen, dass das Königshaus auch für die unglücklichen und armen Menschen da ist. Ich werde mein bestes tun, um uns gut dastehen zu lassen. Das klingt oberflächlich und hart aber im Endeffekt ist es so. Nur dass ich tatsächlich Spaß an solchen Besuchen und Projekten haben werde. Ich werde mich dafür einsetzen, dass es allen gut geht und werde meine ganze Liebe hineinstecken. Es gibt nichts schlimmeres als eine Königin, die nur gezwungenermaßen solche Termine wahrnimmt. Ich werde mich darauf freuen und eine gute Königin sein. Hoffentlich.

Lucian reitet selbst noch seinen Riesenhengst Georgo und wird dabei von Jason gequält, während ich am Rand sitze und nur zusehe. Als er aber fertig ist und im Stall langsam Ruhe einkehrt, gehen wir zum Schloss und hoch in unsere Suite. Ich schäle mich aus meinen durchgeschwitzten Reitsachen, schmeiße sie in den Korb für die dreckige Wäsche. Als ich gerade unter die Dusche gehen will, kommt Lucian ins Badezimmer und zieht sich ebenfalls aus. Ich sehe ihn fragend an, während er mich von oben bis unten mustert. "Da drin ist sicher Platz für zwei.", sagt er und schiebt mich in die Dusche, ehe er die Tür zumacht und das Wasser anstellt. "Meinst du das noch immer ernst? Wärst du bereit die Tradition zu ignorieren?" Ich lächle zaghaft. "Um die Tradition ging es mir nicht unbedingt." Lucian nickt wissend. "Dann stelle ich die Frage anders. Wärst du bereit, es noch einmal zu versuchen? Ein Kind mit mir zu bekommen?" Ich atme tief durch, dann nicke ich und Lucian legt glücklich lächelnd seine Lippen auf meine, während das warme Wasser auf unsere Körper hinabprasselt.

Sei meine KöniginWhere stories live. Discover now