Kapitel 67

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Ich laufe im Zimmer auf und ab, kann meine Unruhe nicht abstellen und ertrage die Schmerzen kaum noch. Dabei ist das immer noch der Anfang. Vielleicht ist es doch gar nicht so schlecht, dass die Kinder mit einem Kaiserschnitt zur Welt kommen. Zwar habe ich die Wehen jetzt trotzdem aber immerhin bleibt mir der Schmerz der Geburt später erspart. Allerdings ist auch ein Kaiserschnitt der horror, wenn mein Mann nicht bald auftaucht. Die Ärzte stehen schon in den Startlöchern, der OP ist vorbereitet. Nur ich fehle noch. Und ich habe Wehen in Abständen von fünfzehn Minuten. Meine Hebamme ist in höchster Alarmbereitschaft, weil sie der Meinung ist, dass wir längst anfangen müssen. Aber ich kann nicht. Ich kann das ohne Lucian nicht.
Ich lege mich zurück auf das Bett. Die nächste Wehe quält mich enorm und Percy leidet mit mir, weil er meine Hand festhält. Oder ich seine. Irgendwann beginnt sein Handy zu klingeln. "Ich raste aus, wenn das nicht Lucian ist.", murmle ich. Percy hebt ab. "Hallo?", fragt er und hört dem Anrufer zu. "Gut. Beeilung bitte, sie muss dringend in den OP.", murrt er und legt auf. "Lucians Security. Sie sind gleich hier." Ich nicke erleichtert. "Gut. Dann muss jetzt endlich alles vorbereitet werden.", sagt Lina, meine Hebamme und verlässt das Zimmer. Ich habe die nächste Wehe, als die Tür auffliegt und Lucian endlich in das Zimmer platzt. Percy tritt sofort beiseite und dann ist es Lucians Hand, die ich mit aller Kraft zusammenquetsche. "Es tut mir so leid.", sagt er gequält. Ich atme auf, als der Schmerz vorbei ist. "Schon okay.", keuche ich atemlos. "Nein, das ist nicht okay. Wie geht es jetzt weiter?" Ich streiche mir verschwitze Haare aus dem Gesicht. "Ich bekomme jetzt die Betäubung und einen Katheter. Und dann geht es los." Ich lächle schwach. "Gut. Wie geht es den Kindern? Wird alles gut gehen?" Ich nicke. "Vermutlich ist das halbe Krankhaus bereit, die Kinder zu empfangen. Sie müssen vorerst noch in diese Kästen aber das war uns ja schon vorher klar." Er nickt und küsst mich auf die Stirn. Er sieht ungewohnt leger aus. Er trägt nur ein Sweatshirt und eine Jeans. Wie ein völlig normaler Mann.

Ich werde für den OP vorbereitet und als ich meinen Unterleib so überhaupt gar nicht mehr spüren kann, geht es los. Ich werde in den Operationssaal geschoben und Lucian ist plötzlich weg. Dafür stehen gefühlt tausende Ärzte und Schwestern um mich herum. Ich sehe mich panisch nach meinem Mann um, dann taucht er plötzlich wieder neben mir auf. Ihm wurde OP Kleidung über die Sachen gezogen. Er sieht fremd aus. "Alles gut, ich bin hier.", sagt er, da er meine Panik zu sehen scheint. Er nimmt meine Hand, um mich zu beruhigen. Alle stehen ganz still, sagen kein Wort. Es ist laut und die Geräusche sind beängstigend. "Kind Nummer Eins. Schnell versorgen.", sagt der Doktor, der mich operiert. Ein eigenartiges Schreien ist zu hören. Es klingt als hätte das Baby Wasser geschluckt und gurgelt nun verzweifelt vor sich hin, um irgendwie Luft zu bekommen. Mein Herz schlägt höher und wieder bekomme icj Panik. Ich sehe zu Lucian. "Es wird ihm sicher gut gehen. Ich gehe gleich hin und sehe nach.", redet er beruhigend auf mich ein. Ich nicke. "Kind Nummer zwei. Sofort versorgen.", sagt der Arzt und die nächste Schwester läuft mit meiner Tochter einfach in den Nebenraum. Ohne dass ich sie sehen kann. Und ohne dass ein Schrei zu hören ist. Meine Hebamme taucht sofort neben mir auf und versperrt mir die Sicht. "Jetzt keine Panik kriegen, ganz ruhig bleiben.", sagt sie zu mir. "Die kleine Maus ist nur sehr klein und muss schnellstens versorgt werden. Da kann jede Sekunde zählen und wir wollen ja kein Risiko eingehen. Du wirst jetzt zugenäht und wirst in den Aufwachraum gebracht. Lucian wird kurz mit mir zu den Kindern gehen und ist gleich wieder bei dir. Und sobald eure Babys versorgt sind, bringe ich dich zu ihnen. Ist das ein Deal? Ich nicke schniefend und da wird mir erst klar, wie sehr ich weine. Diese Geburt ist der horror. Ich habe so eine große Angst um meine Kinder. "Ich bin gleich wieder bei dir, Liebling. Alles wird gut.", sagt Lucian und küsst meine Hand, ehe er Lina kurz in den Raum nebenan folgt, wo unsere Kinder versorgt werden.

Zugenäht und mit nachlassender Betäubung schiebt man mich in einem Krankenbett durch das Krankenhaus. Wir werden von einem Kinderarzt und Lina begleitet. Lucian hat unsere Kinder schon für einen Moment sehen können und hat mir versichert, dass alles in Ordnung ist. Mit dem Fahrstuhl fahren wir einige Etagen nach unten zur Frühchenstation. Auf dem Gang ist es dunkel und ganz still. Außerdem ist es wärmer als auf den anderen Stationen. Wir kommem in einen Raum, in dem zwei dieser Inkubatoren stehen, in denen meine Kinder liegen. Außerdem befindet sich hier ein großer Sessel, auf dem mehrere Decken liegen.  Lucian geht zum Arzt, der an einem der Brutkästen steht. "Ihre Tochter ist sehr klein und deutlich leichter als Ihr Sohn.", sagt der Arzt. Ich beobachte Lucian. Ihm stehen die Tränen in den Augen. "Wie groß ist sie?", frage ich. "38 Zentimeter. Das Gewicht liegt bei 1052 Gramm. Normalerweise hätte sie gut 400 Gramm mehr haben müssen. Aber wir kriegen das schon hin." Der Arzt lächelt uns aufmunternd zu. "Und Henry?", frage ich weiter. Wegen der Decken, die auf den Kästen liegen, sehe ich meine Kinder noch nicht. "Henry ist 41 Zentimeter groß und wiegt 1560 Gramm. Normale Größe und Gewicht für dieses Alter." Lina kommt zu mir und hilft mir, mich ein wenig aufzurichten. Sie schiebt die Decke auf dem Kasten etwas zur Seite und dann sehe ich ihn. Meinen Sohn. Wie er in dem Kasten liegt, nur durch vier Löcher für die Arme zu erreichen ist. Er ist umgeben von Tüchern, die ihn in einer bestimmten Position zu halten. Auf der Nase hat er eine Beatmungsmaske und ein kleiner Dünner Schlauch führt in seinen Mund, der mit einem winzigen Pflaster am Mundwinkel festgeklebt ist. "Darf ich..." Ich schlucke. "Darf ich ihn anfassen?", frage ich und kann meine Tränen nicht zurückhalten. Der Arzt lächelt. "Aber natürlich. Er ist Ihr Sohn.", sagt er und kommt zu mir. Ich öffne die kleine runde Klappe an der Seite und stecke meine Hand durch eine der beiden Öffnungen auf meiner Seite. Vorsichtig berühre ich seine Wange. Mein Herz droht mir aus der Brust zu springen und ich kann meine Gefühlenicht ordnen. Ich bin überglücklich aber möchte am liebsten weinen, weil es so sehr schmerzt, dieses winzige Baby so zu sehen. "Wofür ist das alles?", frage ich krächzend und deute auf die Maske und die Schläuche. "Die Maske ist zur Unterstützung der Atmung. Die Lunge ist noch nicht vollständig ausgereift, deshalb müssen die Kinder ein wenig unterstützt werden. Der Schlauch am Mund ist zur Ernährung. Mit diesen hier kontrollieren wir das Herz und das hier..", er deutet auf das weiße Klettband, das seinen winzigen Fuß umgibt und rot leuchtet. "Damit kontrollieren wir den Sauerstoffgehalt. Wenn der nicht stimmt, gibt der Monitor hier einen Alarmton von sich. Das ist aber kein Grund zur Sorge, wenn das mal vorkommt. Manchmal reicht es schon, in den Fall ein wenig am Kasten zu rütteln oder kurz über die Brust zu streicheln. Man darf nicht vergessen, dass die zwei eigentlich noch lange nicht auf der Welt sein dürften, deshalb brauchen sie manchmal noch etwas Hilfe. Seien Sie aber unbesorgt. Wir tun alles, um den Kindern bei ihrer Entwicklung zu helfen." Ich nicke erleichtert und sehe rüber zu meiner Tochter. Sie ist noch zierlicher als Henry. Kleiner, leichter. Auch sie wird beatmet. Ich würde sie gern auf den Arm nehmen und stillen, aber das geht noch nicht. Vorhin hat Lina mir geholfen, Milch abzupumpen, um die Milchproduktion richtig anzuregen. Die Milch werden sie vorerst über die Magensonde bekommen, da sie gefährlich Keime aufnehmen könnten, wenn ich sie jetzt schon stille. Der Arzt versichert mir aber, dass sich das in circa einer Woche ändern wird. Bis dahin werde ich abpumpen und hoffen, dass die Milch ausreicht. Ansonsten werden sie Spendermilch bekommen. "Ich lasse Sie dann mal allein. Ich schicke eine Schwester, die Ihnen hilft, die Kinder in den Arm zu nehmen.", "Danke, Doktor.", flüstere ich. Er nickt lächelnd und geht. Ich sehe Lucian an, der nun mir gegenüber auf der anderen Seite des Kastens steht. "Ich kann es noch nicht glauben.", flüstert er und sieht runter zu unserem Sohn hinunter. Seine Haut ist ganz rosa und wirkt noch ein wenig durchsichtig. Die Augen sind fest geschlossen, die winzigen Händen zu Fäusten geballt. Seine Beinchen sind kaum dicker als Lucians Daume. Ich seufze. "Sie sehen so zerbrechlich aus. Als könne eine Feder ihre Knochen brechen." Lucian schmunzelt. "Stimmt." Die Windel, in der Henry steckt, ist ihm viel zu groß.
Eine Schwester kommt herein und bittet mich, mich wieder hinzulegen. Vorsichtig lege ich mich zurück und dann holt sie Aria aus dem Kasten. Schnell ziehe ich mich obenrum aus und lasse mir meine Tochte auf die Brust legen. Die Schwester sortiert die Schläuche und Kabel, damit sie uns nicht im Weg sind, dann legt sie eine paar Decken über mich und das winzige Baby. "Geht es so?", werde ich gefragt. Als ich nicke, teilt sie Lucian noch ein paar Dinge mit, aber ich höre nicht zu, weil ich nur noch Augen für meine Tochter habe. Sie auf meiner Haut zu spüren ist das Unglaublichste, was ich je erfahren habe. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und am liebsten möchte ich weinen vor Glück. Ich betrachte ihre Haare, die einen roten Schimmer haben. Lucian geht neben mir in die Hocke und küsst mich auf die Schläfe. "Sie ist wunderschön.", sagt er und beobachtet sie mit strahlenden Augen. Die Schwester holt nun Henry aus seinem Inkubator und legt ihn direkt neben Aria auf meine Brust. Die Kinder liegen nebeneinander, schlummern friedlich vor sich hin und machen mich glücklich. "Sehr schön. Ich lasse Sie jetzt allein. Wenn etwas ist, dann einfach auf den Knopf dort drücken." Wir nicken beide, dann geht die Tür zu und es ist still. Lina beobachtet mich eine Weile, dann verabschiedet sie sich auch und verspricht, im Laufe des Tages noch einmal nach mir zu sehen.
Unser Sohn hat meine roten Haare nicht geerbt. Sie sind ganz dunkel aber er hat auch weniger Haare als Aria. "Ich bin so froh, dass das alles gut gegangen ist. Dass du rechtzeitig da warst und es den Kindern so weit gut geht." Ich bemühe mich, so leise wie möglich zu reden. Aus irgendeinem Grund habe ich Angst, die Kinder könnten sonst gestört werden. Sie schlummern so friedlich vor sich hin. "Ich auch.", antwortet Lucian ebenso leise. Er lächelt. "Ich muss dir danken. Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemals so glücklich sein würde. Beziehungsweise dass ich noch glücklicher sein könnte, als ich es nach deinem Jawort war. Auch wenn die beiden jetzt eine Weile hier bleiben müssen und es schwer anzusehen ist, dass sie beatmet und über eine Magensonde ernährt werden müssen, ist es so unglaublich, dass sie hier sind." Er schluckt schwer und sieht Henry an. "Kannst du dir vorstellen, dass er einmal einen Thron besteigen wird? Dass dieser kleine Mensch irgendwann König sein wird?" Ich lache. "Die Vorstellung fiel mir schon bei dir schwer." Lucian grinst. "Tja, das ist ein Argument." Ich sehe Aria an. "Lang lebe Prinzessin Aria. Und lang lebe Prinz Henry." Ich gebe meiner Tochter einen Kuss auf das kleine Köpfchen, dann auch meinem Sohn. Irgendwann kriegen wir alle einen fürchterlichen Schreck, weil Lucians Handy klingelt. "Himmel, ich dachte, ich hätte es wieder ausgemacht.", flucht er leise und kramt sein Smartphone aus seiner Hosentasche. Henry und Aria werden ganz unruhig, weinen schon beinahe. Er drückt den Anruf schnell weg, damit es wieder leiser im Raum ist. "Es war Maria.", sagt er leise. "Wir müssen bescheid sagen, dass alles gut ist.", murmele ich und beruhige Aria. Lucian drückt den Knopf und wenige Sekunden später kommt eine Schwester herein. "Ist es in Ordnung, wenn ich hier drin telefoniere? Oder geht das wegen dieser ganzen Geräte hier nicht? Unsere Familie aus England würde sicher gern die Kinder kennenlernen." Die Schwester errötet. "Nun ja, Solange nicht viel Krach gemacht wird, sollte das wohl kein Problem sein." Lucian nickt und ruft Maria per Videocall zurück. "Lucian! Zum Glück rufst du zurück. Ich dachte schon, dass es ungünstig ist, weil du mich weggedrückt hast.", plappert Maria los. Lucian legt seinen Finger auf die Lippen. "Leise sein. Wir sind auf der Frühchenstation. Wie sieht es aus? Sind Jason und Lottis Eltern in der Nähe?" Maria schnappt nach Luft. "Sind die Kinder schon da? Einen Moment, ich suche alle. Die Parade ist gerade seit einer Stunde vorbei. Ich muss schnell zum Stall laufen, weil Jason noch dort ist." Sie scheint über den Hof zu laufen und irgendwann hat sie tatsächlich alle versammelt. "Lucian, mein Lieber! Wie geht es dir? Und Lottchen?", höre ich Moms Stimme. Lucian grinst. "Bitte schön leise sein. Darf ich vorstellen: Königin Charlotte mit ihren Kindern Prinz Henry und Prinzessin Aria." Er dreht sich mit dem Handy um, damit meine Familie die Kinder und mich sehen kann. Ich forme ein leises Hallo mit den Lippen. Meiner Mom schießen sofort die Tränen in die Augen. "Oh mein Gott, wie winzig sie sind.", seufze Maria. "Wieso haben sie solche Masken auf den Nasen?", fragt Dad besorgt. "Sie müssen noch beatmet werden, weil die Lungen noch nicht ganz alleine arbeiten. Und das hier ist zum Ernähren. Lotti darf wegen der Infektionsgefahr noch nicht stillen, deshalb bekommen sie ihre Nahrung vorerst noch über eine Magensonde. Aber in ein bis zwei Wochen kann sie mit dem Stillen anfangen.", erklärt Lucian und ich nicke bestätigend. "Wie ist die Geburt gelaufen? War alles gut?", frag Mom. "Ja, alles gut. Ich habe mich zwar geweigert, mit dem Kaiserschnitt zu beginnen, bevor Lucian da war und musste deshalb doch noch die Wehen aushalten aber alles gut. Die Kinder haben sie sofort weggebracht, weil sie nicht alleine geatmet haben. Aber jetzt ist alles gut.", sage ich und lächle. Lucian zeigt meiner Familie das Zimmer und die Kästen, in denen die Kinder später wieder liegen werden. "Ich bin so froh, dass das alles gut gegangen ist. Ich war wirklich besorgt.", sagt Mom erleichtert. "Sobald die beiden nach Hause dürfen, könnt ihr uns ja besuchen kommen. Bis dahin werden wir regelmäßig per Videocall telefonieren, damit ihr nichts verpasst.", verspreche ich. Wir reden noch ein paar Minuten, dann ist es Zeit, dass die beiden Zwerge ihre Nahrung bekommen und wir legen auf. Zwei Schwestern helfen uns, die Kinder zurück in den Kasten zu legen. Danach zeigen sie uns, wie wir die Kinder im Kasten wickeln und versorgen können. Auch wenn es schwer ist, meine Babys so zu sehen, bin ich heute der glücklichste Mensch auf dieser Welt.

Sei meine KöniginWhere stories live. Discover now