Kapitel 69

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Stöhnend wälze ich mich auf die Seite und stehe aus dem Bett auf, weil sich bei Henry ein Monitor. Er und Aria schaffen es permanent, diesen verdammten Sensor am Fuß abzustrampeln. In dieser Nacht. Ist es schon das vierte Mal, dass ich deswegen aufstehe. Die Haut an meinen Händen und Armen fühlt sich schon ganz komisch an, weil ich dauernd alles desinfizieren muss, bevor ich in einen der Kästen greifen darf. Henry gähnt und streckt die Beine ganz lang. "Was ist denn los, kleiner Mann? Wieso machst du das Ding dauernd ab? Ich weiß doch, dass das blöd ist, aber du löst damit den Alarm aus.", sage ich sanft. Als der Senaor wieder sitzt und der Alarm verstummt, muss auch ich gähnen. "Lässt du mich jetzt schlafen, mein Süßer?", frage ich leise. Mit dem Finger streichle ich seine Wange. Er beginnt zu quengeln, als ich mich von ihm entferne. Seufzend bleibe ich bei ihm und streichle ihn weiter, bis er ganz eingeschlafen ist. Ich sehe auf die Uhr. Es ist halb vier. Schon wieder muss ich gähnen, also lege ich mich zurück in mein Bett. Das Display meines Handys leuchtet auf und ich nehme es in die Hand. Lucian hat mir ein Bild geschickt. Ich entsperre das Display und öffne WhatsApp. Er hat ein Paket auf dem Schoß, aber da er nichts dazu geschrieben hat, gehe ich auf das Symbol für den Videoanruf. Lucian nimmt direkt an und wenige Sekunden später sehe ich sein Gesicht auf meinem Display. "Hey. Wieso schläfst du denn noch nicht?", frage ich und gähne. "Naja, irgendwie bin ich ein bisschen schlaflos, seit du nicht mehr bei mir schläfst." Ich hebe die Augenbrauen. "Also seit ich nach England geflogen bin?" Er nickt und zuckt mit den Schultern. "Was heißt du kannst nicht schlafen? Wachst du dauernd auf?" Er nickt und wirkt plötzlich so niedergeschlagen und verletzlich. "Ich träume schlecht. Und dann wache ich auf und merke, dass du nicht da bist. Und wenn mir das klar wird, schlafe ich sehr schlecht wieder ein.", "Du träumst schlecht?", frage ich entsetzt. "Jip. Jede Nacht, wenn du nicht neben mir liegst. Es geht immer um dich, mittlerweile auch um die Kinder. Ich verliere euch. Immer auf eine andere Art und Weise. Seit die Scheiße mit der Presse war, ist es noch schlimmer. Ich träume ständig, dass irgendwer den Kindern etwas antut. Ich wache meistens schweißgebadet auf. Manchmal gehe ich dann noch nachts duschen, weil ich so durchgeschwitzt bin." Mir klappt der Mund auf. "Wie bitte? Und warum erzählst du mir nichts davon?" Er verdreht die Augen. "Warum denn wohl? Du hast mit den Kindern genug um die Ohren und sollst dir nicht noch zusätzlich wegen mir 'nen Kopf machen." Ich sehe ihn vielsagend an. "Merkst du selbst, oder? Ich bin deine Ehefrau und habe ein Recht darauf, alles zu wissen, was dich betrifft." Er nickt wissend. "Ich liebe dich, Lucian. Denk nicht, dass du mich entlasten musst. Du bist mein Mann und kannst mir alles sagen. Egal wie viel ich um die Ohren habe oder..." Ich gähne herzhaft. "... oder wie müde ich bin.", beende ich meinen Satz. Wieder gibt einer der Monitore Alarmtöne von sich. "Oh man.", seufze ich und stehe erneut auf. "Was ist los?", fragt Lucian. Ich nehme das Handy mit und gehe zu Henry. Ich stelle es so, dass Lucian mich weiter sehen kann und desinfiziere mir Hände und Arme. "Sie strampeln beide heute so viel. Dauernd geht der Alarm los, weil die Sonden am Fuß abgehen." Ich greife routiniert nach der Sonde, aber mir fällt auf, dass sie fest um den kleinen Fuß gewickelt ist. "Oh.", sage ich und weiß im ersten Moment nicht, was ich nun tun soll. Mir fällt die Bemerkung der Schwester ein, dass es manchmal vorkommen kann, dass der Sauerstoffgehalt nicht stimmt und man die Kinder dann ein wenig streicheln oder am Kasten rütteln muss. Ich streichle also über seinen kleinen Bauch und die Brust und nach ein paar Sekunden verstummt der Monitor. Ich atme auf. Ich dachte für einen Moment, ich müsse nach Hilfe rufen. "Alles in Ordnung?", fragt mein Mann. "Ja, alles gut. Er hatte wohl kleine Aussetzer aber geht wieder." Ich ziehe die Arme zurück und schließe die Klappen, ehe ich die Decke wieder zurecht schiebe und das Handy nehme. "Ich würde dir ja anbieten, dass du dir hier ein Bett aufstellen lassen könntest, wenn du Zuhause nicht gut schläfst. Dann wärst du bei mir. Aber ich bin in der Nacht so oft auf den Beinen, weil die Geräte oft laut sind, dass du hier vermutlich noch weniger Schlaf hättest. Bei einem Kind wäre das vermutlich kein Problem gewesen. Aber die Zwillinge scheinen sich regelmäßig abzuwechseln." Mein Mann verzieht das Gesicht. "Tut mir leid, dass du damit allein bist." Ich schüttle den Kopf. "Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Ich bin einfach nur froh, dass ich mich so selbstständig um die Kinder kümmern kann und nicht alles von Ärzten und Schwestern gemacht werden muss. So ist es mir lieber und dann stehe ich auch gerne in der Nacht tausend mal auf." Er nickt. "Was ist eigentlich im dem Päckchen?", frage ich und erinnere ihn somit an das Bild, das er mit geschickt hat. "Oh, achja." Er streckt sich und holt das Päckchen näher, damit ich es sehen kann. "Es ist von meiner Patentante. Sie hat gestrickt." Er verzieht das Gesicht und ich muss lachen. Auf dem Päckchen holt er zwei winzige Mützchen und Söckchen. In Blau und Rosa. Wie klischeehaft. "Ach Gott wie süß.", lache ich. Lucian hebt die Augenbrauen. "Sie ist nicht hier, du musst keine Begeisterung heucheln.", meint er. "Das ist nicht geheuchelt. Ich freue mich total darüber.", "Schon klar.", lacht er und schiebt das Päckchen wieder zur Seite.
Wir reden stundenlang weiter, weil wir beide nicht schlafen können und gegen sechs Uhr ist es wieder Zeit, dass die Kindern gefüttert werden müssen. Und kaum ist das Füttern erledigt, steht auch schon die Visite an, in der mir mitgeteilt wird, dass sich beide Kinder gut entwickeln und anständig zunehmen. Und kaum ist es wieder ruhig, schlafe ich sofort ein.

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Mit der Zeit wird es immer besser und es gibt kaum Komplikationen, außer das übliche Problem, dass Sonden abfallen oder die Kinder sich aus der vorgegebenen Positon winden und die Tücher von sich schieben. Aria soll zum Beispiel etwas auf der Seite liegen und hat deshalb immer ein zusammengerolltes Tuch im Rücken, doch schon nach einer viertel Stunde liegt sie wieder auf dem Rücken. Sie nehmen von Tag zu Tag mehr an Gewicht zu, wachsen und werden etwas aktiver. Sogar die Beatmungsmaske wird gegen einen kleinen Schlauch getauscht. Und dann sieht mich der Arzt eines morgens bei der Visite so zufrieden an, dass ich automatisch lächeln muss. "Ich denke, die Kinder dürfen jetzt vom Inkubator zum Wärmebett wechseln." Meine Augen weiten sich. "Wirklich?" Er nickt lächelnd und schon machen sich die Schwestern daran, die Kinder für das Wärmebett vorzubereiten. Und nur wenig später liegen sie nebeneinander in den Bettchen. Ich mache ein Foto und schicke es der gesamten Familie. Alle sind hellauf begeistert und Lucian ruft sofort bei mir an. "Hey, bist du nicht in einer Besprechung?", frage ich. "Doch. Genau genommen, sehen mich gerade alle Beteiligten an und warten darauf, dass wir fortfahren. Aber zum Glück bin ich hier der Bestimmer." Ich muss über dieses Kinderwort Bestimmer lachen. "Also erzähl. Die Kinder machen Fortschritte?", "Ja.", antworte ich euphorisch. "Der Arzt ist so zufrieden, dass sie heute aus den Brutkästen durften. Von jetzt an werden sie nur noch in den Wärmebetten liegen. Ich freue mich so sehr." Lucian lacht. "Das ist wundervoll. Sobald ich hier fertig bin, werde ich ins Krankenhaus kommen. Und ich werde eine Überraschung mitbringen." Ich werde hellhörig. "Eine Überraschung?", "Ja, aber wage es gar nicht erst, mir Fragen zu stellen. In ein paar Stunden bin ich bei dir und dann wirst du schon sehen, was es ist." Ich lächle glücklich. "In Ordnung. Bis später. Ich liebe dich.", "Ich liebe dich auch. Küss die Kinder von mir." Wir legen auf und ich sehe auf die Kinder hinunter, die so friedlich nebeneinander schlafen, dass mir schon wieder das Herz bis zum Hals schlägt.

Am Nachmittag sitze im Sessel und habe ein Stillkissen auf meinem Schoß liegen, auf dem ich Aria halte und sie stille. Es ist so ein wunderschönes Gefühl, das endlich tun zu können. Das Abpumpen und Ernähren über die Sonde war einfach nicht das selbe. Beide Kinder trinken zwar noch nicht ausreichend und alles was fehlt bekommen sie weiterhin über die Sonde aber das ist okay.
Irgendwann geht die Tür auf und Lucian kommt herein. "Hallo.", lächle ich ihn an. Hinter ihm tauchen plötzlich meine Eltern und Jason auf. Mir klappt die Kinnlade nach unten. "Oh mein Gott! Was macht ihr denn hier?", frage ich aufgeregt. Aria hört auf zu trinken und beschwert sich, weshalb ich mich schnell zu beruhigen versuche. Mom kommt zu mir und drückt mir einen Kuss auf den Kopf. "Hallo, Spätzchen.", flüstert sie und schaut runter zu Aria. "Himmel. Ich wusste ja, dass sie klein ist aber das habe ich nicht erwartet. Und so wunderschön." Sie seufze verzückt. Auch Dad begrüßt mich mit einem Kuss auf die Stirn. Jason beugt sich über Henrys Bett. "Wow. Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage, aber Babys sind ja doch irgendwie niedlich." Lucian sieht ihn mit gerunzelter Stin an. "Magst du keine Babys?" Jason zuckt unschuldig mit den Schultern. "Sie sind winzig und so zerbrechlich. Da kriegt man doch Angst, etwas falsch zu machen. Dann schreien sie und kacken. Und stinken. Warum will man das freiwillig?" Ich hebe eine Augenbraue. "Maria möchte auch Kinder." Er versteift sich. "So weit sind wir noch nicht.", "Nein aber irgendwann schon." Er zeigt mir seinen Mittelfinger. Grinsend nehme ich Aria hoch und warte, dass sie aufstößt. "Wie lange werden sie noch hier bleiben müssen?", fragt Dad und sieht sich nun auch Henry an. "Das hängt vom Gewicht und von der Lunge ab. Sobald sie vernünftig alleine atmen, ohne noch Unterstützung zu benötigen und sie genug auf den Rippen haben, dürfen wir nach Hause." Ich stehe mit Aria auf und ziehe mich wieder vernünftig an. "Setz dich, Mom. Aber erst Hände desinfizieren." Sie sieht mich mit großen Augen an und als sie sitzt, lege ich ihr ihre Enkeltochter in den Arm. "Das ist wundervoll.", seufzt sie und grinst über beide Ohren. "Setz dich auf mein Bett, Dad." Mein Vater sieht mich unsicher an. "Meinst du wirklich? Ich will nichts falsch machen." Ich winke ab und desinfiziere noch einmal meine Hände und Arme, bevor ich Henry aus seinem Bett hebe. Dad macht es auch, dann setzt er sich und ich lege ihm Henry in die Arme. "Wow. Fühlt sich eigenartig an, einen zukünftigen König im Arm zu haben." Lucian schnaubt und ich muss lachen. Ich gehe zu Jason, um ihn zu umarmen. "Es ist so schön, dass ihr hier seid. Ich dachte, dass wir uns erst wiedersehen würden, wenn ich mit den Kindern zuhause bin." Mama gibt einen empörten Laut von sich. "So lange hätte ich das nicht ausgehalten. Wir können zwar nicht lange bleiben aber das ist nicht wichtig. Hauptsache wir können diese kleinen Engel endlich kennenlernen." Mama betrachtet das rothaarige Mädchen in ihren Armen und strahlt.
Lucian legt seinen Arm um mich. "Überraschung gelungen?" Ich sehe zu ihm auf. "Ja. Und ich weiß nicht, wie sehr ich dir dafür danken soll. Für all das. Für dieses Leben, für die Kinder. Du hast mir so viel gegeben. Und dafür liebe ich dich.", "Und ich dich.", antwortet er und beugt sich zu mir herunter, um mich zu küssen.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt