Kapitel 4

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Ich streiche über das Namensschild des schwarzen Hengstes, der mein Herz im Sturm eroberte, als er noch ein winziges Fohlen war. Neben seinem Namen und seiner Abstammung steht der Besitzer, wo noch mein Name verzeichnet ist. Eigentlich ist er das Pferd meines Vaters, da ihm der Hof gehört, doch da bisher nur ich ihn geritten bin, hat Dad meinen Namen raufschreiben lassen. Ich verziehe das Gesicht. Das Schild ist eine Lüge. Er ist nicht länger mein Pferd und reiten werde ich ihn auch nicht mehr. Nie wieder, um genau zu sein. Ich wage es nicht einmal, ihn durch die Gitterstäbe seiner Box zu streicheln, da er nun das Pferd eines zukünftigen Königs ist. Schwer schluckend löse ich den Blick von Namensschild und sehe den Prinzen an, der vor mir steht und mich aufmerksam mustert. "Das freut mich für euch, eure Hoheit.", sage ich leise und will gehen, doch erneut hält er mich an der Hand zurück. "Charlotte, es tut mir Leid. Ich weiß, dass du sehr an ihm hängst, aber-", "Nein, ist schon okay.", lächle ich gequält. "Und danke für die Einladung aber ich denke wirklich nicht, dass ich in Carwona gut aufgehoben wäre. Ich möchte nicht die Party ruinieren, weil ein kleines Stallmädchen sich nicht zu benehmen weiß." Er schüttelt lächelnd den Kopf. "Ach Charlotte, du bist eine wunderschöne, selbstbewusste junge Frau mit sehr viel Anstand. Wieso in Gottes Namen solltest du dich denn daneben benehmen? All meine Gäste sind ebenso Menschen wie du und ich. Aus Fehlern lernt man. Du bist durchaus in der Lage meinem Vater, dem König, gegenüber zu treten. Ebenso wie meinen Gästen. Einen kleinen Knicks und Ansprache mit eure Majestät oder Hoheit und schon läuft doch alles. Bei mir hast du es doch auch hinbekommen.", "Bei dir ist das was vollkommen anderes.", widerspreche ich leise. "Was? Inwiefern ist es was anderes? Wir haben uns vor vier Tagen kennen gelernt, da hast du mich auch anständig begrüßt. Du kannst das, Charlotte, wieso zweifelst du so sehr an dir? Ich wünsche mir wirklich, dass du kommst. Bitte." Ich seufze. "Ich weiß noch nicht, ob es in meinen Terminkalender passt. Ich sehe später nach, in Ordnung?" Er nickt zufrieden und lässt endlich meine Hand los, was mich schon ganz wuschig gemacht hat. "Wenn du möchtest, kannst du dich morgen noch um ihn kümmern. Ich sehe ja, wie sehr du an ihm hängst. Du kannst ihn noch Reiten und spazieren führen, wie es dir gefällt. Als wäre er noch nicht mein Pferd. Was hälst du davon?" Ich lächle. "Danke, das ist lieb. Aber heute hat er seinen Ruhetag. Ich würde dir gern etwas zeigen." Neugierig hebt er die Augenbrauen und nickt. "Du hast gemeint, du würdest gerne so richtigen Reiterhof Urlaub machen." Er nickt. Gemeinsam gehen wir rüber in die Scheune, wo er mich vorgestern gefunden hat. Wir klettern nacheinander die Holzleiter nach oben auf den Heuboden. "Ich habe zwar noch nichts vorbereitet, aber ich habe mir überlegt, dass du ja vielleicht eine Nacht hier verbringen könntest. Also deine letzte Nacht. Im Sommer machen wir es oft, dass wir Strohschlafen anbieten. Dann kann man hier mit einem Schlafsack schlafen.", "Und ich soll alleine hier schlafen?", "Äh...", stottere ich. "Nun ja, vielleicht hat mein Bruder ja Lust und ich könnte natürlich auch bleiben und vielleicht wollen ja ein paar Leute vom Stall noch-", "Du würdest mir schon vollkommen ausreichen." Mir klappt der Mund auf und ich sehe ihn sprachlos an, während er einfach nur schief lächelt. "Ja, also das geht natürlich auch, dann bleibe nur ich hier. Also du auch. Du und ich, meine ich." Ich räuspere mich verlegen und lasse meinen Blick über den Heuboden schweifen, um bloß nicht Lucian ansehen zu müssen. "Dann ist das eine gute Idee. Allerdings besitze ich keinen Schlafsack, ich hoffe, du kannst mir einen ausleihen." Ich nicke. Oh Gott, ich werde mit Prinz Lucian hier schlafen. Wir alleine. "Okay, also packe ich ein paar Dinge zusammen und nach dem Abendessen gehen wir dann hierher?", "In Ordnung.", nickt er.

Mom sitzt in ihrem Büro über ein paar Unterlagen und sieht hoch, als ich den Raum betrete. Allein ihr liebevolles Lächeln wärmt schon mein Herz, sodass mein Besuch sich schon jetzt gelohnt hat. Als sie aber mein Gesicht bemerkt, setzt sie ihre Brille ab, lehnt sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und zieht beide Augenbrauen nach oben. "Was ist los?", fragt sie besorgt. Seufzend setze ich mich ihr gegenüber an den großem Schreibtisch und rutsche so tief in den Stuhl, wie es nur geht. "Lucian hat mich geküsst. Und jetzt bin ich verwirrt.", sage ich verzweifelt. Meine Mutter blinzelt ganz schnell hintereinander und sieht mich an, als hätte ich ihr erzählt, dass Dad das Gestüt verkaufen will. "Wie bitte? Einfach so?" Ich nicke jammernd und lege den Kopf in den Nacken. "Und dann? Also habt ihr darüber geredet?" Geredet kann man das ja nicht wirklich nennen. "Ich weiß nicht, irgendwie schon aber irgendwie auch nicht. Fakt ist jedenfalls, dass er heute Abend mit mir auf dem Heuboden schlafen will. Und zwar nur mit mir. Wir haben ja gestern Abend darüber geredet, dass er dort oben ja eine Nacht verbringen kann, wenn er möchte und das habe ich ihn erzählt und habe gesagt, dass wir ja ein paar Leute aus dem Stall fragen können und so, aber er wollte, dass nur ich bleibe." Mom nickt gedankenverloren und beißt auf den Bügel ihrer Brille, die sie in der Hand hält. "Lass dich bitte nicht hintergehen, Lotti. Dein Herz wurde gerade erst gebrochen und er ist morgen schon wieder weg. Außerdem ist er ein Prinz, das hätte keine Zukunft. Ich möchte nicht, dass dir innerhalb von zwei Wochen noch ein zweites mal das Herz gebrochen wird, das hast du nicht verdient." Ich nicke und senke den Blick. "Es hat sich gut angefühlt. Ist es falsch, dass es mir gefallen hat?" Sie schüttelt lächelnd den Kopf. "Natürlich nicht, Lotti. Er ist ein hübscher Kerl und er hat einen unglaublich tollen Charakter. Nur bitte verliebe dich nicht in ihn. Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist, aber er-", "Ist ein Prinz, ja ich weiß.", beende ich ihren Satz leise. Mama nickt traurig. "Ich würde es dir wünschen, dass du jemand neues kennen und lieben lernst, auch wenn das mit Luke erst frisch vorbei ist, aber ich weiß, wie schwer es für dich wird, eine neue Liebe zu finden. Du lässt dich einfach zu sehr vom Hof einnehmen. Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder, der geht jedes Wochenende aus.", "Das kann ich aber nicht, wenn ich mal den Hof leiten soll, Mama. Die Leitung eines Gestüts ist ein Job ohne Freizeit und das weißt du." Sie nickt seufzend. Sie weiß das zu gut, denn sie und Dad waren seit vielen Jahren nicht mehr im Urlaub. Und ein freier Tag ist auch seit Ewigkeiten nicht drin gewesen. "Du musst das hier nicht tun, Lotti. Dein Vater würde auch einen anderen Nachfolger finden. Ich sehe doch, dass du was anderes willst." Ich schüttle den Kopf. "Dad verlässt sich auf mich. Es wurde mir in die Wiege gelegt, dieses Gestüt zu leiten. Das hier ist meine Zukunft und ich werde das auch ohne Mann und Kinder machen.", antworte ich schroff. "Ich will aber, dass du weißt, dass du eine Wahl hast, Lotti. Selbst wenn dein Vater auf deine Hilfe angewiesen ist, bist du nicht gezwungen, seinen Platz einzunehmen. Du kannst auch andere Dinge tun. Oder vielleicht ein Jahr aussetzen und durch die Welt reisen." Ich verziehe das Gesicht. "Ich weiß nicht, Mom.", gebe ich zu bedenken. "Du hast bloß Angst, dass es dir zu sehr gefällt.", sagt sie leise und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Was ist, wenn ich meine Freiheit genieße? Und dann feststelle, dass das Leiten des Familiengestüts nicht das ist, was ich für den Rest meines Lebens machen will? Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich Dad im Stich lasse. "Lucian hat mich zu seinem Geburtstag in zehn Wochen eingeladen. Es gibt einen Ball und er möchte, dass ich als sein Ehrengast komme. Ich soll eine Woche eher anreisen, damit ich noch ein paar Dinge lernen kann, bevor ich so viele adlige Leute treffe. Was sagst du dazu?" Mama sieht mich überrascht an. "Ich sage dazu, dass Prinz Lucian mehr von dir zu halten scheint, als ich annahm. Und scheinbar nicht nur mit dir spielt." Ich zucke verlegen mit den Schultern. "Du solltest hingehen. Das ist eine einmalige Gelegenheit, das solltest du nutzen. Du wirst Ehrengast am königlichen Hof sein, Lotti, du wärst dumm, würdest du diese Einladung nicht annehmen." Mom lächelt mich mit vor Freude geröteten Wangen an und mein Entschluss steht fest. Was auch immer in meinem Terminkalender stehen sollte, wird vom Besuch in Carwona ersetzt. "Danke, Mama, du hast mir sehr geholfen." Sie zwinkert mir zu und strahlt. "Du wirst bestimmt ein atemberaubendes Ballkleid tragen. Zu schade, dass ich dich darin nicht sehen werde. Du wirst mir Bilder schicken müssen und anrufen musst du auch.", plappert sie aufgeregt drauf los, doch ich unterbreche sie. "Meinst du ich muss mir das Kleid selbst besorgen? Ich habe doch keine Ahnung von sowas. Was ist, wenn ich etwas völlig falsches kaufe und damit der Depp des Abends bin?", "Ich denke Lucian wird dir da helfen. Er würde dich nicht einladen, um dich dann ins kalte Wasser fallen zu lassen. Er scheint dich sehr zu mögen." Ja, sie hat Recht. Lucian würde mir so etwas niemals antun. Damit ich meine Mom nicht weiter von der Arbeit abhalte, drücke ich ihr einen Kuss auf die Wange und verlasse das Haus, worin sich die drei Büros befinden. In einem sitzt Amanda, sie kümmert sich um die Buchhaltung, im zweiten Büro sitzt Magda, welche sich um die Planung kümmert, also um Bestellungen und Verkäufe und das dritte Büro gehört meiner Mom, die sich sozusagen um alles kümmert. Sie plant Veranstaltungen wie Hengstparaden, Körungen, Verkaufsveranstaltungen und Turniere. Sie ist das Herz des Gestüts, alle kommen mit ihren Problemen zu ihr, während mein Vater sich um die Zucht und Ausbildung der Pferde und der Bereiter oder Pferdepfleger kümmert, die auf dem Hof ihre Ausbildung machen. Momentan dürften wir etwa sechs Lehrlinge haben.

Jason legt den Kopf schief, als ich ins Haus komme und erschöpft seufzend meine Schuhe von den Füßen streife. "Du siehst kaputt aus.", bemerkt er schmunzelnd. "Ach was.", antworte ich schnippisch. Der Tag war auch hart. Nachdem ich am Morgen noch einen entspannten Ausritt hatte, war der Nachmittag vollgepackt mit anstrengenden Aufgaben wie Unterricht bei zwei der Lehrlinge geben, die meines Erachtens nicht sehr viel Konzentration an den Tag legen und anschließend musste ich dem Tierarzt zur Hand gehen, dessen Gehilfe momentan krank ist. "Aber sonst ist alles klar?", "Natürlich.", antworte ich ihm und folge ihm ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Couch setze und meine Füße selbst massiere. "Ich habe mit Mom geredet. Sie hat mir erzählt, dass du Zweifel hast." Ich schüttle sofort den Kopf. "Ich habe keine Zweifel. Der Hof ist meine Zukunft." Jason schnaubt. "Ach komm, Lotti, das glaubst du doch wohl selbst nicht. Dad kann dich nicht zwingen, seinen Platz einzunehmen. Was soll er schon machen, wenn du Nein sagst?", "Der Hof wird in Fremde Hände übergehen. Er wird nicht länger in der Familie bleiben, wenn ich ihn nicht übernehme. Du wolltest nicht, also bin ich an der Reihe.", "Nein!", sagt er laut und ich zucke zusammen. "Du wirst mir nicht die Schuld daran geben! Du hast genauso die Wahl wie ich, du hast nur nicht genug Arsch in der Hose, es Dad zu sagen." Ich verziehe das Gesicht. "Das sollte überhaupt kein Vorwurf an dich sein, ich gebe dir für absolut gar nichts die Schuld, Jason. Es war schon immer mein Traum, dieses Gestüt einmal zu leiten, aber dann..." Ich halte inne und senke den Blick. "Dann kam Prinz Lucian und öffnete dir die Augen?" Überrascht sehe ich Jason an. "Ach komm, du brauchst mir doch nichts vormachen. Ich sehe doch, wie du drauf bist, wenn ihr miteinander redet und wie du ihn ansiehst. Und vor allem auch, wie er dich ansieht. Und dann auch noch der Kuss.", "Woher weißt du davon?", frage ich aufgebracht. "Ich bin Sohn des Gestütleiters, ich habe meine Augen und Ohren überall." Ich verdrehe die Augen. "Lass dir von ihm die Welt zeigen. Dann bist du viel glücklicher, als du es jetzt bist." Mit diesen Worten steht er vom Sofa auf und verlässt das Wohnzimmer. Und lässt mich mit brodelndem Kopf zurück.

Sei meine KöniginWhere stories live. Discover now