Kapitel 32

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Müde strecke ich die Glieder und taste dann blind nach Lucian, finde ihn aber nicht. Ich öffne die Augen und sehe mich im Schlafzimmer um. Mein Verlobter sitzt am Frühstückstisch und beobachtet mich amüsiert, während er in sein Brötchen beißt. "Du bist schon wach?", frage ich verwundert und sehe auf den Wecker. Es ist halb zwölf. Ich schwinge die Beine aus dem Bett, schlüpfe in Hausschuhe und Morgenmantel und gehe zu Lucian. "Schon seit einer Stunde.", antwortet er mir. Ich stelle mich vor ihn, um ihn zu küssen, dann setze ich mich auf meinen Stuhl und nehme mir Kaffee und ein Brötchen. "Ich wollte dich erst wecken, weil wir noch in die Klinik müssen bevor wir uns zum Tee im Salon einfinden müssen. Aber du sahst so friedlich aus, deshalb habe ich es nicht übers Herz gebracht.", erklärt er ruhig. Ich lächle. "Schaffen wir es trotzdem noch zur Klinik?" Er nickt. "Allerdings haben wir dann nicht allzuviel Zeit." Ich winke ab. "Ich möchte nur kurz mein Riesenbaby sehen und mit dem Doktor sprechen. Ich wollte nicht den ganzen Tag dort verbringen." Lucian hebt eine Augenbraue. Okay, ich möchte sehr wohl den ganzen Tag dort verbringen. Aber ich weiß natürlich, dass wir am frühen Nachmittag die Verlobungsgeschenken auspacken werden und deshalb rechtzeitig zurück sein müssen. "Übrigens hat Freddy mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich mir den Abend vor der Hochzeit nichts vornehmen soll. Offensichtlich werde ich sowas wie einen Junggesellenenabschied bekommen." Nun bin ich es, die die Augenbrauen hebt. "Wie darf ich mir den vorstellen?" Ich trinke einen Schluck von dem Kaffee und verziehe das Gesicht. Viel zu stark. Ich kippe etwas Milch und ein Stück Zucker hinein, dann nehme ich wieder einen Schluck. Besser. "Ich schätze mal, dass es eine Party alla Adelssöhne wird.", lächelt der Prinz. Meine Augenbrauen heben sich weiter. Gelangweilte Adelssöhne die Party machen? Das gerät mit Sicherheit außer Kontrolle. "Ich versichere dir, dass keine Stripperinnen anwesend sein werden.", verspricht er. Ich nicke. Besser ist das auch. Sonst werde ich doch noch eifersüchtig und das will niemand. "Naja, bis dahin dauert es ja noch eine Weile. Erstmal wirst du in drei Wochen König." Lucian seufzt. "König. Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin." Ich lächle aufmunternd. "Natürlich bist du das. Und dein Vater wird dir sicher auch nach deiner Krönung noch beistehen. Ich natürlich auch. Ich werde dir immer den Rücken freihalten." Lucian greift über den Tisch hinweg nach meiner Hand und lächelt. "Ich weiß. Niemand könnte das besser als du.", "Na siehst du.", erwidere ich sanft. Der Prinz lehnt sich zurück und seufzt. "Trotzdem wird eine anstrengende Zeit auf uns zukommen." Ich nicke wissend. Aber das ist in Ordnung, schließlich habe ich mich freiwillig für dieses Leben entschieden. Ich schmiere mir ein Brötchen mit Marmelade und beiße genüsslich hinein. "Wer wird denn heute Nachmittag alles anwesend sein?", "Deine Eltern und dein Bruder, meine Eltern, Collin und Eliza, Marie und eben meine Freunde mit Partnerin." Ich blase die Wangen auf. So viele Leute? Ich dachte, dass wir im kleinen Kreis die Geschenke öffnen. Hoffentlich sind die Geschenke von Lucians Freunden nicht ganz so unangenehm. Die Dankeskarten, die ich gemeinsam mit Marlene schon vorbereitet haben, werden nach dem Öffnen der Geschenke verschickt. Was für eine Heuchlerei. Die Karten sind alle gleich, nicht auf das jeweilige Geschenk abgestimmt und schon fertiggestellt, bevor es die Geschenke überhaupt gab. Aber Marlene sagte, dass es nicht wichtig ist, was drin steht. Es ist nur wichtig, dass wir unsere Dankbarkeit aussprechen. Die Karten liest sich sowieso niemand durch. Wieder ein Beweis dafür, wie oberflächlich diese Gesellschaft ist. Niemand kennt jemanden richtig. Man sieht sich, sagt sich guten Tag und vertieft die Bekanntschaft nicht weiter. Und dennoch wird man zu jeder Feierlichkeit eingeladen. Egal ob Verlobung, Hochzeit oder nur eine Gartenparty. All die Leute, die gestern unsere Verlobung mit uns gefeiert haben, werden auf jeder nächsten Veranstaltung auftauchen, die Lucian und ich planen. Und dennoch werde ich von den Leute nie mehr kennenlernen, als ihren Namen. Wenn es irgendwann wichtig ist, dass ich mir Details aus einer Unterhaltung merke, wird es für mich eine Assistentin geben, die sich alles für mich merkt, denn ich werde viele Leute treffen, mit vielen Leuten reden und immer so tun müssen, als verbünde uns eine jahrelange Freundschaft, während ich in Wahrheit keinen Schimmer haben werde, wer mir gerade gegenüber steht. Meine Assistentin wird mir dann alle wichtigen Details zuflüstern. Das ist grauenvoll. Wie soll man auf diese Weise Freunde finde? Wie soll ich jemals Leute treffen, die wirklich an einer Freundschaft mit mir interessiert sind und ihre Zuneigung nicht nur heucheln und Details über mich von ihren eigenen Assistenten erfahren haben? Aber kann man als zukünftige Königin überhaupt Freunde haben? Aufrichtige Freundschaften, die durch dick und dünn gehen? Ich sehe den Kronprinzen an. Wie er da in seinem Stuhl sitzt, mit seinem perfekten Aussehen und den äußerst charmanten Lächeln. Hat er richtige Freunde? Oder auch nur Leute, die ihn Freund nennen, es aber nur tun, weil er bald den Thron besteigen wird? Nicht weil sie ihn wirklich mögen. Aber er hat mir von seinen Freunden erzählt. Von den Zwillingen Freddy und Paul, von Theodor, William und Maxwell. Sind sie richtige Freunde? Oder hintergehen sie Lucian? Spielen sie ihm ihre Treue vor, um Vorteile daraus ziehen zu können? Und wenn ja, ist es Lucian bewusst?
"Du siehst aus, als würdest du in Gedanken gerade nach dem Sinn des Lebens suchen.", schmunzelt er Prinz. Ich sehe ihn an. "So ähnlich.", sage ich leise und nippe an meinem Kaffee, der durch die Milch und den Zucker viel besser schmeckt. Beziehungsweise nicht mehr so stark ist. Ich mag keinen starken Kaffee. "Und? Bist du zu einem Ergebnis gekommen?", fragt mein Verlobter. Ich lächle zaghaft. "Nein." Er legt den Kopf schief, fordert mich stumm auf, meine Gedanken mit ihm zu teilen. Ich stelle seufzend die Kaffeetasse zurück auf den Tisch. "Sind deine Freunde richtige Freunde?" Lucian sieht mich verwirrt an. "Ja, natürlich. Ich ging mit ihnen zusammen aufs Internat. Wir kennen uns seit unserem sechsten Lebensjahr." Na gut, dann mag das vielleicht noch etwas anderes sein. "Wieso fragst du?" Ich zucke mit den Schultern. "Ich denke eben, dass es in deiner Position schwierig ist, wahre Freunde zu finden. Und in meiner jetzt auch."Lucians Gesichtsausdruck wird eine Spur sanfter und er lächelt. "Du wirst dennoch neue Freunde finden. Man lernt, zu erkennen, wem man trauen kann und wem nicht." Ja, vielleicht hat er recht. Aber mir fiel es noch nie leicht, Freunde zu finden. Ich hatte schon mein ganzes Leben lang nur eine Freundin. Meine beste Freundin. Und die hat dann mit meinem Freund geschlafen. Im Stall meines Vaters. Saubere Leistung. Sowohl von ihr als auch von mir. Nachdem ich sie erwischte, hatte ich niemanden mehr. Nur noch meinen Bruder, aber das zählt nicht. Maria und Eliza scheinen nun meine Freundinnen zu sein, allerdings gehören sie jetzt auch zu meiner Familie, also schätze ich, dass das eigentlich auch nicht zählt. "Zerbrich dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen. Mit der Zeit ergeben sich sowohl tiefe als auch oberflächliche Freundschaften und bis du lernst, selbst herauszufinden, wem du wirklich dein Herz ausschütteln kannst, werde ich dir beim Erkennen helfen." Ich lächle dankbar. Wie oft werde ich wohl auf die Nase fallen, bis ich das gelernt habe? Wie oft werde ich mich verraten und hintergangen fühlen?
Es klopft und Pedro kommt herein. "Guten Morgen, Hoheit, Miss Charlotte.", begrüßt Pedro uns fröhlich. "Guten Morgen.", lächle ich. Der junge Mann stellt sich neben Lucian und reicht ihm ein Tablet. "Ihre Termine für heute. Ich habe dafür gesorgt, dass Sie heute einen recht freien Tag haben. Bis auf vierzehn Uhr der Tee im Salon und das öffnen der Verlobungsgeschenke haben Sie heute also nichts weiter auf dem Plan. Die Tierklinik hat angerufen und lässt ausrichten, dass es dem schwarzen Hengst deutlich besser geht und er sich gut von seiner Operation erholt. Desweiteren war ich so frei, die Stellenausschreibung für die persönliche Assistenz Ihrer Verlobten vorzubereiten, Sie finden sie hier." Pedro tippt ein paar mal auf das Tablet, dann weicht er einen Schritt zurück und lässt Lucian Zeit, sich alles durchzulesen. Der Prinz runzelt konzentriert die Stirn und fährt sich mit dem Finger über die Lippen. "Ich möchte, dass eine Altersspanne hinzugefügt wird.", sagt er schließlich und gibt Pedro das Tablet zurück. "Eine Altersspanne?", frage ich. "Ja. Deine Assistentin sollte etwa in deinem Alter sein. Jünger als du geht nicht, dann ist sie zu unerfahren aber sie sollte auch nicht zu alt sein, denn das könnte Komplikationen hervorbringen. Wo wir direkt beim nächsten Thema wären, sie sollte weiblich sein.", den letzten Satz widmet er Pedro, der sich sofort Notizen macht. "Warum nicht männlich?", frage ich. "Weil mir eine Frau lieber ist.", erwidert Lucian. "Aber ich möchte nicht, dass sich ausschließlich Frauen bewerben. Ich wäre durchaus bereit, diesen Job auch einem Mann zu überlassen." Pedro hebt die Augenbrauen. "Verzeihung Miss, aber als persönlicher Assistent muss man rund um die Uhr verfügbar sein und auch bei Dingen helfen, die typisch für das jeweilige Geschlecht sind." Typisch für das jeweilige Geschlecht? Was um alles in der Welt soll denn das bedeuten? "Er meint, dass dein Assistent zum Beispiel auch bei Verabredungen dabei ist und dich zu jeder Veranstaltung begleitet. Oder wenn dir mal das Kleid kaputt geht, muss er dafür sorgen, dass es schnellstmöglich repariert wird.", "Na aber das sollte den Bewerbern ja klar sein. Und wenn ein Mann denkt, er sei für diesen Job bestens geeignet, bin ich die letzte, die ihn wegen seines Geschlechts nicht einstellt. Ich möchte nicht, dass sich nur Frauen bewerben dürfen. Solange ich mich mit meinem Assistenten gut verstehe, ist mir das Geschlecht herzlich egal." Lucian seufzt und sieht zu Pedro hoch. "Hast du ein Glück, dass du single bist und dir Zuhause keiner widerspricht." Empört bewerfe ich Lucian mit einem Stück Zucker und die beiden Männer lachen. "Also schön, dann eben keine Vorgaben bezüglich Geschlecht. Aber das Alter sollte begrenzt werden.", knickt Lucian ein und schenkt mir einen Luftkuss. Ich verdrehe schmunzelnd die Augen. "In Ordnung, ich überarbeite die Ausschreibung und werde sie dann noch einmal vorlegen. Das wäre dann von meiner Seite alles für heute.", "Danke, Pedro.", lächelt Lucian. Der junge Mann verbeugt sich leicht, dann verlässt er unsere Suite.

Nach dem Frühstück haben wir uns angezogen und haben uns zur Tierklinik fahren lassen. Allerdings nicht ohne Begleitschutz, denn aus irgendeinem Grund hat die presse Wind davon bekommen, dass Lucians Tophengst hier ist und wir heute herkommen und ihn besuchen wollen. Toby und Prescott, unsere Bodyguards, halten uns die Reporter vom Hals, während wir uns einen Weg hinein in die Klinik bahnen. Am Empfang wartet bereits der Arzt, der Mystic operiert hat und reicht uns amüsiert die Hand. "Da haben Sie meiner Klinik aber was eingebrockt.", lacht er und geht voran. Wir folgen ihm raus zu dem Ställen und ich kann es kaum erwarten. "Sein Zustand verbessert sich weiterhin und er scheint schon recht fit zu sein. Er ist offensichtlich eine Kämpfernatur.", sagt der Doktor und deutet mir dann, dass ich die Box betreten darf. Ich öffne die Tür und mein Riesenbaby brubbelt erfreut, als er mich sieht. "Hallo, mein Großer. Oh es ist so schön dich zu sehen.", seufze ich und streichle ihm den Kopf. Er genießt die Zuneigung und weicht mir nicht von der Seite. "Er wird noch ein paar Tage bleiben müssen, schließlich ist die OP gerade mal eineinhalb Tage her. Sobald aber die Fäden gezogen sind und die Wunde gut heilt, sollte er wieder in sein Zuhause zurückkehren dürfen." Lucian nickt zufrieden. "Wichtig ist dann, dass er auf Spähne steht. Ich werde Ihnen dann auch noch einen Futterplan mitgeben lassen und wenn Sie wollen auch das entsprechende Futter. Es ist wichtig, dass er jetzt lange Pause macht und sich vollständig erholen kann.", "Ab wann darf er auf die Koppel?", frage ich. "Schwer zu sagen. Ich würde noch ein paar mal vorbeikommen und nach ihm sehen, wenn er wieder Zuhause ist und dann seine Entwicklung beobachten. Ein nicht allzu großer Sandpaddock sollte jedoch kein Problem sein. Er sollte nur nicht unkontrolliert fressen und toben können." Ich nicke und sehe Lucian an. "Wir haben zwei Sandpaddocks am Stall. Die sind zwar recht groß aber das kann man ja für den Anfang abstecken und verkleinern, damit er sich nicht zu viel bewegt und direkt einen Rückschlag kriegt.", sagt er nachdenklich. "Das klingt doch vielversprechend. Ich muss jetzt aber weiter, ich habe gleich eine OP. Sie können gerne noch bleiben. Einfach die Box schließen, wenn Sie gehen und vorne am Empfang abmelden." Wir bedanken uns beim Doktor, dann geht er schnellen Schrittes aus dem Stall und wir verbringen die restliche Zeit bei meinem Liebling, bis wir aufbrechen müssen, da man uns zum Tee erwartet.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt