Kapitel 27

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Charlotte

Seufzend streife ich meine High Heels von den Füßen, als ich die große Treppe hinaufgehe. Vor einigen Wochen hätten mich keine zehn Pferde in solche Schuhe bekommen und heute ziehe ich sie für ein belangloses Essen an. Und das auch noch freiwillig. Ich fürchte ich werde sowas nun häufig tragen. Meine armen Füße.
Barfuß gehe ich den Flur entlang, bis ich Lucians und nun auch mein Zimmer erreiche. Ich öffne die Tür und lasse die Schuhe geräuschvoll auf den Boden plumpsen. Lucian sitzt in seinem Sessel vor dem Kamin und hebt schmunzelt die Augenbrauen. "Schmerzende Füße?", "Ja.", erwidere ich seufzend und setze mich in den Sessel ihm gegenüber, ehe ich meine Füße erwartungsvoll auf seinen Schoß lege. Er lächelt liebevoll, dann packt er sein Buch zur Seite und massiert mir sanft die Füße. "Oh ja.", seufze ich und lehne den Kopf nach hinten. "Wie war dein Abend mit Eliza?", fragt er mich neugierig. "Ganz nett. Wir haben uns gut unterhalten. Und wie war dein Abend mit den steifen alten Männern?", "Sie sind nicht alle alt.", erwidert er schmunzelnd. "Aber alle steif." Er nickt lachend, doch dann wird sein Gesichtsausdruck ernster. "Ich muss mit dir über etwas reden." Sein Tonfall verrät, dass es ziemlich ernst zu sein scheint. "Es hat einen Grund, wieso ich schon in einem Monat gekrönt werde und nicht erst nach dem Tod meines Vaters. Er ist noch recht jung und deswegen verstehen es viele nicht wieso er zurücktritt." Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Ich dachte, dass König Frederick einfach seine Ruhe haben wollte und deshalb Lucian das Zepter überlässt. Aber Lucians Blick verrät, dass es ganz anders ist als ich dachte. "Vor einem Jahr bekam er eine Spenderniere, weil seine eigenen Nieren nicht mehr arbeiteten. Zur gleichen Zeit fanden die Ärzte heraus, dass all seine Organe schlechter arbeiten. Es geht ihm so weit noch gut aber er braucht ein neues Herz. Und wenn er ein neues Herz hat, wird er früher oder später eine neue Lunge brauchen. Man hat ihm ohne neues Herz zwei Jahre gegeben, also bleibt ihm jetzt nur noch etwa ein Jahr. Er wollte nicht, dass die Carwonische Bevölkerung davon weiß. Er wollte einfach zurücktreten, meine Krönung und Hochzeit erleben und wollte Enkelkinder im Arm halten." Ich schlucke schwer, doch der Kloß in meinem Hals scheint immer weiter anzuschwellen und die Tränen brennen sich gewaltsam hervor. "Man merkt es ihm gar nicht an." Lucian nickt. "Er verdrängt es so gut er kann. Es gab natürlich Gerüchte aber er hat sie nie bestätigt. Er kommt noch ganz gut klar, aber ich merke immer mehr, wie wichtig es ist, dass ich gekrönt werde. Er sollte einen Gang runterschalten können aber als König kann er das nun mal nicht. Er bekommt Medikamente, die ihm helfen über den Tag zu kommen ohne zu erschöpft zu sein. Wie gesagt, noch ist alles in Ordnung. Er hat nur nicht mehr ganz so viel Kraft wie früher." Seine Augen glänzen verdächtig und beinahe erkenne ich eine Träne, doch Lucian blinzelt sie weg und sieht zum Kamin. "Und die Ärzte können nichts tun?", "Nein. Man hat ihm geraten, seinen königlichen Stand zu nutzen und sich in der Liste höher zu setzen aber er will es nicht. Und das kann ich verstehen. Ich würde es auch nicht tun. Lieber sterbe ich als dass ich einem meiner Bürger die Chance auf ein längeres Leben nehme. Mein Gewissen würde mich zerreißen und ich denke meinem Vater geht es genauso. Ich habe Angst vor der Zukunft. Ich kann mir die Welt ohne ihn nicht vorstellen. Meine Mutter wird leiden, mein Bruder auch. Und ich erst recht. Vielleicht liegt es daran, dass ich der Erstgeborene bin und mein Vater deshalb sowieso immer ein Auge auf mich geworfen hat aber er und ich haben einen ziemlich engen Draht zueinander. Natürlich kommen er und Collin auch sehr gut miteinander aus aber irgendwie war ich schon von Geburt an ein Papakind. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, war nur er in der Lage mich zu beruhigen. Selbst wenn er am anderen Ende der Welt war. Der Klang seiner Stimme am Telefon hat schon gereicht. Manchmal war meine Mutter schon beinahe verzweifelt, wenn sie Vater mal nicht erreichen konnte und ich in der Nacht das ganze Schloss zusammenschrie. Erst als ich ihn hörte beruhigte ich mich wieder. Bei Collin war es anders. Er war von Geburt an ein Mamakind. Während sie ihn in den Schlaf sang, lag ich wach in meinem Bett. Ich hörte ihr natürlich gern zu, wenn sie uns Schlaflieder sang, aber müde machten sie mich nicht. Ich brauchte Vaters Geschichten von Drachen und Rittern, Piraten und Wikingern. Er erfand fast jeden Abend eine neue Geschichte. Als ich klein war, dachte ich natürlich, dass all die Geschichten wahr wären, aber als ich größer wurde verstand ich, dass er sie sich extra für mich ausdachte. Collin hörte ihm auch gerne zu. Aber es war genau wie bei mir, nur anders herum. Er liebte Vaters Geschichten, aber erst Mutters Lieder ließen ihn einschlafen. Wir waren also genauso gleich wie wir unterschiedlich waren." Sein verträumtes Lächeln verblasst nach und nach. "Wir werden das schaffen. Du und ich. Und wenn dein Vater geht, werden wir ihn in unserem Herzen tragen.", flüstere ich. Nun huscht ihm doch eine Träne über die Wangen und er wischt sie schnell weg. "Auch ein König darf mal weinen." Er nickt und lacht leicht, ehe er mich ansieht. "Ich bin froh, dass ich dich an meiner Seite habe. Mit Eliza an meiner Seite hätte ich das nicht geschafft.", "Du kannst dich glücklich schätzen. Aber ich fürchte, dass ich den einen Wunsch deines Vaters nicht erfüllen kann." Meine leise Stimme zittert. "Ich dachte mir, dass dir diese kleine Randbemerkung nicht entfallen ist." Ich nicke bestätigend. "Ich habe heute mit ihm drüber geredet. Er hat mir geraten einzugreifen und das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Ohne dein Wissen natürlich. Aber da ich dir nichts verbergen kann und will, dachte ich, dass ich es dir am besten gleich sage." Ich lehne den Kopf nach hinten und sehe zum Kamin. "Ich habe dir versprochen, dass ich dir Zeit gebe. Dass ich uns Zeit gebe. Aber heute hat er mir gesagt, dass er sich noch Enkelkinder von mir wünscht und dann hörte ich plötzlich in meinem Kopf eine Uhr ticken. Ich kann ihm diesen Wunsch nicht erfüllen. Nicht nur weil du noch nicht so weit bist. Ich bin es auch nicht. Aber ich bringe es nicht übers Herz, es ihm zu sagen.", "Wir können das gemeinsam tun.", flüstere ich und er nickt. "Ja vielleicht. Aber jetzt müssen wir erstmal ein paar wichtige Dinge hinter uns bringen." Wichtige Dinge. Diese Dinge erscheinen mir nach diesem Gespräch unwichtiger dennje. Wer braucht eine Verlobungsfeier, wenn die Lebensuhr des Königs tickt? Ich muss dafür sorgen, dass Lucian nicht daran zerbricht, wenn er sich vom wichtigsten Mann in seinem Leben verabschieden und ihn gehen lassen muss. "Die Verlobungsfeier ist belanglos.", murmle ich. "Ist sie. Aber ich verspreche dir, dass es ein schöner Abend wird.", "Tanzen wir den ganzen Abend? Bis unsere Schuhe durch sind?" Lucian lächelt. "Wenn du das willst." Ich nehme meine Füße von seinem Schoß und stehe auf. "Komm." Ich halte ihm meine Hand entgegen. Er nimmt sie und steht auf, ehe er mich an sich zieht. "Ich liebe dich, Lotti. Nie wieder lasse ich dich gehen." Er macht den ersten Schritt und ich lasse mich von ihm führen. "Ich liebe dich auch.", lächle ich und kichere, als er mich dreht und dann wieder an sich zieht. Ohne Musik tanzen wir eng aneinander in der Mitte der Zimmers und genießen die Zweisamkeit, bis es an der Tür klopft und wir gleichzeitig seufzen. Lucian löst sich widerwillig von mir. "Herein.", sagt er laut genug und die Tür geht auf. "Eure Hoheit, entschuldigt die Störung aber Mister McCall schickt mich, es geht um den schwarzen Hengst aus England.", sagt ein Bediensteter, nachdem er sich kurz verbeugt hat. "Mystic? Was ist mit ihm?", frage ich panisch. "Scheinbar ist das Pferd krank, Mister McCall vermutet eine Kolik und meinte, dass Sie beide wert darauf legen würden, sofort davon zu erfahren.", erwidert er. "Danke, Ennis, wir kommen.", sagt Lucian ruhig. Der Junge Mann verbeugt sich noch einmal ganz leicht, dann geht er. "Wir müssen sofort zu ihm. Es hatte noch nie eine Kolik." Aufgeregt laufe ich rüber zum Ankleidezimmer und schnappe mir Schuhe und eine Jacke, da es als ich vom Essen kam anfing zu regnen. Auch Lucian nimmt sich Jacke und Schuhe, dann eilen wir raus zum Stall.
Von weitem sehe ich schon zwei Männer vor der Box meines Pferdes stehen. Schnell laufe ich zu ihnen und schiebe sie zur Seite, damit ich zu Mystic komme. "Hey, mein Großer.", schluchze ich, als ich ihn auf dem Boden liegen sehe. Er schwitzt und sieht ganz müde aus. "Er muss aufstehen.", sage ich entschlossen und nehme mir den Strick, der an Mystics Boxentür hängt. Ich mache ihn an seinem Halfter fest, dann atme ich entschlossen durch. "Komm schon, Mystic, du musst aufstehen." Entkräftet hebt er den Kopf. "Bitte, Großer, steh auf.", bettle ich. "Lotti.", murmelt Lucian leise. "Nein, hilf mir ihn aufzurichten, er darf nicht liegen.", antworte ich schroff. In mir kommt immer mehr das professionelle Stallmädchen durch, das schon viel zu viele Pferde hochgescheucht hat, als sie wegen einer Kolik in der Box lagen. "Also schön.", seufzt Lucian. "Komm schon!", sage ich laut und Mystic kämpft sich auf die Vorderbeine. Schwerfällig steht er auf, doch seine Beine zittern verdächtig. "Er muss in die Klinik. Bereitet einen Transporter vor, ich beschäftige ihn, damit er sich nicht wieder hinlegt.", "Der Tierarzt ist schon hierher unterwegs.", erwidert einer der Männer, die ich bisher nur vom Sehen kenne. "Der kann uns nicht helfen, Mystic muss in die Klinik und zwar sofort." Die beiden Männer sehen zu Lucian und als dieser nickt, tun sie endlich was ich sage. "Hast du eine Vermutung?", fragt mein Verlobter besorgt und tastet den Bauch des Hengste ab. "Ja.", antworte ich ausdruckslos. "Geh mit ihm den Gang auf und ab. Er muss sich bewegen." Ich drücke Lucian den Strick in die Hand, dann laufe ich in die Sattelkammer zu Mystics Schrank, wo ich seine Transportgamaschen und eine Abschwitzdecke hole. "Erzählst du mir von deiner Vermutung?" Ich schüttle den Kopf, während ich Mystic erst die Decke über lege und ihm anschließend die Gamaschen dran mache. "Meinst du die braucht er? Er hat kaum Kraft zu gehen, die Gamaschen kosten ihn sicher nur noch mehr Kraft." Lucian beobachtet mich skeptisch. "Richtig, er hat nicht viel Kraft, deshalb wird der Transport sehr anstrengend für ihn und er wird oft versuchen das Gleichgewicht zu halten. Also wird er sich oft die Beine stoßen. Damit aber nichts passiert, bekommt er jetzt die Gamaschen ran. Ich habe einfach Angst um ihn, okay?" Meine zitternden Stimme versagt und ich schlucke schwer, während ich den letzten Klettverschluss schließe und mich aufrichte. "Alles wird gut.", redet Lucian auf mich ein und ich nicke. Ich muss positiv denken, sonst verliere ich den Verstand. "Ich will mit in die Klinik.", "Okay, ich komme auch mit." Der Prinz nimmt meine Hand und gemeinsam gehen wir raus und verladen mein Pferd. "Rufen Sie den Tierarzt an, McCall und sagen Sie ihm, dass er nicht mehr kommen braucht. Wie melden uns später.", "In Ordnung, Eure Hoheit.", murmelt der Mann und geht mit dem Handy am Ohr in den Stall zurück. Der zweite Mann sitzt bereits in dem kleinen Transportr und startet direkt, als wir uns ebenfalls vorne hinsetzen. "Was hat er?", fragt der Junge Mann vorsichtig. Lucian, der in der Mitte sitzt, sieht zu mir. Ich wende den Blick ab und sehe aus dem Fenster. "Ich gehe von einer Darmverschlingung aus. Kann natürlich auch eine stinknormale Kolik sein aber irgendwie ist das so ein Gefühl.", murmle ich nachdenklich. Ohne hineinzusehen könnte man das gar nicht feststellen. Es wäre durchaus möglich, dass ich gerade vollkommen überreagiere. Aber irgendwas in meinem Kopf sagt mir, dass uns der Tierarzt im Stall nicht helfen kann. Und je früher Mystic im Falle dessen, dass ich richtig liege, in den OP kommt, umso besser. Ich darf nichts riskieren. Nicht bei ihm.

Sei meine KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt