Kapitel 34

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Ich stehe in der Mitte des Reitplatzes und beobachte einen der Bereiter, der gerade eines von Lucians Dressurpferden reitet. Lucian selbst ist noch im Stall und macht die Stute fertig, die er vom Gestüt meines Vaters mitgebracht hat. Er wird gleich ebenfalls reiten und diesmal werde ich ihm die Hölle heiß machen. Ich kann es schließlich nicht auf mir sitzen lassen, dass nur er mir Unterricht gibt. Auch wenn er wirklich gut reitet. Im Gegensatz zu seinem Bereiter. Ich presse die Lippen aufeinander. "Du klammerst.", sage ich laut, damit Henry es hört. Ich beobachte ihn nun schon seit einer Viertel Stunde und frage mich wirklich, wieso er für Lucian arbeitet. Ob er noch in der Ausbildung ist? "Henry? Wie alt bist du?", rufe ich. "Ich bin zweiundzwanzig.", antwortet er. "Und wie lange bist du schon hier?", frage ich weiter. "Seit letztes Jahr September. Da hat meine Ausbildung begonnen." Aha. Das erklärt einiges. "Aber du bist vorher schon geritten?", "Ja. Springen bis Klasse M und Dressur bis L." Springen. Also deshalb seine Haltung. Springreiter sitzen ganz anders als Dressurreiter und trotzdem stört mich etwas am ihm und seiner Haltung. "Auch auf Kandare?", frage ich skeptisch. "Nein, nur Trense. Kandare erst seit ich hier bin." Aha.
Lucian führt seine Stute auf den Platz und gurtet nach. Dann steigt er auf und sieht zu mir. "Was ist?", fragt er lachend, als er meinen Blick sieht. Ich deute mit dem Kopf unauffällig auf Henry. "Gib ihm Zeit. Er braucht nur bisschen Übung." Offensichtlich sieht Lucian in ihm Potenzial. Ich hingegen sehe, dass er vor seiner Zeit hier überhaupt nicht Pro Pferd geritten ist. Im Gegenteil. Er klammert, hat permanent die Sporen an die Rippen gedrückt, reißt dem armen Tier im Maul herum und hat den Kandarenzügel viel zu kurz. "Also schön, ich kann das nicht mit ansehen. Komm mal her.", seufze ich. Henry wird rot und kommt zu mir in die Mitte. "Mach mal bitte die Füße aus den Steigbügeln." Er hört auf mich und ich mache ihm die Sporen ab. Verwirrt beobachtet er mich. "Die bekommst du wieder, wenn du deine Beine unter Kontrolle hast. Sporen können viel Unheil anrichten, wenn man nicht mit ihnen umzugehen weiß. Und jetzt nimmst du bitte nur einen Zügel auf. Der Kandarenzügel bleibt liegen, bis ich etwas anderes sage. Schritt ganze Bahn, linke Hand." Henry führt meine Befehle aus und ich sehe zu Lucian hoch, der mit seinem Pferd neben mir steht. "Und was ist mit dir? Willst du nur herumstehen?" Lucian hebt amüsiert die Augenbrauen. "Wirst du jetzt herrisch?", "Herrisch? Du willst nicht, dass ich wirklich herrisch werde." Lucian lacht und treibt die Stute vorwärts. "Henry trab und bei C Zirkel." Ich stelle mich in die Mitte des unteren Zirkels und beobachte Henry. "Beine lang, Hacken runter, Schultern zurück. Du sitzt auf einem Dressurpferd, nicht auf einem Springpferd. Ist mir sowieso ein Rätsel, wie du in einem Dressursattel eine solche Haltung haben kannst." Ich verschränke die Arme vor der Brust. Henry korrigiert seine Haltung. "Besser. Viel besser.", lobe ich ihn. Lucian latscht an mir vorbei. "Du bist ganz schön fies.", bemerkt er. "Bitte? Ich habe eben mein Lob ausgesprochen. Sieh du lieber zu, dass du deine Zügel aufnimmst und hier nicht herumdallerst." Lucian lacht amüsiert und nimmt endlich die Zügel auf. "So, und jetzt gibst du bisschen die Hand vor und lässt dir nach und nach den Zügel aus der Hand kauen. Lass ihn sich lang machen, der muss mal vernünftig vorwärts abwärts laufen und durch den Rücken schwingen. Der Junge ist steif wie ein Brett. Aber nicht die Zügel wegschmeißen, immer eine Verbindung zum Gebiss behalten." Der Wallach schnaubt ab und ich lächle zufrieden. "Siehst du. Loben. So muss das sein. Jetzt schwingt er vernünftig durch und tritt auch über. Vorher ist er nur mit dem Hinterhuf rangetreten aber er muss mindestens eine Huflänge übertreten."
Als Henry fertig ist, schicke ich ihn rein und sehe nun Lucian an, der noch immer herumdallert. "Was genau wird das hier?", frage ich ihn. "Ich sehe mir deinen Unterricht an. Du bist strenger als ich erwartet hatte." Ich zucke mit den Schultern. "Ich lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen und möchte, dass hier vernünftig geritten wird, denn sonst sind deine teuren Pferde schneller kaputt auf den Knochen, als du gucken kannst. Dass du jemanden wie Henry deine Pferde reiten lässt, wundert mich wirklich." Lucian seufzt und bleibt stehen. "Er hatte eine harte Kindheit. Und ich denke, wenn er vernünftig unterrichtet wird, dann könnte er wirklich gut sein. Er hat es nur falsch gelernt und muss etwas korrigiert werden." Etwas ist gut. Er ist ziemlich ruppig. "Na schön, das kriegen wir schon hin. Solange er meine Kritik annimmt und damit arbeitet, sollte es gehen. Sah ja jetzt zum Ende hin schon nicht mehr schlecht aus." Lucian nickt wissend, dann reitet er auch endlich vernünftig und dreht nicht mehr nur sinnlos seine Runden. Ich beobachte ihn und korrigiere hier und da etwas, bis ich zufrieden bin und ihn in Ruhe lasse. Wir gehen zum Stall und ich sehe seufzend zu Mystics leere Box. Wir waren jetzt jeden Morgen nach der Verlobungsfeier vormittags ihm und haben nach ihm gesehen. Er scheint auf dem Weg der Besserung zu sein. Jetzt muss er noch eine Weile dort bleiben, bis auch die Fäden gezogen sind und alles gut verheilt ist, dann kann er nach Hause zu mir kommen und sein Leben auf der Koppel genießen. Vorerst wird er nicht mehr im Sport zu sehen sein aber vielleicht geht es bald wieder. Auch wenn mir das absolut nicht wichtig ist und ich einfach will, dass er gesund zu mir zurück kommt. Lucian bleibt auf der Stallgasse stehen und sieht zu mir. "Kopf hoch, er kommt bald wieder." Ich nicke und gehe ihm mit hängenden Schultern hinterher. Ich würde gerne ins Bett gehen und erst wieder herauskommen, wenn wieder alles gut ist.
Lucian sattelt seine Stute ab und bringt sie in ihre Box. Als er mit allem fertig ist, greift er nach meiner Hand, küsst mich und wir gehen zurück zum Schloss. "Weißt du eigentlich, dass ich sehr stolz auf dich bin?", fragt er nach einer Weile. Ich sehe ihn fragend an. "Auf deinen Schultern lastet viel Druck und dennoch stellst du dich in die Mitte eines Reitplatzes und scheißt meine Angestellten zusammen, weil sie nicht vernünftig reiten." Ich lächle. "Und darauf bist du stolz?" Er nickt. "Jede andere Frau würde sich nur noch um andere Dinge kümmern. Gut aussehen, feste planen-", "Ich bin ja aber nicht wie jede andere Frau und krieg die Krise, wenn ich jemanden schlecht reiten sehe. Beziehungsweise wenn ich sehe, dass jemand ein Toppferd verreitet." Ich schüttle missbilligend den Kopf. "Naja, eigentlich ist Henry auch nur Pfleger und darin ist er sehr gut. Er darf nur ab und an Ferdi reiten, weil er ein guter Lehrer für unerfahrene Reiter ist. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.", "Dennoch finde ich es fragwürdig, dass er ohne Aufsicht mit Kandare reitet.", gebe ich zu bedenken. "Das stimmt, finde ich auch nicht so berauschend." Seufzend schaut er auf seine Uhr. "Ein wenig Zeit haben wir noch. Wollen wir hochgehen?" Ich hebe beide Augenbrauen. "Und dann?" Er zuckt schelmisch mit den Schultern und zieht mich die Treppe hinauf bis zu unserem Schlafzimmer. Als die Tür zu ist, drückt er mich dagegen und küsst mich stürmisch. "Lucian!", rufe ich lachend und drücke ihm weg. "Wir sollten das nicht tun.", seufze ich. Er verdreht die Augen. "Wir könnten ja auch einfach nur rummachen.", "Ach und du glaubst, dass du dich beherrschen kannst, wenn wir jetzt rummachen? Das hat die letzten Male nämlich auch nicht sehr gut funktioniert." Er knurrt frustriert. "Heute nicht.", flehe ich leise und lege meine Arme um seinen Hals, ehe ich ihm einen Kuss auf die Lippen hauche. Lucian presst die Lippen aufeinander und legt seine Arme um meine Taille. "Wir haben so viel um die Ohren und sollten wirklich mal entspannen. Und auf diese Weise ginge das wirklich gut." Er bewegt die Augenbrauen auf und ab und ich kichere. "Du hast Athena gehört. Für gewöhnlich dürften wir nicht einmal im selben Zimmer schlafen.", erwidere ich. "Nein, komm mir nicht mit sowas. Das zählt nicht.", murrt der Prinz. Ich schmolle und er seufzt. "Lotti, es geht niemanden was an, ob wir vor unserer Ehe Sex haben oder nicht. Jeder hat heutzutage Sex vor der Ehe. Ich würde sogar behaupten, dass es heutzutage niemanden mehr gibt, der so lange wartet. Naja, außer natürlich religiöse Leute. In manchen Ländern ist das eben so. Aber in meinem Land eben nicht. Ach du weißt schon, was ich sagen will." Er lässt von mir ab und geht zum Sofa. Seufzend setzt er sich und stützt die Arme auf die Knie. "Ich verstehe nur einfach nicht, wieso es dich jedes Mal eine solche Überwindung kostet. Es ist doch nicht unser erstes Mal." Ich gehe zu ihm und setze mich neben ihn. "Ich nehme halt die Pille nicht und habe Angst, dass etwas passiert, was wir bereuen.", sage ich leise. Lucian richtet sich auf und sieht mich ungläubig an. "Was war bei den letzten malen anders?", "Da habe ich nicht nachgedacht. Und wenn jetzt etwas schiefgeht, dann sind die Leute nicht dumm und können ausrechnen, dass unser Kind vor der Hochzeit gezeugt wurde und dass wir sämtliche Traditionen gebrochen haben.", lüge ich, weil ich selbst Angst vor der Wahrheit habe. Lucian sieht mich ungläubig an. "Schatz, wir heiraten in wenigen Monaten. Und es will mir nicht einleuchten, auch nur einen Tag enthaltsam leben zu müssen, weil du Angst hast, schwanger zu werden. Du kannst die Pille nehmen und es gibt sowas wie Kondome, falls dir das entfallen ist." Ich presse die Lippen aufeinander. "Das ist mir bewusst. Und trotzdem habe ich Angst, dass wir es wieder vermasseln." Ich stehe wütend auf und gehe zum Ankleidezimmer, wo ich mir eine Laufhose heraussuche und sie anziehe. Ich kann selbst nicht verstehen, warum ich wütend bin. Warum ich ihn anlüge und jetzt vor ihm flüchte. Wir wollten ehrlich zueinander sein aber es fällt mir so schwer. Dieses Thema ist einfach viel zu emotional für mich. "Was machst du?", fragt Lucian und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen den Türrahmen. "Ich gehe laufen.", antworte ich leise und greife nach einem Sporttop und einem Sport BH. Ich ziehe mich aus und ziehe danach die Sportsachen an. "Lotti.", seufzt Lucian und stößt sich vom Türrahmen ab. "Nein, lass mich jetzt.", sage ich und drängle mich an ihm vorbei. Doch statt mich gehen zu lassen, hält er mich am Handgelenk fest. "Lucian, lass mich los.", bitte ich ihn. "Nein, ich verstehe diese sinnlose Diskussion einfach nicht und will das jetzt klären." Ich will mich aus seinem Griff befreien, schaffe es aber nicht. "Charlotte! Herrgott nochmal, was ist denn bloß in dich gefahren?", flucht er laut. "Ich will nicht mit dir schlafen, weil ich vielleicht schwanger bin und verdammte scheiße nochmal nicht weiß, wie ich damit umgehen soll!", schreie ich ihn an. Lucians Griff lockert sich und ich schaffe es, mich zu befreien. Ich weiche seinem entsetzten Blick aus und schlinge meine Arme um meinen Oberkörper. "Was?", fragt er leise. Ich presse die Lippen aufeinander und senke den Blick. "Ich bin überfällig. Und das würde heißen, dass wir in Sachen Verhütung die dümmsten Menschen der Welt wären." Ich setze mich in den Sessel und ziehe die Beine an. Ich lege mein Kinn auf die Knie und schlinge meine Arme um die Beine. Lucian setzt sich auf die Armlehne des Sofas und starrt mich fassungslos an. "Aber wenn du davon ausgehst, bereits schwanger zu sein, was soll denn das ganze Geschwafel von der Angst schwanger zu werden und alldem. Das ist doch dann völliger Irrsinn." Ich verziehe das Gesicht. "Mir ist nichts anderes eingefallen. Ich konnte nicht einmal ehrlich zu mir selbst sein." Lucian fährt sich mit den Händen übers Gesicht. "Und nun?" Ich zucke mit den Schultern. "Verdammt nochmal, Lotti. Du musst mit mir über sowas reden. So geht das nicht." Ich nicke niedergeschlagen. "Wie sicher bist du dir denn?", fragt er jetzt sanfter. "Nicht sehr sicher. Ich bin nur fünf Tage überfällig und das macht mich nervös." Ich kaue an meinen Fingernägeln und weiß schon jetzt, dass meine Stylisten mich dafür mit bösen Blicken strafen werden. "Also solltest du einen Test machen, um sicher zu gehen." Ich nicke. "Gut, das ist doch mal ein Plan. Ich schicke Walter los." Ich kaue weiter auf meinen Nägeln. "Walter wird doch sicher niemandem etwas sagen, oder?", frage ich unsicher. "Natürlich nicht.", beruhigt Lucian mich. Er tippt auf seinem Handy herum, dann legt er es weg und sieht mich an. "Das ist wirklich kein Grund, mich nicht ranzulassen." Ich verdrehe die Augen. "Männer.", murmle ich und zupfe geistesabwesend am Stoff des Sessels. "Ich verstehe nicht, wieso du dich so verhältst." Ich sehe auf. "Ich hatte Panik.", murmle ich. "Wieso denn?" Ich hebe die Augenbrauen. "Wieso? Na vielleicht, weil ich gerade erst ein Baby verloren habe und das noch immer nicht verarbeitet habe?", erwidere ich aufgebracht. "Aber vielleicht ist das genau der richtige Weg, um es zu verarbeiten.", "Vielleicht wenn wir ein normales Paar wären. Aber du bist ein unverheirateter Kronprinz. Wir sind kein normales Paar und dürfen deshalb jetzt kein Kind bekommen. Schon wieder." Lucian schweigt. Ihm ist bewusst, dass ich Recht habe. Es wäre ein Skandal, wenn ich bereits vor unserer Hochzeit ein Kind erwarten würde. Wir haben uns an gewisse Vorgaben zu halten und dazu gehört auch, dass wir erst in unserer Hochzeitsnacht miteinander schlafen und auch in dieser Nacht unser erstes Kind gezeugt wird. Da Lucian aber bekannt gegeben hat, dass das wegen unseres Verlustes länger dauern wird, wäre es umso schlimmer, wenn es jetzt sogar früher eintritt.

Ein Klopfen bricht unserer einiges Schweigen. "Herein.", ruft Lucian und Walter kommt herein. "Ich bringe den Test, Hoheit. Und ich versichere Ihnen, dass niemand Verdacht schöpft.", sagt der ältere Mann und überreicht Lucian eine kleine Tüte. "Danke, Walter." Der Diener verbeugt ich leicht, dann verlässt er das Zimmer. "Also?" Lucian hält mir den Test hin. Seufzend stehe ich auf und nehme ihn mir, ehe ich ins Bad gehe und ihn auspacke. Als ich auf der Toilette fertig bin, gehe ich zurück ins Schlafzimmer. "Es ist egal, wie das Ergebnis ausfällt. Wir schaffen das schon und lassen uns etwas einfallen." Lucians Worte sollen mich stärken, aber ich fühle mich unwohl. Ich habe Angst. Der Prinz schaut auf die Anleitung, dann auf seine Uhr und nimmt den Test, der auf dem Tisch liegt. "Es ist nur ein Strich.", sagt er. Während sich bei mir Erleichterung breit macht, scheint Lucian enttäuscht zu sein. "Du hast gehofft, er wäre positiv, habe ich Recht?", frage ich leise. Er nickt. "Dad hätte noch Großvater werden können. Ich hatte kurz Hoffnung. Tut mir Leid.", sagt er. Er steht auf und schmeißt den Test in den Mülleimer. Dann geht er ins Ankleidezimmer und kommt wenig später selbst in Laufsachen heraus. "Ich muss etwas Dampf ablassen. Wir sehen uns beim Dinner." Er küsst mich auf die Stirn und verschwindet. In dem Moment wird mir bewusst, wie sehr er sich gewünscht haben muss, dass das Ergebnis positiv ist.

Sei meine KöniginWhere stories live. Discover now