Kapitel 19

4.1K 121 0
                                    

Meine Augen gleiten über den Vertrag, der vor mir auf dem Tisch liegt. Lucian hat ihn ausarbeiten lassen und als ich am Morgen im Stall war, hat Matt, der Vorgesetzte dort, mich direkt abgefangen und ihn mir gegeben. Und nun sitze ich hier in meinem Zimmer am Schreibtisch. Den Kugelschreiber in der einen Hand, mein Handy in der anderen. Der Arbeitsvertrag ist mein Freifahrtsschein für meinen Aufenthalt im Schloss und im Stall, falls die Sache mit Eliza länger dauert. Im Prinzip ist er nur eine Art Tarnung für den Moment. "Das ist eine große Chance, Charlotte, ich nehme es dir beim besten Willen nicht übel, dass du dieses Angebot annehmen möchtest. Abgesehen davon, bin ich noch gar nicht so alt und kann das Gestüt noch gut zwanzig Jahre alleine leiten. Vielleicht sogar länger. Ich bin immerhin erst Mitte Vierzig. Da fängt das Leben doch erst richtig an.", ertönt die Stimme meines Vaters durch mein Handy. "Schon klar, Dad.", lache ich. "Ist der Vertrag denn so in Ordnung? Soll ich ihn so wie er ist unterschreiben?" Kurz ist Ruhe am andrehen Ende, doch dann höre ich meine Mom: "Der ist super. Unterschreib ihn und gut. Aber Spätzchen, meinst du denn, dass du das so schaffst? Ich weiß, dass dein Herz stark ist. Moment, ich muss kurz von deinem Vater weg, der muss ja nicht alles wissen.", flüstert sie. "Ich denke schon. Ich kann hier nicht weg, Mom. Lucian bedeutet mir zu viel.", "Das weiß ich, aber als Affäre des Prinzen? Ich merke doch, was für Gefühle du für ihn hast. Ich habe Angst, dass es dich kaputt macht. Es gibt so viele tolle Männer auf dieser Welt und du bist ein wunderschönes und bezauberndes Mädchen, du könntest jeden haben. Du hast es nicht verdient, die Mätresse eines verheirateten Mannes zu sein, den du mir heimlich in seinem Zimmer brauchen darfst." Ich schnaube. "Ist dir bewusst, dass wir nicht mehr im achtzehnten Jahrhundert leben? Ich bin nicht seine Mätresse. Dieses Wort gibt's doch heute gar nicht mehr. Außerdem haben wir darüber geredet und beschlossen, dass wir versuchen einen Weg zu finden. Ich werde nicht seine Affäre sein. Der Vertrag ist nur zur Tarnung, falls es Probleme gibt. Lucian wirkt im Moment ein wenig paranoid, also werde ich einfach mitmachen und den Arbeitsvertrag unterzeichnen." Meine Mom lacht und auch ich muss kurz schmunzeln. "Du weißt aber was ich meine. Und es ist sehr erwachsen, dass ihr Eliza nicht hintergehen wollt. Bleib stark, mein Liebling.", "Danke Mom.", antworte ich lächelnd. Ich vermisse sie sehr. "Grüß meinen Lieblingsbruder von mir, ja? Ich werde jetzt unterschreiben und den Vertrag dann abgeben. Ich melde mich.", "In Ordnung, bis bald, Spätzchen." Wir legen auf und ich seufze laut. Was für ein Spaß. Schnell setze ich meine Unterschrift ganz unten auf der letzen Seite und stehe dann vom Stuhl auf. Ich will gerade zur Tür hinaus, als es plötzlich klopft und ich verwirrt aufmache. Kaum ist die Tür einen Spalt offen, stürmt Lucian hinein, schließt die Tür hinter sich und drückt mich stürmisch an die Wand. Seine Lippen finden meine und als meine Überraschung dem Verlangen Platz macht, vergrabe ich meine Finger in seinen Haaren und schmiege mich an seinen unglaublichen Körper. Schwer atmend löst er sich von mir und lehnt seine Stirn an meine. "Wie kommt's?", frage ich lachend. "Ach, ich hatte eine unglaublich lange und vor allem unglaublich anstrengende Versammlung und jetzt musste ich erstmal irgendwas tun, was mich entspannt.", antwortet er, dann löst er sich endgültig von mir und mustert mich. "Wo wolltest du eigentlich hin? Und was hast du da?" Er deutet auf den Vertrag in meiner Hand. "Oh, ich wollte mich gerade auf den Weg in den Stall machen und den Arbeitsvertrag abgeben. Habe unterschrieben.", "Sehr schön. Also bleibst du bei mir?" Er küsst mich erneut und ich seufze zufrieden. Als sei mein Laut das Kommando gewesen, hebt Lucian mich hoch und trägt mich zu meinem Bett. So viel zum Thema, dass wir Eliza nicht hintergehen wollen. Langsam legt er mich ab und schmeißt sich neben mich, ehe ich mich an ihn kuschle und seine Nähe genieße. "Wie läuft das dann? Bin ich nur für Mysic zuständig oder auch für andere Pferde?", "Auf jeden Fall wirst du ganz allein Mystic reiten und trainieren, aber auch andere Pferde ausbilden. Du bist dann jetzt meine beste Bereiterin." Ich will gerade etwas erwidern, da klopft es wieder an der Tür und sofort versteifen sich unsere Körper. Lucian sieht mich an. "Wer ist das?", flüstert er, da klopft es erneut. "Keine Ahnung - Moment!", rufe ich zurück und stehe aus dem Bett auf. "Geh ins Bad.", flüstere ich Lucian zu und dieser nickt schnell, ehe er im Bad verschwindet und ich schnell einmal alles richte, ehe ich die Tür öffne. "Störe ich etwa?", fragt Janet und mustert mich. Als ich den Kopf schüttle, nickt sie. "Ihre Majestät die Königin möchte gerne mit dir sprechen. Ach, da ist sie ja schon." Königin Marlene kommt um die Ecke direkt auf mein Zimmer zu und lächelt mich freundlich an. "Hättest du einen Moment Zeit für mich?", "Aber natürlich, eure Majestät.", "Wie schön. Janet? Magst du bitte dafür sorgen, dass man uns eine Tasse Tee bringt?" Janet nickt und verkrümelt sich, während ich völlig überfordert der Königin hinterher gehe, die geradewegs zu einem der Sessel in meinem Zimmer geht. Nervös sehe ich rüber zur Badtür, doch diese ist zum Glück geschlossen. "Ich habe gehört, dass du nun doch länger bleiben wirst?", fragt sie und sieht sich kurz in meinem Zimmer um. Als ich Blick an meinem zerwühlten Bett hängen bleibt, reiße ich die Augen auf. "Entschuldigt die Unordnung, ich lag im Bett und hatte mich ein wenig ausgeruht, als Miss Malcolm geklopft hat.", erkläre ich. "Ach, meine Liebe, mach dir keine Gedanken. Darüber sehe ich hinweg, ich bin hier ja schließlich unangekündigt aufgetaucht." Ein Butler schiebt einen kleinen Wagen in mein Zimmer, dann platziert er zwei Tassen und einen kleinen Teller mit Keksen auf dem kleinen Tisch, ehe er Tee in die Tassen kippt, die Kanne abstellt und eine Zuckerdose und eine kleine Kanne Milch daneben stellt. "Vielen Dank, Franko.", sagt Marlene und nach einer leichten Verbeugung geht Franko hinaus und schließt die Tür. "Du fragst dich sicher, wieso ich hier bin, habe ich recht?" Ich nicke leicht und nehme die Teetasse, um einen kleinen Schluck zu trinken. "Der Grund ist Lucian. Ich habe gesehen, wie er zu dir gekommen ist." Verwirrt blinzle ich. "Und ich habe bemerkt, dass er noch nicht wieder dieses Zimmer verlassen hat.", fährt sie fort und beobachtet mich genau, während sie an ihrer Teetasse nippt. Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. "Komm schon raus, Lucian.", sagt sie lauter und stellt ihre Tasse ab, ehe sie sich zurücklehnt. Die Badtür öffnet sich und der Prinz lehnt sich lässig mit verschränkten Armen an den Türrahmen. "Verurteile mich nicht.", sagt er gelassen. "Tue ich nicht. Ich will nur mit euch reden.", antwortet die Königin. Er stößt sich vom Türrahmen ab und setzt sich in den letzten freien Sessel. "Also schön, reden wir." Ich seufze angespannt. "Wieso in Gottes Namen wolltest du um Elizas Hand anhalten, wenn dein Herz für eine andere Frau schlägt, die sogar bereit wäre deinen Antrag anzunehmen?", "Es war ein Missverständnis.", antwortet Lucian ruhig. "Ein Missverständnis?" Die perfekt gezupfte Augenbraue der Königin hebt sich skeptisch. "Ich ging davon aus, dass Charlotte nicht das selbe für mich empfindet und lieber wieder nach Hause will als hier bei mir zu bleiben." Zwei Augenpaare richten sich auf mich und plötzlich fühle ich mich winzig. "So war es anfangs auch. Und dann war es zu spät. Ich dachte, dass ich Zuhause besser aufgehoben sei. Ich war mir sicher, dass das alles hier nichts für mich ist.", antworte ich ehrlich. "Also schön. Du wirst das mit Eliza klären. Du wirst es ihr vernünftig erklären und wenn es nötig ist, dann werden wir eben mit Geld oder sonst etwas nachhelfen, damit es nicht an die große Glocke gehängt wird. Dein Vater und ich sind der Meinung, dass ein Skandal über einen Verlobungwandel erträglicher ist als ein unglücklicher König. Und du wirst bald König sein, Lucian. Dein Vater möchte schon bald die Krone an dich weitergeben und dann sollst du in bester Verfassung sein. Das bist du nicht, wenn du die falsche Frau heiratest. Und jetzt zu dir, Charlotte." Ich schlucke schwer. Was kommt jetzt? "Bist du wirklich bereit dein altes Leben hinter dir zu lassen? Du wirst hier einziehen an der Seite eines Königs stehen. Gemeinsam mit ihm ein Land regieren, für Thronerben sorgen und ein Leben in der Öffentlichkeit führen.", "Thronerben?", flüstere ich verängstigt. Der Blick der Königin verzerrt sich kurz vor Schreck, dann sieht sie mich sanft und liebevoll an. "Die Tradition besagt, dass in der Hochzeitsnacht der Thronfolger gezeugt wird. Aber bei dir ist das etwas anderes, mein Kind. Der Verlust eines Kindes ist schwer und deswegen gilt für dich eine Ausnahme. Kinder werden erst erwartet, wenn du dazu bereit bist. Niemand wird dich unter Druck setzen. Ich selbst habe auch einmal ein Kind verloren. Kurz nach Lucians Geburt bin ich noch einmal schwanger geworden und verlor es nach vier Monaten. Als ich dann plötzlich mit Collin schwanger war, bekam ich Angst. Collin war nicht geplant, ich wollte es nicht noch einmal riskieren, ein Kind zu verlieren. Ich wurde beinahe depressiv und der Arzt dachte daran, ob es nicht vielleicht besser wäre, das Baby zu entfernen. Ich hielt es auch für besser. Aber dann fing ich an, das Kind zu spüren und entschied mich dagegen. Ich wurde wieder glücklich, doch die Angst hatte mich bis zur Geburt begleitet. Das wünsche ich niemandem. Auch wenn dann die Tradition gebrochen wird, wird dich niemand zwingen so früh ein Kind zu empfangen." Ich sehe zu Lucian der bestätigend nickt. "Was sagst du? Könntest du dir vorstellen in meine Fußstapfen zutreten?" Ich schlucke schwer. "Ich habe Angst. Was wenn ich nicht gut darin bin? Ich bin ein Pferdemädchen. Eine Reiterin die bisher immer ihre Bestimmung darin gesehen hat, Pferde gut auszubilden. Wenn ich Königin bin, werde ich das nicht mehr tun können, oder?" Marlenes Mund verzieht sich zu einem Lächeln. "Du bist dann die Königin. Du kannst neben deinen Verpflichtungen alles tun was du willst. Ich reite übrigens auch sehr gerne." Sie zwinkert mir zu und nimmt sich einen Keks von dem kleinen Teller. Ich sehe Lucian unsicher an. "Das ist es doch, was wir beide wollten, nicht wahr? Zusammen sein können, ohne dass es verboten ist." Ich nicke. "Okay. Ich schaffe das.", flüstere und zucke, als die Königin erfreut in die Hände klatscht. "Sehr schön, ich werde ein paar Dinge vorbereiten. Und du, mein Sohn, wirst mit Eliza und ihren Eltern reden. Noch heute. Ihr Vater macht schon Ärger, weil du die offizielle Verlobung noch immer nicht durchgezogen hast." Königin Marlene steht auf und geht zur Tür. "Bis alles geklärt ist, haltet euch noch ein wenig bedeckt. Bitte." Sie öffnet die Tür und geht. Völlig überrumpelt sehe ich Lucian an. "Das kam überraschend.", murmelt er und kratzt sich am Hinterkopf. "Überraschend? Das war ein Überfall. Wie soll ich denn meinen Eltern erklären, dass ich bald heirate und Königin werde? Ich habe eben noch mit ihnen telefoniert und sie gefragt, was sie von dem Arbeotsvertrag halten. Und was wird dein Land davon halten? Ich bin doch nur ein Stallmädchen." Ich sinke tief in den Sessel und seufze. "Wir schaffen das, Lotti. Du und ich. Gemeinsam." Er hält mir seine Hand hin und ich ergreife sie widerwillig. "Na gut. Ich gehe jetzt reiten. Das war zu viel für mich heute." Ich stehe auf und schnappe mir meine Reithose. Als ich den Knopf meiner Jeans öffne, halte ich inne. "Dreh dich um." Lucian hebt die Augenbrauen. "Wenn du willst, dass ich dich heirate und hier bleibe, dann dreh dich jetzt um. Und wir werden enthaltsam leben. Bis zur Ehe.", "Ich glaub's nicht.", stöhnt er und legt den Kopf in den Nacken. Zufrieden ziehe ich meine Hose aus und schlüpfe in meine Reithose. "Begleitest du mich? Ich hätte Lust auf einen Ausritt.", "Ach, dich begleiten darf ich, ja?", lacht er und kommt zu mir. "Ja.", erwidere ich lächelnd. "Na gut, weil du es bist." Er küsst mich flüchtig auf die Lippen. "Wir treffen uns gleich draußen." Er geht raus und ich setze mich auf mein Bett. Was ist hier gerade passiert? Eben noch habe ich den Arbeitsvertrag unterschrieben und jetzt soll ich den zukünftigen König heiraten. Und er wird Eliza in den Wind schießen. Oh Gott die arme. Und das nur weil ich zurück gekommen bin.

Sei meine KöniginWhere stories live. Discover now