Kapitel 52

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Eine warme Hand berührte meine und hielt sie fest. Ich genoss das angenehme Gefühl. Doch viel zu schnell wurde ich zurück in die Realität katapultiert.

Ich hatte höllische Kopfschmerzen und mein Körper fühlte sich schwach an. Nicht ein einziges Körperteil ließ sich bewegen. Frustriert versuchte ich wenigstens meine Augen zu öffnen. Ich versagte.

Nur mein Tastsinn schien zu funktionieren. Mein Hals brannte beim Schlucken und es fühlte sich an als würden tausend Messer meine Kehle durchbohren.

Meine Hand wurde fester gedrückt, als würde sie jemanden vor dem Ertrinken bewahren. Plötzlich schossen mir meine letzten Erinnerungen in den Kopf. Wieso war ich nicht tot? Oder fühlte es sich so an, wenn man tot war?

Verwirrung machte sich in mir breit. Ich hatte überlebt. Gerne hätte ich gewusst, wo ich mich gerade befand. Doch das sollte vorerst noch ein Geheimnis bleiben. Ich spürte wie sich alles zu drehen begann. Im nächsten Moment wurde wieder alles schwarz.

Erneut erwachte ich. Doch dieses Mal durch das Geräusch von Stimmen. Ich konnte nichts verstehen. Dafür fühlten sich meine Augenlider nicht mehr so unendlich schwer an. Ich versuchte sie vorsichtig zu öffnen. Es gelang mir.

Blinzelnd versuchte ich mich an die grellen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Doch das waren nicht die Lichtquellen aus der Einrichtung. Das waren...nein, dass konnte nicht sein. Befand ich mich tatsächlich in einem Krankenhaus oder spielten mir meine Augen einen Streich?

Erneut spürte ich, wie meine Hand schützend um griffen wurde. „Gracie? Wie geht es dir?", hörte ich eine sanfte Stimme flüstern. Mein Herz begann vor Freude schneller zu schlagen. Ich versuchte etwas zu erwidern, doch ich brach kein Wort heraus.

Beruhigend drückte Valerian meine Hand. „Schon gut, du musst nichts sagen. Ich bin so froh, dass du noch lebst. Ich dachte-", seine Stimme brach, aber er überwand sich dazu den Satz zu Ende zu sprechen: „Ich hätte dich verloren."

Vorsichtig drehte ich meinen Kopf zu ihm. Es tat höllisch weh, aber schlussendlich lohnte es sich. Valerian saß auf einem Plastiksessel direkt neben meinem Bett. Seine Hand umklammerte meine. Er wirkte sehr müde.

Forschend bohrten sich seine schönen grauen Augen in meine. Valerian hatte große, dunkle Augenringe. Hatte er etwa nicht geschlafen? Wegen mir? Der Gedanke beflügelte mein Herz und es schlug schneller gegen meinen Brustkorb.

Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich lebte. Wie war das möglich?

Bemüht versuchte ich meine Stimme wiederzufinden. Nach einigen Anlaufversuchen bekam ich ein leises: „Valerian", heraus. Seine Augen begannen erfreut zu leuchten und ein sanftes Lächeln zierte seine Lippen.

„Was ist passiert?", flüsterte ich kraftlos. „Zu viel. Aber wenn du es wissen willst, dann werde ich es dir erzählen." Entschlossen wartete ich bis Valerian wieder zum Reden ansetzte.

„Dein Vater hat mich einen Tag nach unserem Gespräch panisch aus meinem Zimmer geholt. Ohne Umschweife hat er mir die Situation erklärt. Er hatte sich irgendwie aus der Manipulation deiner Großmutter gerissen. Dann sind wir die anderen Kinder suchen gegangen, also die, die uns deine Mutter vorgestellt hat. Zusammen haben wir dann den Operationssaal gestürmt. Blöderweise befand sich deine Oma nicht im Raum und sie haben mit der Transplantation bereits begonnen. Unsere einzige Hoffnung war, dass du durch ein Wunder überleben würdest. Wenigstens konnten wir zusammen die Agenten und Forscher im Schach halten. Gemeinsam setzten wir unsere Fähigkeiten gegen sie ein. Lucy geht's übrigens wieder gut. Sie hat sich gemeinsam mit meinem Vater und Amara zu deiner Großmutter teleportiert. Amara hat dann den Schatten befohlen deine Oma festzuhalten. Einstweilen haben wir versucht dich zu befreien. Doch es war zu spät. Die Umpflanzung war vollendet gewesen, als wir die Gegner besiegt hatten. Trotzdem haben wir dich nicht aufgegeben. Deine Mutter hat die ganze Zeit über geschaut, dass du am Leben bleibst. Als der Fremdkörper schließlich erfolgreich in seinem neuen Körper umgesiedelt war, warst du nur noch ganz schwach. Sofort hat Lucy dich mit mir in ein Krankenhaus teleportiert und in ärztliche Behandlung gegeben. Du wurdest umgehend auf die Notaufnahme gebracht und beatmet. Natürlich konnten Lucy und ich den Ärzten nichts erzählen. Trotzdem haben sie nach etlichen Stunden geschafft dich zu stabilisieren. Erst dann durften Lucy und ich dich endlich sehen", beendete Valerian seine Erzählung mit sanfter Stimme.

„Wie lange ist das her?", fragte ich mit zitternder Stimme. Valerian wendete sich von mir ab und fixierte einen Punkt auf der weißen Krankenhauswand.

„Zwei Tage. Ich weiß nicht, warum deine Eltern noch nicht hergekommen sind. Ich schätze sie müssen sicher gehen, dass deine Großmutter und Isabelle eingesperrt werden. Die Agenten und Wissenschaftler müssen wieder aus ihrer Manipulation geholt und nach Hause gebracht werden. Es gibt viel zu tun. Aber es geht ihnen gut. Ab und zu schaut Lucy bei deinen Eltern vorbei. So tauschen wir uns aus. Die von deiner Großmutter errichtete Einrichtung ist gestern gefallen. Deine Großmutter ist in einem speziellen Sicherheitsgefängnis weit weg von hier gebracht worden. Isabelle wird im Staatsgefängnis festgehalten. Die Wissenschaftler und Agenten durften zu ihren Familien zurückkehren. Immerhin standen sie unter dem Einfluss deiner Großmutter und waren eigentlich unschuldig. Als das Gebäude geleert war, fackelte es Alex ohne mit der Wimper zu zucken ab. Die ganze Anstalt war in wenigen Stunden abgebrannt. Lucy, Alex, Amara, Bruce und sein Bruder Adrian werden zusammen in eine WG in der Nähe von unserer Schule ziehen. Deine Eltern haben vor wieder mit dir zusammen zu ziehen. Natürlich nur wenn das für dich in Ordnung ist. Sie überlegen in das Haus deiner Großmutter einzuziehen, damit du weiterhin auf die selbe Schule wie ich gehen kannst. Aber sie akzeptieren auch, wenn du von allem hier weit weg kommen willst. Sie würden mit dir auch das Land verlassen", berichtete mir Valerian nachdenklich.

In seinem letzten Satz hörte ich deutlich den traurigen Unterton seiner Worte heraus. Er wollte nicht, dass ich von hier wegzog. Doch da brauchte sich Valerian keine Sorgen zu machen, da ich auch nicht wegziehen wollte.

„Nein, schon in Ordnung. Ich komme damit klar wieder ins alte Haus meiner Großmutter einzuziehen. Das macht mir nichts aus", sagte ich und musste erfreut feststellen, dass meine Stimme zurückgekehrt war.

Jetzt würde alles wieder gut werden. Ich würde Alec, Denis und Florian wieder sehen. Ich würde wieder auf die Schule gehen können. Was wohl aus Emily und ihrem Vater geworden war.

Wie würde ihr Leben ohne Isabelle aussehen? Würde ich Emily je wiedersehen? Ich mochte sie. Wir waren immer noch Freunde. Außerdem wusste Emily nie über die Absichten ihrer Mutter Bescheid.

Doch eine Sache wollte ich noch wissen. Ich wusste aber nicht, ob ich damit die ruhige Stimmung zerstören würde. Trotzdem wagte ich es, Valerian die Frage zu stellen. „Valerian? Wieso sind wir damals in die Stadt gefahren, um deiner Mutter ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen?"

Ich vermied es Valerian direkt anzusehen. Ich wusste, dass das ein Wunderpunkt war. Trotzdem konnte ich mir darauf keine Antwort zusammenreimen. Valerian klammerte sich fester an meine Hand.

Dann seufzte er und antwortete: „Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens wollte ich den Tod meiner Mutter und meines Bruders nicht wahrhaben. Durch diese normalerweise alljährliche Geschenkkauferei hatte ich das Gefühl, wenn ich das dieses Jahr auch machte, dass sie noch leben. Zweitens wollte ich dich näher kennen lernen, aber wusste nicht wie."

Seine Wangen färbten sich in einem leichten Rotton. Ein trauriges Lächeln zierte sein Gesicht. Ich umklammerte fester seine Hand, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da war.

Ganz egal was uns jetzt noch in den Weg gelegt wird. Hoffnungsvoll hob Valerian seinen Kopf und starrte mir tief in die Augen. Tonlos starrten wir uns für eine gefühlte Ewigkeit an.

Doch es mussten nur Sekunden gewesen sein, in denen die Zeit still stand. Im nächsten Augenblick wurde die Zimmertür aufgerissen und meine Eltern kamen herein gestürmt.

Liebevoll schlossen sie mich in die Arme. Erfreut erwiderte ich ihre Geste. Sie wollten mich von Anfang an nur beschützen. Ich war bereit meinen Eltern all ihre Fehler zu verzeihen und mit ihnen ein neues Leben aufzubauen. Ich war bereit meine Vergangenheit ruhen zu lassen und einen Neustart zu wagen. Zusammen mit meinen Eltern und Valerian.

Ich war bereit los zu lassen.

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