Kapitel 30

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„Wir haben gute Neuigkeiten. Die Ärzte haben beschlossen, dass du entlassen werden kannst. Deine Eltern warten bereits vor dem Krankenhaus auf dich. Sie wollten nicht mit hinauf kommen, weshalb sie mir sagten, ich solle dich zu ihnen bringen", weckte mich eine Stimme neben meinem Bett.

„Meine Eltern?", stieß ich erschrocken aus und setzte mich kerzengrade auf. Durch meine schnelle Bewegung erschreckte sich die Krankenschwester wobei sie einen erstickten Schrei ausstieß. Spätestens jetzt war ich hellwach und begann ihre Worte zu realisieren.

„Wo ist Valerian?", fragte ich plötzlich und schaute auf den leeren Sessel neben dem Krankenhausbett. Schwer atmend versuchte ich mich zu beruhigen. Meine Eltern warteten unten auf mich, Valerian war weg und ich hatte keine Erinnerungen an den gestrigen Vorfall.

Ich wusste nicht was ich glauben sollte. Hatte Isabelle die Wahrheit gesagt und ich hatte eine Mitschülerin ermordet oder stimmten Valerians Worte? Beide hatten keine guten Gründe mich zu belügen.

„Wer?", fragte die Krankenschwester verwirrt nach. Anscheinend hatte sie Valerian nicht gesehen. Hatte ich mir vielleicht die gestrige Nacht nur eingebildet? War er gar nicht hier gewesen? Hatte ich mit mir selbst gesprochen und das alles war nur eine Illusion gewesen?

Ebenfalls verwirrt blickte ich die schweigende Frau an und fragte dann: „Könnten Sie mir bitte noch einmal die gestrigen Geschehnisse schildern? Ich bin mir nicht mehr sicher, was passiert ist."

Nun änderte sich ihr verwirrter Gesichtsausdruck in einen verständnisvollen Blick. „Keine Sorge, Erinnerungslücken sind ganz normal. Du hattest gestern in der Schule einen Nervenzusammenbruch. Lehrer haben dich zu beruhigen versucht, aber du hast weiter geschrien und gezittert, weshalb die Rettung alarmiert wurde. Unglücklicherweise wurdest du in dem ganzen durcheinander angeschossen. Wie das passieren konnte, ist bis jetzt unklar", erzählte die Krankenschwester besorgt.

„Ich habe also keine Mitschülerin getötet?", fragte ich mit zitternder Stimme nach. Ich musste den Eindringling unbedingt los werden. Das Ding war eine Plage. Ich konnte nicht durchgehend meine Mitmenschen aufs Spiel setzen, nur weil ich zu schwach war, den Fremden zu kontrollieren.

Das Ding wurde stärker und ich spürte ebenfalls deutlich, dass der Eindringling in mir wuchs. Irgendwann würde der Fremdkörper stark genug sein, um meinen Körper für immer in Besitz zu nehmen. An das, was dann mit meinem Bewusstsein passieren würde, wollte ich gar nicht erst denken. Eine unbeschreibliche Angst kochte in mir auf. Ich würde nichts gegen den Fremden tun können. Ich war hilflos ausgeliefert.

„Nein, wie kommst du darauf?", sagte die Angestellte schockiert über meine Frage. „Eine Bekannte war mich gestern besuchen und hat mir das erzählt", berichtete ich nachdenklich. „Vielleicht hat sie falsche Informationen erhalten. Mach dir keine Sorgen, du hast niemanden verletzt oder gar getötet. Du hattest einen Anfall, der mit einem Unfall geendet ist." Ich nickte überfordert. Ich konnte das alles noch nicht begreifen. Wieso hatte mich Isabelle angelogen?

„Hast du noch starke Schmerzen?", fragte die Krankenschwester besorgt nach. Angestrengt versuchte ich in mich hinein zu hören. Doch ich konnte lediglich ein leichtes Ziehen in der Bauchgegend ausfindig machen. Also schüttelte ich irritiert den Kopf.

„Das ist gut, du hast auch recht starke Medikamente gegen die Schmerzen bekommen. Aber das es gar nicht schmerzt ist ungewöhnlich", stellte die Krankenschwester überrascht fest.

„Ist die Wunde tief? Also wurde etwas Lebensgefährliches verletzt?", hakte ich mittlerweile etwas genervt nach, weil die junge Frau sich alle Informationen aus der Nase ziehen ließ.

„Nein zum Glück nicht. Es war nur eine Streifwunde. Am Bauch. Du hast trotzdem viel Blut verloren. Es ist ein Wunder, dass du schon so fit bist und keine Schmerzen spürst. Das ist unglaublich", bemerkte die Angestelltin staunen.

War es möglich, dass der Sanitäter, der mich angeschossen hatte, zu dem Personal meines Vaters gehörte und genau das sein Plan war? Ich würde ins Krankenhaus geführt werden wodurch meine Eltern spielend leicht meine Position ermitteln und mich abholen konnten.

Erst jetzt kam ich auf den Gedanken meine Schusswunde zu untersuchen. Vorsichtig tastete ich nach meinem Bauch. Ich spürte den Verband, welcher fest um meinen Körper geschlungen war. Wie konnte mir der Druck des Verbands vorher nicht aufgefallen sein? Sorgfältig tastete ich ihn ab und suchte die Wunde.

Ein plötzlicher Schmerz durchflutete meinen Körper. Meine rechte Seite tat leicht weh, als ich sie berührte. Wie konnte mir das vorher einfach nicht aufgefallen sein? Verwirrt sah ich die Krankenschwester an, welche mit ähnlichem Blick zurück schaute.

„Wenn das jetzt geklärt ist, dann werde ich dich jetzt zu deinen Eltern begleiten. Sie warten schon viel zu lange auf dich", wechselte die Frau das Thema und deutete mir aufzustehen. Doch ich blieb reglos im Bett sitzen.

Ich wollte nicht zu meinen Eltern. Nicht nochmal wollte ich in Gefangenschaft kommen. Warum war ich nur so unvorsichtig gewesen? Ich hätte erst gar nicht in die Schule gehen sollen, aber dann hätte meine Oma Verdacht geschöpft.

Der plötzliche Gedanke an meine Großmutter schien das letzte Stückchen Hoffnung, auf eine gelingende Flucht, verschwinden zu lassen. Ich konnte nicht für immer vor meinen Eltern davon laufen. Früher oder später hätten sie mich doch gefunden.

Vielleicht war der Tag gekommen, an dem ich nicht weiter Verstecken spielen konnte. Die Sucher hätten mich früher oder später sowieso in die Finger bekommen. So ist es mit Spielen. Am Ende gibt es einen Gewinner und einen Verlierer. Die Rolle, die ich einnehmen würde, war mehr als offensichtlich. Doch wie lange konnte ich den Sieg meiner Eltern noch hinauszögern?

War die Zeit gekommen das Schlachtfeld mit erhobenen Händen zu verlassen oder sollte ich durchhalten und weiter kämpfen? Tief im Inneren meines Herzens wusste ich wofür ich mich entscheiden würde. Ich musste mich nur noch damit abfinden. Erst dann wäre alles entschieden.

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