Kapitel 6

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Den restlichen Samstag und den ganzen Sonntag verbrachte ich zusammengekauert in meinem Bett. Einmal hatte ich mein Zimmer verlassen, um etwas zu essen.

Meiner Großmutter war ich dabei zum Glück nicht begegnet. Alles was ich brauchte war Zeit, um die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten.

Meine Oma ignorierte ich mit schlechtem Gewissen, wenn sie an meiner Zimmertür klopfte. Doch gerade brachte ich es nicht übers Herz mit ihr zu reden oder ihr in die Augen zu schauen.

Meine Großmutter hatte mir des Öfteren verzweifelt gedroht die Zimmertür aufzubrechen, wenn ich nicht sofort herauskommen würde. Aber nichts dergleichen passierte. Sie ließ mich in Ruhe. Vermutlich in der Hoffnung ich würde von selbst wieder zu Verstand kommen.

Montag Morgen verließ ich wie gewohnt mein Zimmer. Fast so, als wäre Freitag nichts gewesen. Im Nachhinein fühlte ich mich schuldig meine Oma so lange ignoriert zu haben. Im Grunde wollte sie mir nur helfen. Zusätzlich entschied ich mich meine Brille auch Zuhause zu tragen. So fühlte ich mich wohler.

Mein Herz schmerzte, als ich die besorgten sowie verweinten Augen meiner Großmutter wahrnahm. Natürlich war ich der Grund für ihre Sorgen gewesen. Wieder wurde mir mein verdorbenes, egoistisches Verhalten bewusst. Vielleicht hatten meine Eltern Jahre lang recht behalten und ich war wirklich eine Zumutung für die Menschheit.

Sollte ich der Bitte meiner Verfolger nachgehen und zurück in mein altes Leben kehren? Schlussendlich war ich doch nur eine Gefahr für meine Mitmenschen und vor allem für die Menschen, die mir etwas Bedeuten. Dazu gehörte auch meine Oma. Ich gefährdete ihr Leben. Mir das einzugestehen tat weh. Sehr weh.

„Es tut mir leid, ich hätte nicht so streng zu dir sein sollen. Ich mache mir nur solche Sorgen um dich," entschuldigte sich meine Großmutter traurig. „Nein, ich bin diejenige, die sich entschuldigen muss. Ich weiß jetzt, dass ich mich falsch verhalten habe und ich möchte das wieder gut machen. Ich möchte mich dir anvertrauen. Doch dafür brauche ich noch etwas Zeit." Sie nickte und ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

>>><<<

Der Weg zur Schule verging gefühlt schneller als sonst. Ich stieg aus dem Schulbus aus, richtete meine Brille und warf mir die Kapuze, meiner immer noch zu dünnen Jacke, über. Mit langsamen Schritten steuerte ich auf das Schulgebäude zu.

Es war groß, hellgrau und hatte viele Fenster, sodass die ersten morgendlichen Sonnenstrahlen ungehindert das riesige Gebäude durchfluten konnten. In meiner Klasse angekommen, packte ich meine Materialien aus. Wir hatten jetzt Biologie.

Suchend sah ich mich nach Valerian um. Doch von ihm war keine Spur. Schade, ich hätte mich gerne schon vor der ersten Stunde bei ihm entschuldigt. Noch dazu würden wir heute unser Referat halten müssen.

Kurz vor dem Läuten betrat Valerian mit seinen drei Freunden das Zimmer. Ich drehte mich um und lächelte ihm entschuldigend und äußerst unsicher an. Er bemerkte dies und nickte mir nur kurz, mit verletzten Gesichtsausdruck, zu. Dann setzte er sich mit seinen Freunden in die zweite Reihe.

Ich hatte unsere entstehende Freundschaft zerstört. Verdammt nochmal. Andererseits konnte ich Valerian wirklich verstehen. Mein Verhalten ihm gegenüber war am Freitag sehr kühl und abweisend gewesen. Er hatte jeglichen Grund dazu mich zu hassen.

Meine Großmutter war nicht gerade freundlich zu ihm gewesen und ich wollte ihm nichts erzählen oder gar erklären. Unbewusst hatte ich Valerian schon längst in mein Herz geschlossen. Ich kannte ihn zwar erst seit kurzer Zeit, aber insgeheim hatte ich ihn schon nachdem ersten Tag als neuen Verbündeten gesehen.

Was waren wir jetzt? Noch Freunde? Bekannte? Oder nicht mehr als Klassenkameraden? Gedankenverloren quälte ich mich durch die Stunde. Immer wieder hatte ich hinüber zu Valerian geschielt, doch der schien sich prächtig ohne mich unterhalten zu können.

Nach Unterrichtsende machte ich mich auf den Weg zu meinem Spind. Mit einem leisen Quietschen ließ er sich problemlos öffnen. Mein Tag schien von Sekunde zu Sekunde schlechter zu werden und meine Laune stieg ebenfalls immer mehr in den Keller.

Ich hatte die nächste Stunde Geschichte und da würde ich auch das Referat mit Valerian halten müssen. Blöderweise war dieser wütend auf mich und wollte nicht mit mir reden. Das waren wirklich super Voraussetzungen für eine Partnerpräsentation.

Genervt schlug ich die Spindtür zu und erntete dafür die Aufmerksamkeit der in der Nähe stehenden Schüler. Langsam begab ich mich Richtung Klasse. Vielleicht hatte ich Glück und Valerian war wieder auf seinem Platz. Doch meine Hoffnung verflüchtigte sich schnell in der sich anbahnenden Panik. Wie sollten Valerian und ich gemeinsam ein Referat halten, wenn wir nicht einmal miteinander redeten?

„Entschuldigung, bist du Gracie Spring?", riss mich eine unbekannte, tiefe Stimme aus den Gedanken. Hastig drehte ich mich um. Meine Augen weiteten sich angsterfüllt, als ich einen Mann in Anzug vor mir vorfand. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich schluckte schwer. Vorsichtig riskierte ich ein kurzes, zustimmendes Nicken.

„Gut. Ich wurde von deinen Eltern geschickt, um dir eine Nachricht zu überbringen", fuhr er monoton fort. Die Augen des Mannes wirkten leer und gefühllos. Ausdruckslos bohrten sich die Augen des Fremden in meine. „Fahren Sie fort", gab ich mit zitternder Stimme von mir. Er nickte bestätigend.

„Deine Eltern geben dir drei Tage, um dich von den für dich wichtigen Menschen zu verabschieden und dir freiwillig die Rückkehr zu ermöglichen. Falls du der Bitte deiner Eltern nicht nachgehst, wird das unschöne Konsequenzen nach sich ziehen. Hast du verstanden?" Verunsichert nickte ich schnell und musste mit den Tränen kämpfen.

In drei Tagen würde meine schwer erkämpfte Freiheit enden, aber dieses Mal für immer. Kurz schaute ich mich nach dem Mann um, doch er war bereits verschwunden. Mein Herz wurde immer schwerer und ein undefinierbarer Schmerz durchzuckte meinen Körper.

Im selben Moment verlor ich das Gleichgewicht und stolperte gegen eine der vier Klassenzimmerwänden. Kraftlos sank ich auf den Boden. Ich kauerte mich zusammen und hoffte auf eine Lösung. Doch meine Situation schien aussichtslos, weshalb ich ohne es verhindern zu können, leise zu schluchzen begann.

Die wenigen Schüler, die sich während des Geschehens in der Klasse befanden, waren erstarrt. Dann läutete die Schulglocke und ich hörte, wie weitere Schüler das Klassenzimmer betraten.

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