Kapitel 34

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„Wer ist der Junge?", schrie mein Vater mittlerweile ungezügelt durch das Mikrofon. Die Wissenschaftler hatten nach einiger Zeit aufgegeben ihren Vorgesetzten zu beruhigen.

Die höllischen Schmerzen, welche meinen gesamten Körper durchfluteten, waren so stark, dass sich alles in mir drehte und ich langsam die Orientierung verlor. Trotzdem würde ich lieber sterben als nachzugeben. Für nichts in der Welt würde ich Valerian verraten. „Er ist niemand", nuschelte ich unter schmerzverzerrtem Gesicht. Würden meine Leiden jemals enden?

„In Ordnung, wenn ich es so nicht aus dir heraus bekomme, dann wohl gar nicht. Ich hatte gehofft, ich könnte dich zur Vernunft bringen. Da das nicht der Fall ist, werde ich es dir wohl so sagen müssen. Wir wissen natürlich ganz genau wer der Junge im Krankenhaus war. Du redest im Schlaf. Hat dir das schon mal jemand gesagt?", erdröhnte höhnisch die Stimme meines Vaters. Fassungslos starrte ich ihn an.

„Das war nur ein kleiner Scherz am Rande. Er befindet sich schon längst in unserer Obhut", drangen erneut die unwirklich klingenden Worte in mein Ohr. Das war nicht möglich. Mein Vater hatte Valerian schon längst in die Einrichtung geholt?

Jedes bisschen Hoffnung wich aus meinem Gesicht und ich wurde noch blasser, wenn das überhaupt noch möglich war. Ich hörte auf mich gegen die Schmerzen zu wehren und meine Muskeln erschlafften augenblicklich. Alles wofür ich gekämpft hatte war umsonst gewesen. Selbst der aller letzte Hoffnungsschimmer verblasste und ich senkte getroffen meinen Kopf. Ich hatte schlussendlich doch sein Leben zerstört. Ihm würde es von nun an so ergehen wie mir.

„Er heißt Valerian, stimmt's?", hörte ich die wissenden Worte meines Vaters aus weiter Ferne. Dass mein Vater seinen Name kannte, traf mich härter als jeder Stein es könnte. Was hatte ich nur getan? Ich hatte Valerians Leben zerstört und das würde ich mir womöglich nie verzeihen können.

Ich reagierte nicht auf die rhetorische Frage meines Vaters, aber warum sollte ich auch? Es gab keinen Grund dafür. Aus unerklärlichen Gründen breitete sich eine Welle von Schmerzen in meinen Kopf aus und mir wurde einige Sekunden schwarz vor Augen. Benommen blinzelte ich und konnte langsam meine Umgebung wieder ausfindig machen. Was auch immer gerade passiert war, sollte nicht passieren.

Verwirrt zerrte ich an den Fesseln, welche sich schon tief in mein Fleisch geschnitten hatten. An manchen Stellen tropfe frisches Blut aus den, durch die Reibung verursachten, Wunden. Die Blutung war weder stark noch brannte eine der offenen Stellen. Trotzdem löste die rote Flüssigkeit ein ungutes Gefühl in mir aus. Plötzlich schoss mir der Gedanke an meine verschollene Großmutter in den Kopf.

„Wo ist Oma? Geht es ihr gut?", fragte ich schwach und voller Sorge in meiner zittrigen, dünnen Stimme. Aus dem Nichts hatten sich schmerzhafte Kopfschmerzen gebildet. Alles begann sich zu drehen. Meine Gedanken schweiften abwechselnd zu Valerian und dann wieder zu Oma. Keine Minute länger konnte ich einen klaren Gedanken fassen. Ich hatte nicht nur mein Leben zerstört. Durch meine Flucht hatte ich mindestens zwei weitere Personen hineingezogen. Valerian und Oma.

Ohne die Antwort auf meine Frage mitzubekommen driftete ich aus Erschöpfung in einen trostlosen Traum. Die Müdigkeit und Kraftlosigkeit hatte mich schlussendlich doch übermannt und in die dunklen, unbekannten Tiefen gerissen, wo ich hoffte etwas Trost und Energie zu finden.

Als ich wieder zu Bewusstsein kam saß ich weder in „meinem" Zimmer noch in dem leeren Betonraum. Ich lag in einem unbekannten Bett an einem unbekannten Ort. Ich wusste nicht wie ich hierhergekommen war. Es sah aus wie eine Krankenstation. Langsam kamen die düsteren Erinnerungen an diesen riesigen Raum zurück.

Ich war bewusst nur selten hier, dieser Teil des Gebäudes galt nur der Untersuchung des Eindringlings. Bevor mein Körper in diese Räume gebracht wurde, hat der Fremde den Körper übernommen und ich hatte mich einstweilen in der hintersten Ecke meines Bewusstseins um meinen körperlichen Zustand gesorgt.

Doch gerade kontrollierte ich unseren Körper und nicht das Ding. Vielleicht akzeptierte das Wesen unser gemeinsames Schicksal und kooperierte wieder mit mir. Tief im Inneren spürte ich die Zustimmung des Eindringlings. In einem waren wir uns also einig, wir mussten meinem Vater und seine Gefolgschaft stürzen, damit nicht weitere Kinder mit außergewöhnlichen Fähigkeiten leiden mussten.

Andererseits konnte mein Dasein in diesem riesigen Raum nur eines bedeuten, ich hatte unbewusst meinen Körper an das Ding weitergegeben. Vermutlich hatte der Eindringling für einen Kurzschluss gesorgt, denn mir wurde schwindlig und im nächsten Moment war ich schon bewusstlos gewesen.

Diese Erkenntnis brachte mich auf neue, zuerst nicht durchdachte Gedanken. Wenn das Wesen für immer meinen Körper übernehmen würde, würde ich dann sterben? Dann wäre ich überflüssig. Warum sollte der Eindringling meinen Verstand überleben lassen?

Das Wesen in mir rumorte erneut. Es wollte mir mitteilen, dass es so etwas nie tun würde und wir doch jetzt Freunde seien. Ein Team, dass zusammen spielte um zu überleben. Doch es war klar, dass das Ding unter normalen Umständen nie auf die Idee gekommen wäre mit mir zu kommunizieren und zu kooperieren.

Dies alles geschah nur, weil wir wieder in einer lebensgefährlichen Situation gelandet waren. Nur deshalb. Sonst hätte der Fremde doch schon längst viel mehr gegen mich unternommen. Aber der Eindringling brauchte mich und ich brauchte den Fremden. Auch wenn es nur daher rührte, dass ich ohne das Ding nicht allein war.

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