Kapitel 13

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Valerians Freunde waren sehr nett gewesen. Sie schienen mich laut Valerian auch zu mögen. Trotzdem wollte ich nicht in ihren Freundeskreis eindringen. Das war einfach zu gefährlich und ich wollte niemanden in Gefahr bringen.

Manchmal tat es weh, auf Dinge verzichten zu müssen, um andere zu schützen. Aber jeder musste in seinem Leben seine eigenen ganz persönlichen Opfer bringen. Inklusive mir.

Es war draußen schon stockdunkel und wir saßen immer noch in diesem kleinen Restaurant und redeten. Langsam wurde es Zeit für mich zu gehen. Meine Oma machte sich bestimmt schon Sorgen um mich. Außerdem wollte ich sie in der Nacht nicht alleine lassen. Immerhin waren meiner Eltern noch irgendwo da draußen. Woher sollte ich wissen, was sie als nächstes planten?

Also bedankte ich mich für den schönen Abend bei den vier Jungen. Dann verabschiedete ich mich noch einzeln von Florian, Denis und Alec mit einem freundlichen, ehrlichen Lächeln. Valerian hingegen umarmte ich kurz und wünschte ihm eine gute Nacht.

Auf die Frage ob er mich nach Hause begleiten sollte, schüttelte ich lediglich den Kopf und sagte: „Nein danke. Ich schaffe das schon, so weit ist es ja nicht." Guter Dinge verließ ich das Lokal und die kühle Nachtluft schlug mir erneut gegen das Gesicht. Dieses Mal fror ich nicht, da es aus unerklärlichen Gründen wärmer geworden war.

Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen wollte ich die Haustür aufsperren. Doch schockiert musste ich feststellen, dass sie bereits geöffnet worden war. Nicht gewalttätig, aber dennoch stand die Tür einen Spalt breit offen.

Jegliche Farbe wich aus meinem Gesicht und meine Gedanken kreisten unermüdlich um das Wohlbefinden meiner Großmutter. Ohne über die Konsequenzen meines lauten Verhaltens nachzudenken, stürztet ich ins Haus und schrie verzweifelt nach meiner Oma. Ich stellte suchend das ganze Haus auf den Kopf, doch es fehlte jegliche Spur von ihr.

Schlussendlich schaute ich noch in der Küche nach und erstarrte als ich das Licht anknipste. Im schwachen Schein der Küchenlampe saß der alte Mann ruhig auf einem der Sessel. Es war derselbe Mann wie zuvor im Lokal, im Bus und in der Bibliothek.

Ich erstarrte angsterfüllt. Was hatte er meiner Großmutter angetan und was würde er nun mit mir machen? Lange starrte ich ihn sprachlos vor Ungewissheit an. Seine grauen, zerzausten Haare standen ihm windschief vom Kopf ab. Seine trüben, grauen Augen musterten mich nachdenklich.

Ein Zittern erschütterte meinen Körper und ich löste mich langsam wieder aus meiner Schockstarre, um in eine andere Richtung zu blicken. Kurzfristig kam mir der Gedanke, dass ich mir das Szenario gerade einbildete, doch ein erneuter Blick auf den immer noch dasitzenden Mann widerlegte meine These. Also hatten mir meine Augen keinen Streich gespielt.

„Was wollen Sie hier? Und was haben Sie meiner Großmutter angetan?", fragte ich den Alten mit überraschend fester Stimme. „Ganz ruhig, Kleine. Ich kann alles erklären", erwiderte der Pensionist gelassen. Sein Blick war neutral und auf mich gerichtet, was ihn undurchschaubar wirken ließ.

Abwartend sah ich ihn an und verschränkte meine Hände vor der Brust. „Warum verfolgen Sie mich?", funkelte ich den Mann böse an, da er mir immer noch keine Erklärung geliefert hatte.

„Deine Großmutter wollte das so. Sie wollte, dass ich dich im Auge behalte. Du musst wissen, dass deine Großmutter und ich vor langer Zeit sehr gut befreundet waren", erklärte mir der ältere Herr sachlich.

Meine Augen weiteten sich schockiert. Meine Oma wollte, dass mich jemand beschattet? Meine Oma vertraute mir nicht. Das nur allzu bekannte Schwindelgefühl setzte wieder ein.

Alles begann sich zu drehen und ich sah tanzende, schwarze Punkte vor meinem Inneren Auge kreisen. Meine Sicht verschwamm vollkommen und ich fiel in ein tiefes Loch voller Schmerz und Verzweiflung.

Schweißgebadet wachte ich auf. Panisch schaute ich mich im dunklen Raum um. Dann bemerkte ich erleichtert, dass ich in meinem Bett lag. Erschöpft setzte ich mich auf und hoffte, dass alles nur ein harmloser Traum gewesen war. Der alte Mann war nichts weiter als ein Albtraum gewesen und meine Oma war nicht verschwunden.

Warum hatte mein Wecker nicht geläutet, schoss mir plötzlich die Frage in den Sinn. Mein Blick wanderte zu den Vorhängen, hinter denen sich die pechschwarze Nacht eingenistet hatte. Also hatte ich wenigstens nicht verschlafen.

Müde mühte ich mich aus meinem Bett und ergriff den Wecker, welcher unmittelbar neben meinem Bett, auf einem kleinen Nachtkästchen, stand. Der große Zeiger des Geräts schleppte sich gerade mühsam auf die kleine Neun. Und ich begriff, dass es erst 5:45 Uhr war.

Ich war um fast eine Stunde vor dem Läuten aufgewacht. Trotzdem wollte ich nicht mehr weiterschlafen. Ich musste mir unbedingt versichern, dass gestern Abend kein alter Mann in meiner Küche gesessen hatte.

Verwirrt betrat ich fertig angezogen die Küche. Müde schenkte ich der Person, welche Zeitung lesend am Tisch saß, ein gemurmeltes: „Guten Morgen."

Doch anstelle des bekannten Gesichts meiner Oma, erblickten mich die kalten, leeren Augen des alten Mannes. Er legte die Zeitung ordentlich gefaltet auf den Tisch ohne mich aus den Augen zu lassen.

War er etwa über die Nacht hinweg hier im Haus meiner Großmutter geblieben? Und wo war eigentlich meine Oma? Ich machte mir große Sorgen um sie.

Normalerweise meldete sich meine Großmutter bei mir, wenn sie für längere Zeit außer Haus blieb. Doch das hatte sie nicht. Seit gestern Morgen hatte ich nichts mehr von ihr gehört und diese Tatsache beunruhigte mich ungemein.

„Wo ist meine Oma?", hörte ich mich mit dünner, verzweifelter Stimme fragen. Für einen kurzen Moment sah ich in seinen Augen eine Art von Besorgnis, welche so schnell wieder weg war, dass es vielleicht auch nur reine Einbildung gewesen war.

„Sie ist bei deinen Eltern", sagte der Mann ohne jeglichen Anflug einer Emotion. Meine Augen weiteten sich und ich spürte wie meinem Körper jegliche Wärme und Hoffnung entzogen wurde.

Was wollte meine Großmutter bei meinen Eltern? Gehörte sie schon längst zu ihnen oder wollte sie endlich über den wahren Grund meiner Flucht Bescheid wissen? Diese simple Antwort überrollte mich, wie ein großer Stein und ließ eine eigenartige Kälte zurück.

Ohne zu wissen was ich überhaupt tat, verließ ich das Haus und fuhr mit dem Bus zur Schule. Ich war eine geschlagene Stunde zu früh dort, aber alles war besser als eine weitere Sekunde in diesem Haus voller Lügen und Verrat.

Gedankenverloren setzte ich mich auf eine der Bänke, welche geordnet vor der Schule standen und wartete auf den Einlass. Eine halbe Stunde später kam der Hausmeister und sperrte das große Gebäude auf. Er warf mir einen undefinierbaren Blick zu und betrat die Schule, ohne mich mit einer Frage zu belästigen.

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