Kapitel 7

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Die Gespräche der Schüler, welche gerade die Klasse betreten hatten, verstummten augenblicklich, als sie mich weinend am Boden vorfanden.

Unschlüssig blieb die Truppe vor mir stehen und begann leise zu diskutierten. Ich konnte nur vereinzelt Wortfetzen aufschnappen.

Vermutlich versuchten sie herauszufinden, warum ich wie ein Häufchen Elend, am Boden saß und mit den Tränen kämpfte. Mein Weinen ist zu einem leisen Schluchzen übergegangen.

Ich hörte wie immer mehr Schüler das Klassenzimmer betraten und mich verwirrt musterten.

Die überforderten Blicke beunruhigen mich und ich begann vor Unbehagen zu zittern. Nach einer halben Ewigkeit des Schweigens, welches niemand wagte zu durchbrechen, betrat unser Geschichtslehrer endlich den Raum. Er sah ebenso verwirrt wie die umstehenden Schüler aus.

Konzentriert und mit starren Augen suchte er im Raum nach dem Grund, der für die Unruhe verantwortlich war. Plötzlich fiel sein Blick auf mich. Langsam bahnte er sich einen Weg zu mir und hockte sich neben mich auf den Boden.

„Hey Gracie, was ist los? Hat dir jemand weh getan?", befragte mich mein Geschichtslehrer behutsam.

Ich wischte mir schniefend die Tränen aus dem Gesicht und hob meinen Kopf etwas, um Blickkontakt mit meinem Lehrer aufbauen zu können.

„Geht schon", stotterte ich leise und unterdrückte die erneut aufkommende Welle an Tränen und Angst.

„Komm, ich begleite dich nach draußen. Und der Rest der Klasse setzt sich auf ihre Plätze und wartet auf meine Rückkehr, verstanden?", befahl er den Schülern und half mir vorsichtig auf die Beine, um mich dann anschließend aus der Klasse und dann in den Schulhof zu begleiten.

Draußen angekommen schnappte ich erschöpft nach Luft und ließ mich auf eine nahegelegene Holzbank niederfallen. „Am besten ruhst du dich aus und rufst deine Eltern an. Sie sollen dich umgehend abholen kommen. Ich werde dich im Sekretariat entschuldigen. „Okay?"

Müde runzelte ich die Stirn. Meine Oma war heute nicht Zuhause, weil sie eine Freundin besuchte und ansonsten hatte ich niemanden an den ich mich wenden konnte. Kaum hatte ich meinen Gedankengang zu Ende gedacht, überrollte mich das Gefühl der Hilflosigkeit und Einsamkeit.

Erneut schimmerten Tränen in meinen Augen. Ich versuchte mich zusammenzureißen, da ich meinem Geschichtslehrer immer noch eine Antwort schuldig war. Tief atmete ich durch und schniefte traurig: „Niemand ist bei mir Zuhause oder kann mich abholen."

Der Lehrer seufzte frustriert auf: „Und was machen wir jetzt mit dir?" Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, als ich von einer bekannten Stimme unterbrochen wurde. „Ich kann Gracie zu sich nach Hause begleiten und mich um sie kümmern. Ich weiß auch wo sie wohnt."

„Valerian?", kam sein Name überrascht aus meinem Mund. Was machte er hier? Schüchtern lächelte mich Valerian an und wendete sich wieder dem Lehrer zu, welcher angestrengt zu überlegen schien. „Bitte", flehte Valerian ihn an.

Der Geschichtslehrer warf mir einen fragenden Blick zu. Ich nickte unserem Lehrer zustimmend zu. „Na gut, ausnahmsweise", erlaubte es uns unser Geschichtslehrer und ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Ich war vielleicht doch nicht so allein, wie ich gedacht hatte.

Der Lehrer warf uns einen letzten besorgten sowie gleichzeitig warnenden Blick zu. Im nächsten Moment war er schon auf den Weg zurück ins Schulgebäude.

Nun setzte Valerian zum Sprechen an: „Na komm, jetzt geht's erstmal zu dir nachhause. Vielleicht möchtest du mir dann auch erzählen was passiert ist."

Ich schaute ihn mit großen Augen an und fragte schuldbewusst: „Bist du noch sehr böse auf mich?"

„Ich war nie böse auf dich. Ich war lediglich enttäuscht darüber, wie wenig du mir vertraust. Andererseits verstehe ich dich auch, da wir uns noch nicht so lange kennen", erklärte Valerian mit verständnisvollen Gesichtsausdruck.

Mittlerweile waren meine Tränen versickert und wir machten uns zu Fuß auf den Weg zu dem Haus meiner Oma. Ich wusste, dass es eine gute halbe Stunde dauerte bis wir ankommen würden, aber da um diese Zeit noch kein Schulbus fuhr, blieb uns keine andere Wahl als zu gehen.

Früher als gedacht kamen wir bei dem kleinen Haus meiner Oma an. Wieder mal wurde mir bewusst, dass das Grundstück den Benachbarten bis auf die Hausnummer glich. Jedes hatte einen kleinen Blumengarten vor dem Haus durch welchen sich ein Steinpfad von der Straße bis zur Haustür schlängelte.

Der weiße Holzzaun strahlte majestätisch im Sonnenlicht und nirgends schien die Farbe durch die unterschiedlichen Wetterbedingungen beschädigt zu sein. Würden am unteren Teil des Zauns keine Erdspritzer aufblitzen, hätte man glauben können, dass die Umzäunung gerade erst frisch gestrichen wurde. Ob die benachbarten Häuser genauso gepflegt von innen wie das meiner Oma aussahen, wusste ich nicht.

„Meine Oma kommt erst spät am Abend wieder, weil sie sich heute mit einer Freundin trifft", erklärte ich Valerian während ich die Haustür aufsperrte. Normalerweise wäre ich jetzt beunruhigt, da ich ihm eigentlich nicht vertrauen sollte und wir jetzt länger allein waren, aber ich tat es. Ich begann Valerian zu vertrauen.

Ich führte Valerian in mein Zimmer. Gemeinsam setzten wir uns auf mein kleines, cremefarbenes Sofa und verfielen in Schweigen.

Erst nach ein paar Minute stellte der Junge neben mir die Frage, die ihn wahrscheinlich schon den ganzen Fußmarsch hierher beschäftigt hatte: „Gracie, was ist passiert? Und jetzt komm nicht wieder mit irgendeiner ausgedachten Ausrede oder Lüge daher."

„Schon gut, ich werde versuchen es dir zu erklären", gab ich mich mit gemischten Gefühlen fürs Erste geschlagen. Valerian hatte es wirklich verdient mehr über mich und meine Vergangenheit zu erfahren. Aber war ich überhaupt schon bereit mich ihm oder jemand anderen zu öffnen?

„Wirklich?", fragte er ungläubig und mit freudigen Unterton. Ich nickte langsam. Tief holte ich Luft und versuchte mein mittlerweile wieder rasendes Herz zu beruhigen.

Dann begann ich das Geschehene kurz für Valerian zusammenzufassen: „Ich bin schon vor dem Läuten der Glocke zurück in die Klasse gegangen."

Ich stockte kurz als mir der Grund dafür einfiel. Verlegen räusperte ich mich und nuschelte: „Weil ich eigentlich vor dem Referat mit dir reden wollte. Stattdessen traf ich auf einen Mann mit Anzug. Er behauptet, dass ihn meine Eltern schickten und er eine Nachricht für mich hatte. Meine Eltern wollen, dass ich in spätestens drei Tagen zu ihnen zurückgekehrt bin. Aber ich will und kann nicht zurück."

Augenblicklich stiegen mir Tränen in die Augen. Ich wollte nicht weg von hier. Ich wollte meine Oma nicht verlassen müssen. Bei ihr fühlte ich mich sicher und gewollt. Sie versuchte mir zu helfen und mich zu verstehen. Doch jetzt würde ich sie verlassen müssen.

„Danke, dass du es mir gesagt hast. Ich werde es für mich behalten. Aber warum bist du von deinen Eltern weggelaufen?", durchschnitten Valerians Worte neugierig meinen Gedankenzug.

Ich verdrängte meine Tränen und meine aufkommende Trauer. Dann setzte ich zu einer Antwort an.

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