Kapitel 35

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Einige Wochen verbrachte ich jetzt schon in der Anstalt. Alles schien wieder seinen gewohnten Lauf genommen zu haben. Niemand sprach mehr von meiner Flucht. Täglich wurden an dem Fremden und mir Experimente getestet. Eines abartiger und kreativer als das andere.

Ich versuchte mich an die Schmerzen zu gewöhnen, aber es wollte mir natürlich nicht gelingen. Dauernd musste ich an Valerian und seinen Zustand denken. Was hatte ihm mein Vater wohl bisher angetan?

Meine Frage sollte, wie ich später feststellte, sehr bald beantwortet werden. Wenige Stunden später wurde ich von zwei Wissenschaftlern abgeholt. Wie gewohnt folgte ich ihnen durch die Gänge zum Untersuchungsraum.

Doch mitten auf dem Weg zum verhassten Raum, hörte ich es. Zuerst konnte ich es nicht glauben und redete mir ein, dass es nur eine Halluzination war. Es hörte sich für mich so an, als ob Valerian meinen Namen rufen würde. Aber das war unmöglich. Dann hörte ich es erneut, aber dieses Mal war es viel lauter.

Irritiert drehte ich mich um und dann sah ich ihn. Valerian rannte geradewegs auf mich zu und dicht hinter ihm lief ein verärgerter Agent meines Vaters. Fluchend versuchte er Valerian einzuholen.

Im nächsten Moment hatte der Junge mich schon erreicht und in eine stürmische Umarmung gezogen. Überrumpelt erwidere ich seine Geste und schlang meine Arme um ihn. Aufmerksam prägte ich mir seinen Duft ein. In diesem Moment fühlte ich mich so geborgen und hoffnungsvoll. Ich wünschte ich könnte für immer in seinen Armen liegen. Denn gerade waren nur wir wichtig. Alles um uns herum blendete ich aus.

Doch der Moment war so schnell vorbei, wie er gekommen war. Bevor ich mich fester in die Umarmung klammern konnte, hatte der Agent den Jungen schon eingeholt, von mir gerissen und von mir weg gezerrt.

„Ich hoffe du weißt, dass dieses Verhalten folgen haben wird. Wie kommst du überhaupt auf die Idee dich von mir loszureißen?", brüllte der Agent Valerian verärgert an.

Doch der Angesprochene schien dem Mann keine Antwort schuldig zu sein, denn er antwortet nicht. Schief grinste Valerian mich an. Ich war irgendwie froh, dass es ihm gut ging, aber andererseits war ich auch verwirrt von seinem überschwänglichen Verhalten. Normalerweise war er doch auch eher ein ruhiger Typ, oder irrte ich mich?

Mittlerweile schienen auch die Wissenschaftler mitbekommen zu haben, dass das Zusammentreffen mit Valerian und mir ein großer Fehler war. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht hätte passieren sollen. Denn jetzt hatten waren wir beide voller neuer Hoffnung. Ich wusste, dass es Valerian gut ging und er wusste, dass es mir gut ging.

Gewaltsam versuchte der Agent Valerian weiter von mir wegzuziehen. Doch der Junge wehrte sich, schlug um sich und schrie den frommen Mann an, dass er ihn loslassen sollte. Die Wissenschaftler waren anscheinend genauso überfordert mit der Situation wie ich, denn sie standen nur da und starrten dümmlich durch die Gegend.

Das Geschehen setzte sich um die fünf Minuten weiter fort bis ein schnelles Klackern von Stöckelschuhen einsetzte. Die Schritte kamen immer Nähe und dann konnte ich auch schon eine Frau am Ende des Korridors ausfindig machen.

Diese Frau stellte sich beim näher kommen als meine Mutter heraus. Sie sah sehr genervt aus und als sie schließlich neben der kleinen Gruppe zum Stehen kam, wichen die Wissenschaftler verschreckt ein paar Schritte zurück.

„Was ist hier los? Kann man dir nicht mal mehr einen Jungen anvertrauen?", giftete meine Mutter den Agenten an, welcher für Valerian zuständig war. Der Mann war mittlerweile hoch rot und sah verlegen zu Boden.

„Und was ist mit euch los? Seid ihr zu viert immer noch überfordert ein Mädchen im Griff zu halten? Ich bin wirklich enttäuscht von euch allen. Das werde ich leider melden müssen", schmiss sie zuerst den Wissenschaftlern und später auch dem Agenten an den Kopf. Doch keiner wagte es darauf zu antworten.

„In Ordnung, da mir keiner von euch die Lage erklären möchte, fühle ich mich gezwungen wegen eurer Unfähigkeit, Subjekt 310 und den Jungen zu übernehmen. Schönen Tag noch!", zischte meine mittlerweile wütende Mutter und zerrte mich und Valerian mit sich mit. Die verwirrten Angestellten blieben einfach überfordert stehen und versuchten sich nicht mal zu verteidigen.

Im nächsten Moment wurden wir in einen leeren, dunklen und vor allem staubigen Raum gezogen. Meine Mutter schloss schnell die Tür und knipste das Licht an, welches in einem warmen Ton das Zimmer erhellte. Irritiert schaute ich die Frau an. Was wurde hier gespielt?

„Ich möchte euch helfen, aber vor allem dir, Gracie. Es war falsch was ich getan habe. Was dein Vater und ich dir angetan haben. Ich weiß, dass du uns nie verzeihen wirst, aber bitte lass mich wenigstens ein paar Schulden begleichen. Ich fühle mich so schuldig und ich weiß ebenso, dass ich vielleicht sogar die schlimmste Mutter der Welt bin", quollen die Worte nur so aus ihrem Mund.

„Passiert das gerade wirklich?", fragte Valerian überfordert mit der Situation. „Ich denke schon. Wenn du die Worte meiner Mutter auch gehört hast, dann passiert das hier gerade wirklich", antwortete ich mit der Situation überfordert, aber ein kleiner Funken Hoffnung schien in meinem Körper erglüht zu sein.

„Ich verzeihe dir, Mutter. Vielleicht verstehe ich dich nicht, aber ich verzeihe dir. Bitte Hilfe mir hier heraus. Ich hasse es hier", weinte ich mittlerweile überwältigt von den soeben entstandenen Umständen.

„Ist das dein Ernst? Du vergibt mir, obwohl ich so unmenschlich und kalt zu dir war?", fragte meine Mutter mit überraschter, hoffnungsvoller Mine. „Ich denke schon. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Somit auch du", hauchte ich schwach.

„Darf ich dich in den Arm nehmen?", fragte meine Mutter vorsichtig. Ich nickte und fand mich im nächsten Moment in ihrer Umarmung wieder. Und das erste Mal seit langem spürte ich wieder mehr als nur Hoffnung. Zuversicht. Jetzt würde alles gut werden.

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