Kapitel 4

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Immer noch saß ich auf dem Gehsteigboden und klammerte mich Hilfesuchend in Valerians Umarmung. Ab und zu nahm ich die Schritte der wenigen, vorbeigehenden Passanten wahr. Keiner blieb stehen, es war fast so, als säßen wir nicht hier auf dem Fußgängerweg, sondern auf einer menschenleeren Wiese, wo wir ganz für uns waren.

Nicht einmal das Geräusch von einem vorbeifahrenden Auto drang zu mir durch. Langsam weckte mich Valerian aus meiner Trance und brachte mich behutsam zurück in die bittere Realität. „Komm, ich bring dich nachhause. Wo wohnst du?"

Schniefend nannte ich ihm die geforderte Adresse. Vorsichtig stand er auf und hielt mir hilfsbereit seine rechte Hand hin. Erschöpft ergriff ich sie und Valerian zog mich auf die Beine. Mir war noch immer etwas schwindelig, weshalb er mich stützen musste.

Während wir zum Haus meiner Oma gingen, sammelte ich mich wieder und konnte nach kurzer Zeit auch ohne Valerians Hilfe stehen sowie gehen. So kamen wir gemeinsam vor dem richtigen Gebäude zum Stehen.

Schüchtern bedankte und verabschiedete ich mich von Valerian. Ich wollte gerade die Haustür aufsperren als er mir nochmal versicherte, dass er immer Zeit für mich zum Reden hatte und schlussendlich tauschten wir unsere Telefonnummern aus. Erst dann machte auch er sich langsam auf den Heimweg.

Ich schaute ihm noch lange nach. Was für meine Verhältnisse höchst ungewöhnlich war, denn ich hätte jeder Zeit angegriffen und verschleppt werden können. Doch in diesem Moment war mir alles andere gleichgültig. Alles was zählte war das beruhigende Gefühl, welches ich nur in Valerians Nähe verspürte.

Endlich riss ich mich vom Punkt weg, an dem er vor wenigen Minuten verschwunden war. Mein Blick wanderte zu meinem Handy, welches mir immer noch die gerade eingespeicherte Nummer von Valerian anzeigte.

Irgendwie muss ich mich bei ihm revanchieren. Valerian war seit kurzem so nett und aufmerksam mir gegenüber. Besonders heute. Nachdenklich betrat ich das Haus und schloss hinter mir ab. In meinem Zimmer angekommen verdunkelte ich die Fenster und setzte mich auf mein Bett.

Vielleicht sollte ich ihn zu uns zum Essen einladen und dann könnten wir auch endlich das Referat fertig vorbereiten. Würde das reichen? Bei mir Zuhause würde ich wohl keine Panikattacke bekommen. Zumindest hatte ich noch keine.

Seufzend setzte ich meine abgedunkelte Brille ab und legte sie auf meinem Nachtkästchen ab. Normalerweise brauchte ich keine Brille, aber in der Öffentlichkeit fühlte ich mich mit einfach wohler. Denn es könnte jeden Moment passieren und wenn ich mich nicht schnell genug wehren würde, dann würde jeder sehen was ich war. Ein unkontrollierbares Monster.

Von meinem Zimmer aus hörte ich, wie meine Oma in die Küche ging. Wahrscheinlich hatte sie ein Nickerchen gehalten und wollte jetzt das Abendessen machen. Ob Valerian schon daheim war? Einen Versuch war es wert.

Ich entsperrte mein Handy und suchte seine Nummer heraus. Sogleich wurde ich fündig und die ersten Zweifel stiegen in mir auf. Sollte ich ihn wirklich anrufen? Ehe ich mich entscheiden konnte drückte ich auf seine Nummer und nach dem zweiten Piepton hob er auch schon ab.

„Hey, alles okay?", drang sogleich Valerians besorgte Stimme durchs Telefon.

„Ja, alles in Ordnung. Ich wollte mich für heute bedanken. Für deine Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit. Kann ich mich dafür mit einem morgigen Mittagessen revangieren? Natürlich können wir dann auch an unserem Referat weiterarbeiten."

„Klingt gut. Dann bis morgen."

„Bis dann", sagte ich erfreut und legte auf. Ich schmiss mein Handy in die nächste Ecke und vergrub meinen Kopf unter meinem Polster. Hatte ich das Richtige getan? Konnte ich Valerian wirklich schon vertrauen? Was wenn er ein Spion war und sein Ziel mich zurückzubringen oder vielleicht sogar zu vernichten?

Meine Gedanken wurden durch das Rufen meiner Oma unterbrochen. Sie wollte, dass ich zum Abendessen komme. Am besten erzählte ich ihr gleich von Valerian und dass er morgen zum Mittagessen kam. Glücklicherweise war morgen Samstag. Somit würden wir genug Zeit für das Vorbereiten unseres Vortrags haben.

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Meine Augen waren geschlossen und ich konzentrierte mich auf die angenehme Einsamkeit. Ich saß auf dem kleinen, cremefarbenen Sofa in meinem Zimmer und hörte durch meine Kopfhörer Musik. Entspannt lauschte ich dem Gesang, als ich Stimmen im unteren Wohnungsbereich vernahm.

Wissend öffnete ich meine Augen und schaltete die Musik aus. Ich stand auf und verließ mein durch die Vorhänge verdunkeltes Zimmer. Jedoch setzte ich mir vorher noch meine Brille auf, um meine Augen vor neugierigen Blicken zu schützen.

Die Stimmen schienen von Richtung Haustür zu kommen, also folgte ich dem lauter werdenden Lauten. Deutlich erkannte ich die Stimme meiner Oma und die von Valerian. Er war tatsächlich gekommen.

Meine Oma lachte kurz auf, also amüsierte sie sich. Sollte ich die beiden stören? Ja, nein, vielleicht? Ich seufzte und entschied mich dafür. Nach kurzer Zeit stand ich bei ihnen und begrüßte Valerian freundlich, welcher meine Geste erwiderte.

„Geht nur. Ich rufe euch, wenn das Essen fertig ist", unterbrach meine Großmutter das Zusammentreffen und ging in die Küche. Ich deutete Valerian mir zu folgen. In meinem Zimmer angekommen, setzte er sich auf mein Sofa und ich auf meinen Schreibtischsessel.

„Wie ich sehe, geht es dir heute besser", bemerkte Valerian und lächelte mir aufmunternd zu. Ich nickte nur. Irgendetwas hemmte mich und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich etwas Angst hatte. Angst vor Valerian, obwohl er mir nie nur ein Haar gekrümmt hatte. Ich hatte Angst davor, dass er mich hintergehen könnte und meine Schwäche ausnutzen würde.

„Blödsinn", versuchte ich mir in Gedanken klarzumachen. „Fangen wir an", versuchte ich meine Unsicherheit zu überspielen und nahm eines der vielen Bücher in die Hand. Valerian nahm ebenfalls eines. Die Bücher hatte Valerian aus der Bibliothek mitgebracht, da ich mich nicht traute zurückzukehren.

Allein schon der Gedanke an den alten Mann, welcher mich gestern beobachtet hatte, bescherte mir eine Gänsehaut und die aufkommende Übelkeit war ebenfalls kaum möglich zu ignorieren.

Schnell schüttelte ich die Gedanken an den fremden Alten ab und wir teilten uns das Thema gerecht auf und begannen nützliche Informationen herauszuschreiben. Als wir alles beisammen hatten, gestalteten wir noch gemeinsam eine PowerPoint-Präsentation und schrieben uns Stichwortkärtchen.

Dann waren wir endlich fertig. Wir unterhielten uns noch ein bisschen. Überrascht fand ich heraus, dass Valerian eine Ex-Freundin namens Bianca hatte. Sie hatte angeblich von heute auf morgen die Schule gewechselt und war mit ihrer Familie weggezogen. Ohne jemanden davon zu erzählen. Nicht einmal Valerian wusste davon.

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