Kapitel 29

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Wir saßen immer noch genauso neben einander wie schon vor fünf Minuten. Ich weinend und Valerian schweigend. Mein Herz begann langsam schwerer und schwerer zu werden. Der Junge neben mir bedeutete mir mehr, als ich je zu glauben gewagt hatte. Dass er jetzt nichts zu mir sagte, brach mir das Herz.

Plötzlich spürte ich zwei warme Arme, welche sich um meinen dünnen Körper schlangen und mich näher zogen. Erschrocken verharrte ich in Valerians Umarmung. Was hatte das zu bedeuten? Hasste er mich etwa doch nicht? Nervös versuchte ich meinen Herzschlag zu beruhigen, welcher unangenehm schnell war.

„Hasst du mich deshalb nicht?", fragte ich schüchtern in die Stille hinein. Bei dem letzten Wort brach meine Stimme. Für diese Frage erntete ich einen mehr als verwirrten Blick von Valerian.

„Nein natürlich nicht. Ich versuche nur meine Gedanken zu ordnen und mir irgendeinen Reim daraus zu machen. Zusätzlich wäre es nicht fair dich für die Fehler anderer zu verurteilen", hauchte mir Valerian leise ins Ohr. Seine Stimme beruhigte mich und jegliche Sorgen verpufften im Nichts. Er hatte endlich wieder etwas gesagt und das was er gesagt hatte, erwärmte mein Herz.

In diesem Moment fiel es mir ein. Der Grund wieso mir Bianca so schrecklich bekannt vorkam. Meine Augen wurden groß. Das konnte doch nicht sein. Es waren ihre Augen. Ihre Augen, die sie verrieten.

Ich erinnerte mich daran, wie Valerian behauptete, dass Bianca ihn hypnotisiert hatte. Das weckte Kindheitserinnerungen in mir. Als meine Schwester und ich noch sehr klein waren, waren unsere Eltern verschuldet und immer mit der Arbeit beschäftigt. Aus diesem Grund besorgten sie uns ein Kindermädchen.

Natürlich kein normales Kindermädchen. Ich hatte es schlichtweg verdrängt, aber unsere Babysitterin hatte genauso übernatürliche Fähigkeiten wie ich. Sie konnte ihr Aussehen so verändern, wie sie es wollte. Mit Hypnose konnte sie die Menschen in ihrem Umfeld täuschen.

Bis heute kenne ich nicht ihr wahres Erscheinungsbild. Gut möglich, dass ihre ursprüngliche Gestalt männlich war. Sie stellte sich mir aber mit Ivonne vor.

Für drei Jahre kümmerte sich Ivonne um meine Schwester und mich. Dann erfuhren meine Eltern durch Zufall, dass Ivonne nicht die war, für die sie sich ausgab. Sie war nicht das Kindermädchen, dass meine Eltern engagiert hatten. Die wahre Babysitterin war schon lange tot. Ivonne hatte sie ermordet, um ihren Platz einnehmen zu können.

Mehr wusste ich nicht über das, was damals passiert war. Ich war noch zu klein, um es zu verstehen. Doch ihre Augen würde ich nie vergessen. Ihre kalten Augen die mich keine Sekunde aus den Augen ließen.

Ivonne war Bianca.

„Ist alles in Ordnung? Woran denkst du?", erkundigte sich Valerian besorgt während er sich von der Umarmung löste, um mir eindringlich in die Augen schauen zu können. „Bianca ist nicht die Bianca, die du kennengelernt hast", sprach ich meine Gedanken beunruhigt aus.

Skeptisch hob Valerian seine Augenbraue hoch und fragte: „Was? Wer sollte sie sonst sein?" „Eine Gestaltenwandlerin. Sie ist mir als Ivonne vor Jahren begegnet. Durch ihre Gene erhielt sie die Gabe ihre Gestalt so zu verändern, wie sie wollte. Was wenn sie die Agentin ist", murmelte ich bedrückt.

„Das würde einiges erklären. Aber was für eine Agentin? Wovon sprichst du überhaupt?", fragte Valerian verwirrt nach und mir wurde bewusst, dass ich ihm einiges noch nicht erzählt hatte.

Ich berichte ihm vom spurlosen Verschwinden meiner Großmutter. Von Wynn und wie er mich nur beschattet und ausgenutzt hatte. Dem folgenden Auftauen meines Vaters und meinem knappen entkommen. Vom Gespräch wo mein Vater Wynn gegenüber einen zweiten Agenten erwähnt hatte und vom Umzug zu einer alten Kindergarten Freundin. Schlussendlich berichtete ich noch vom letzten Schultag, an dem ich einen Brief von meinen Eltern bekommen und der Fremde seit langem wieder die Oberhand über mich ergriffen hatte.

Die ganze Zeit hatte mir Valerian aufmerksam zugehört und kniff nachdenklich die Augen zusammen. Dann sagte er: „Wir müssen etwas machen. Wir müssen uns wehren. Weglaufen ist nicht mehr lange eine Lösung. Aber mir fällt keine gute Idee ein."

Frustriert stand ich wieder vom Bett auf, um an das Fenster zu gelangen. Es stand immer noch offen und langsam wurde mir kalt, weshalb ich es schloss und wieder zurück zum Bett ging.

Da wurde mir plötzlich bewusst, dass ich keine Brille mehr auf hatte. Wie konnte mir das vorher nicht aufgefallen sein? Nervös schaute ich mich im Zimmer um. Doch ich konnte sie nirgendwo entdecken. Hastig stolperte ich um mein Bett herum und fand ein kleines Nachtkästchen. Ich riss die einzige Lade auf. Doch nichts als Staub befand sich darin.

„Was suchst du?", ertönte unmittelbar hinter mir Valerians Stimme. „Meine Brille. Hast du sie gesehen?", fragte ich ihn nervös. Valerian kannte schon den Großteil von dem Geheimnis, welches ich hinter der Brille zu verbergen versuchte.

„Nein, leider nicht. Aber damals als du das erst Mal deine Brille abgenommen hast, hast du mir da die ganze Wahrheit erzählt? Es kam mir nicht so vor. Darf ich den Rest hören?", fragte Valerian interessiert nach. Ich nickte nur und wir setzten uns zurück auf das Krankenhausbett.

„Also du weißt, dass ich seit meiner Geburt türkise Augen habe. Aber das ist noch nicht alles. Soweit ich weiß haben türkise Augen nur Menschen mit einer übernatürlichen Fähigkeit. Es ist eine Art Erkennungsmerkmal, wobei es aber keine Voraussetzung ist, türkise Augen zu haben. Als mir dann mit sieben Jahren das Ding eingepflanzt wurde, begannen meine Augen ihre Farbe manchmal zu ändern. Immer wenn das Wesen versucht Kontrolle über meinen Körper zu übernehmen, dann verfärben sich meine Augen rot. Das ist ein weiterer Grund, warum ich normalerweise diese abgedunkelte Brille trage. Damit niemand sieht, wenn ich nicht mehr ich selbst bin."

„Ich verstehe. Das ist außergewöhnlich und unglaublich", flüsterte Valerian beeindruckt. „Wie ist so etwas überhaupt möglich? Ich verstehe das nicht", sagte er eher zu sich, als zu mir. Ich gähnte kurz. Wir hatten noch zwei ganze Stunden bis die Sonne aufgehen würde. Vielleicht sollte ich die Zeit nützen und mich nochmal schlafen legen.

Als hätte Valerian meine Gedanken gelesen half er mir mich schlafen zu legen. Der Junge deckte mich sogar behutsam zu. Dann setzte er sich wieder neben mich auf den Sessel und ich fiel sogleich ins Land der Träume.

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